Anleitung zur Rebellion

Erstveröffentlicht: 
29.11.2010

"Der kommende Aufstand" ruft zu Sabotage, Subversion und auch zu Gewalt auf. Die Verfasser des Bändchens begreifen die Krise des Kapitalismus als produktiven Zustand - und schicken ihrer brillanten Gesellschaftsanalyse eine fragwürdige Lösung der Probleme hinterher. Von Cordula Echterhoff

 

Es geht nicht mehr darum zu warten - auf einen Lichtblick, die Revolution, die atomare Apokalypse oder eine soziale Bewegung. Noch zu warten ist Wahnsinn. Die Katastrophe ist nicht das, was kommt, sondern das, was da ist. Wir befinden uns schon jetzt in der Untergangsbewegung einer Zivilisation. Das ist der Punkt, an dem man Partei ergreifen muss.

 

Es ist ein ersehnter Aufbruch, der hier durchklingt. Sich positionieren und handeln. Verführerisch. Darin trifft der "kommende Aufstand" den Nerv der Zeit. Unsere Gesellschaft, so das "Unsichtbare Komitee", ist am Ende. Ein Nichts. Sie ist kalt, leblos und zersplittert. Und das auf allen Ebenen. Das Land aber verzehre sich nach einer "rettenden Zerstörung". Denn nur, wenn alles zerstört ist, kann Neues entstehen. Das Ziel: Kommunen, in der sich Freunde zusammenfinden. Kommunen, die sich selbst versorgen und keine Hierarchien kennen. Und da die Krise nicht von allein in eine totale Zerstörung mündet, liefert das Manifest eine Anleitung zum Aufstand. Den kommenden.

 

Was die Methode betrifft, lasst uns von der Sabotage folgendes Prinzip behalten: ein Minimum an Risiko in der Aktion, ein Minimum an Zeit, ein Maximum an Schäden. Die gesellschaftliche Maschine mit einer Konsequenz zu sabotieren, das impliziert heute, die Mittel zur Unterbrechung ihrer Netze zurückzuerobern und neu zu erfinden. Wie macht man eine TGV-Strecke und ein elektrisches Verbundnetz unbrauchbar?

 

Auch das verführerisch. Gerade nach Gorleben, wo das "Schottern" eine allgemein diskutierte Methode des zivilen Ungehorsams geworden ist. Vielleicht mit ein Grund, warum "Der kommende Aufstand" so weite Kreise zieht. Aber die Strahlkraft der Schrift liegt ganz woanders. Im ersten Teil. Hier liefert sie eine Gesellschaftsanalyse, die mitunter erschreckend treffend ist und Sätze mit einhämmernder Prägnanz liefert. In sieben Kreise aufgeteilt demontiert sie förmlich unsere Gesellschaft. Vom Ich angefangen bis hin zur Zivilisation. Es sind - die Anlehnung an Dante ist gewiss kein Zufall - sieben Höllenkreise. Und hat man sie durchschritten, so steht man tatsächlich vor dem Nichts. Es sind etliche Punkte, an denen die Verfasser den Finger in die Wunden der Gesellschaft legen. Das ICH: isoliert, verdammt dazu, immer wieder die eigene Identität zu behaupten. Die GESELLSCHAFT: zersplittert und kalt. DIE ARBEIT: ein Aufruf zur fröhlichen Selbstausbeutung. DIE WELT: entfremdet. Sicherheitsvorkehrungen und Ökonomie: Maßnahmen der Macht, den im Kern toten Status Quo zu erhalten und Ungleichheit zu zementieren. Wir haben eine Leiche am Hals. So die Schlussfolgerung des "Unsichtbaren Komitees". Soweit der analytische Teil des Buchs. Die Schlüsse, die die Verfasser daraus ziehen, atmen den Geist der Destruktion. Die "Leiche" schaffe man sich nur durch den Aufstand vom Hals. Kriegsrhetorik durchzieht den Band. Totale Zerstörung als Voraussetzung für das Neue. Nachbesserung des herrschenden Zustands, profane Reform? Zwecklos. Am Anfang des beschworenen Aufstandes müssen Entscheidung und Wahrheit stehen. Denn woran unsere Zivilisation krankt, so liest man in dem Buch, ist der "Imperialismus des Relativen". Nichts werde mehr als wahr und gewiss anerkannt. Eine Gesellschaft ohne Wahrheit aber sei unmöglich. 

 

Eine Wahrheit ist keine Ansicht über die Welt, sondern das, was uns mit ihr auf unreduzierbare Weise verbunden hält. Sie bildet mich als Individuum und löst mich wieder auf, sie entfernt mich von vielen und verbindet mit denen, die sie empfinden. Das isolierte Wesen, das an ihr festhält, begegnet zwangsläufig einigen seinesgleichen. Tatsächlich beginnt jeder aufständische Prozess mit einer Wahrheit, die man nicht aufgibt.

 

Alle, die diese Wahrheit gemeinsam "empfinden", die also der gleiche "Geist" eint, sollen sich zu Kommunen zusammentun. Wie aber gelangen die Kommunarden zu dieser Wahrheit, und wie entscheiden sie über den Aufstand? Es ist kein Diskurs, der sie dorthin führt, eher eine Art pseudoreligiöser Erleuchtung. Die Wahrheit liege im Wesen der Dinge. Man muss sie empfinden und die Entscheidung über den Aufstand kommt wie in einem Pfingsterlebnis über alle, die die gleichen Informationen teilen, so die Verheißung des Buches. 

 

Die Entscheidung wird von selbst kommen. Sie wird uns treffen, mehr als das wir sie treffen.

 

Gegen die Kälte der Gesellschaft setzen sie die Wärme der Kommunen. In denen die Menschen affektiv verbunden sind, in denen sie im Einklang mit sich und der Welt leben; sich selbst versorgen und keine Hierarchien kennen. Eine schöne, eine utopisch-romantische und prä-industriell anmutende Vorstellung. 

 

Für einen Aufstand ist die Frage, wie er sich unumkehrbar machen kann. Die Unumkehrbarkeit ist erreicht, wenn man gleichzeitig die Autoritäten und das Bedürfnis nach Autorität, gleichzeitig den Besitz und den Geschmack am Besitztum, gleichzeitig jede Hegemonie und den Wunsch nach Hegemonie besiegt. 

 

Wie die Unumkehrbarkeit erreicht werden kann, sagen die Verfasser nicht. Was ist mit all denen, die weder von der Wahrheit noch vom "Geist" des Aufstands erleuchtet werden, es auch gar nicht wollen? Liest man das Manifest in aller Konsequenz, dann fordert es deren Vernichtung. Ein finsterer Makel so vieler Utopien. Der Verdienst des "Unsichtbaren Komitees" ist es, eine Gesellschaftsanalyse verfasst zu haben, die in prägnanten Sätzen brennende Probleme unserer Gesellschaft benennt. Sätze, die denkwürdig sind und denen man wünscht, viele Leser zu finden. Die hoffentlich darüber nachdenken und ihre individuellen Schlüsse daraus ziehen, statt darauf zu setzen, vom letztlich uniformen Geist "ergriffen" werden. Denn auch wenn es dem Buch gelingt, Zweifel am Gegenwärtigen zu säen: Eine Errungenschaft der Moderne kann es nicht erschüttern: die Erkenntnis nämlich, dass es keine absoluten Wahrheiten gibt. Erst recht keine, die einen blutigen Aufstand rechtfertigen würde. 

 

Cordula Echterhoff über: Das unsichtbare Komitee: Der kommende Aufstand, erschienen in der Edition Nautilus. 124 Seiten gibt's für 9 Euro 90, ISBN: 978 3 894-01732-3.