Die Polizei befürchtet am Dienstagabend Ausschreitungen in Kreuzberg und wird mit zwei Hundertschaften im Einsatz sein. Die linke Szene will gegen Neonazis demonstrieren. Die Konflikte zwischen den Gruppierungen nehmen zu.
In Berlin könnte es am Dienstag erneut zu Krawallen kommen: Ein Bündnis verschiedener linker Gruppen hat für die Abendstunden einen Aufzug in Kreuzberg und Neukölln angekündigt, um gegen „Naziterror und Repression“ zu demonstrieren. In Polizeikreisen wird davon ausgegangen, dass die Teilnehmer der Aktion gezielt die Konfrontation mit Polizisten suchen werden.
Auf einem einschlägigen Internetportal der linken Szene wird für die Veranstaltung geworben. Die Verfasser nehmen Bezug auf einen Brandanschlag auf einen linken Infoladen an der Manteuffelstraße in der Nacht zum 27. Oktober dieses Jahres, der offenbar von Angehörigen der rechten Szene verübt worden war. Kurz darauf hatte es im Kreuzberger Kiez eine spontane Demonstration gegeben, in deren Verlauf 150 Personen zum Teil vermummt zur Skalitzer Straße gezogen waren. Sie hatten dort Barrikaden errichtet und Flaschen und Steine auf die Polizei geworfen. Insgesamt 47 Personen wurden vorübergehend festgenommen, um ihre Personalien zu überprüfen.
EINSATZHUNDERTSCHAFTEN IM DIENST
Diesen Zwischenfall und die Ermordung eines Irakers in Leipzig am 24. Oktober nehmen die Linken nun erneut zum Anlass, um heute zur Demonstration aufzurufen. Nach Angaben eines Polizeisprechers soll der Protestmarsch um 19 Uhr am Kottbusser Tor starten, über die Manteuffel- und Lausitzer Straße quer durch Kreuzberg – das ehemalige SO 36 – bis schließlich zur Weserstraße und zum Reuterplatz in Neukölln führen. Nach Informationen von Morgenpost Online rechnet die Polizei mit mindestens 200 Demonstranten, deswegen werden zwei Hundertschaften im Einsatz sein. „Die Demonstration findet nach Einbruch der Dunkelheit in einem Gebiet statt, in dem sich die gewaltbereiten Linksextremisten gut auskennen. Das macht die Lage so brisant“, sagte ein Bereitschaftspolizist.
Die linken Organisationen kritisieren in ihren Aufrufen, dass in der vergangenen Woche mehrere linke Buchläden durchsucht worden waren. Ein Polizeisprecher sagte dazu am Montag, dass sich die Aktionen gegen eine spezielle Ausgabe des Szene-Mediums „Interim“ gerichtet hätten, in der eine detaillierte Beschreibung zur Herstellung eines Sprengsatzes abgedruckt war. Diese Exemplare sollten auf Anordnung der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt werden.
Der Umstand, dass sich offenbar Rechtsextremisten in die Hochburg der Linken nach Kreuzberg trauen, um dort Brandanschläge zu verüben, habe die linke Szene verwirrt und zum Teil auch verunsichert, sagte ein Ermittler. „Das hätten sich Neonazis früher nicht getraut. Offenbar fühlen sich die rechten Straftäter durch die derzeit heftige Debatte über die Schwierigkeiten bei der Integration von Migranten in ihrer Gesinnung bestätigt. Beide Seiten hassen den politischen Gegner, Gewalt spielt dabei mehr und mehr eine Rolle.“ So hätten sich die politischen Aktivisten vor einigen Jahren noch auf Anschläge mit Farbe und das Zerstechen von Reifen beschränkt, am Dienstag würden gezielt Gewaltattacken verübt. Szenelokale und auch entsprechende Läden würden gegenseitig angegriffen und beschädigt. So war das Lokal „Zum Henker“ in Oberschöneweide mehrfach das Ziel linker Attacken. Dieses gilt in linken Kreisen als Treffpunkt der rechten Szene. „Personengruppen gehen gezielt auf den politischen Gegner los und nehmen dabei auch dessen Tod in Kauf“, sagte ein szenekundiger Beamter. „Wer, egal welchen Lagers, mit mehreren Komplizen auf eine Gruppe in Unterzahl losprügelt und auch den am Boden liegenden gegen den Kopf tritt oder aber mit Pflastersteinen wirft, muss einen tödlichen Ausgang einkalkulieren“, sagte der Beamte.
Als Kommunikationsmittel nutzen beide Seiten am Dienstag vor allem das Internet und Handys. Besonders das linke Spektrum hat eine Vielzahl von Informanten und „Kundschaftern“, die ihre Szene und den politischen Gegner genau im Auge haben. „Es werden nicht nur Fotos von Polizisten in Zivil gemacht, sondern auch von der Gegenseite, um die einzelnen Personen zu identifizieren und somit an ihre Privatanschriften zu kommen“, berichtete ein Polizist. „Gerade bei Demonstrationen sind regelrechte Dokumentationstrupps unterwegs, die mit professionellen Fotoapparaten und Camcordern Aufnahmen machen.“ Im Eifer des Gefechts seien gewaltbereite Rechte und Linke für die Berliner Polizisten längst nicht mehr klar auseinanderzuhalten. „Der Neonazi ist nicht mehr nur noch in Springerstiefeln und Bomberjacke unterwegs, sondern gleicht in puncto Kleidung den Angehörigen des schwarzen Blocks der linken Szene.“ Auf beiden Seiten sei der Hass so groß, dass die Auseinandersetzungen irgendwann eskalieren könnten.
Beide Lager bemühen sich nicht nur, Nachwuchs zu rekrutieren, sondern auch, Gleichgesinnten Anleitungen für gewalttätige Aktionen an die Hand zu geben. So lässt allein ein Blick in das Inhaltsverzeichnis der Szenepublikation „Prisma“ vom Frühjahr dieses Jahres erkennen, wie groß das Aktionsspektrum der Linksextremisten ist: „Schlösser verkleben, Stinkesachen, Glasbruch, Autos plätten, Straßen blockieren, Bäume fällen, Autoreifen anzünden, Krähenfüße, Nagelbretter, Bahnstrecken blockieren und sabotieren, Oberleitungen mit Ketten kurzschließen.“ Außerdem wird in dem Szenemagazin dazu aufgerufen, hochwertige Autos anzuzünden oder Brandsätze zu legen.
PROTESTE GEGEN CASTOR-TRANSPORT
Auch und nur für den Castor-Transport am Wochenende gibt es Anleitungen, wie dieser gestört werden kann. So wird vorgeschlagen, mit Wagenhebern die Bahnstrecke zu blockieren. Auch Berliner Einheiten werden im Wendland im Einsatz sein. „Nach den Zwischenfällen im Zusammenhang mit Stuttgart 21 ist die Stimmung sehr aufgeheizt“, berichtete ein Bereitschaftspolizist. „Es wird davon ausgegangen, dass Widerstand und Aktionen in diesem Jahr härter werden als in den Jahren zuvor. Gewaltbereite Aktivisten werden sich unter die anderen Demonstranten mischen und versuchen, durch ihr Handeln ein hartes Vorgehen der Einsatzkräfte zu provozieren, um Bilder wie bei der Räumung in Stuttgart zu bekommen.“