Leipzig: 3. Naziaufmarsch angemeldet.

Plakat 16.10.2010

Mittlerweile haben Neonazis den 3. Naziaufmarsch für den 16.10.2010 in Leipzig angemeldet. Antifabündnis "Roter Oktober" und das zivilgesellschaftliche Aktionsnetzwerk "Leipzig nimmt Platz" rufen zu Aktionen und Protest auf.

 

Zu den bereits angemeldeten Naziaufmärschen für den 16.10.2010 kommt nun ein 3. Aufmarsch dazu (Bericht auf Indymedia). Neben den bereits bekannten zwei Demonstrationen: „Gegen Polizeiwillkür und staatliche Gewalt“ ab Plagwitz – Engertstrasse/ Karl-Heine-Straße über Käthe-Kollwitz-Straße, Friedrich-Ebert-Straße, Jahnallee, Ranstädter Steinweg und Tröndlinring bis zum Hauptbahnhof) und „Kapitalismus abschalten – Zinsherrschaft brechen“ ab Hauptbahnhof über Tröndlinring, Goerdelerring, Dittrichring, Martin-Luther-Ring, Roßplatz, Augustusplatz und Georgiring zum Hauptbahnhof, kommt nun noch eine Demonstration von Wahren zum Leipziger Hauptbahnhof dazu:

Startpunkt ist das Rathaus Wahren dann gehts weiter über die Georg-Schumann-Str. – Zwischenkundgebung Arbeitsamt (Georg-Schumann-Str. Ecke Seelenbinder Str.) – Eutritzscher Str. – Gerberstraße bis zum Endpunkt Willy-Brandt-Platz

Anmelder ist Maik Scheffler für die JN-Sachsen. Der Aufmarsch ist von 12:00 bis 20:00 Uhr für 600 Personen angemeldet. Maik Scheffler ist kein unbekannter, so heißt es auf Chronikle:
"Scheffler ging entgegen der ursprünglichen Idee der selbsternannten "Freien" den Weg in die NPD und sitzt inzwischen im Delitzscher Stadtrat. Der Multifunktionär war außerdem Organisationsleiter für die Landtagswahlen und ist nun Kreisvorsitzender in Nordsachsen und Mitglied im Landesvorstand der Partei. Wie in Chronik.LE-Dossier beschriebendiesem , gilt Scheffler als Leitfigur der neonazistischen "Freien Kräfte" in Leipzig und Umgebung und führt die Gruppierungen nun in die NPD-Nachwuchsorganisation JN."

Die Anmelder der anderen 2 Demonstrationen

 

Auch die beiden anderen Anmelder sind keine Unbekannten. Der sächsische JN-Landesvorsitzende Tommy Naumann war bereits Anmelder für den Naziaufmarsch am 17. Oktober 2009 in Leipzig mit 1.384 Nazis, die jedoch nicht vom Fleck kamen. Sein Mitstreiter und Anmelder Nummer zwei, Istvan Repaczki ist in Leipzig ebenfalls kein Unbekannter.

Durch eine Vielzahl von Anmeldungen kleiner bis mittelgroßer Veranstaltungen im Jahr 2008 avancierte der 22-Jährige, der beruflich bei der NPD-Landtagsfraktion in Dresden für die Öffentlichkeitsarbeit mitverantwortlich zeichnet, zu einer der bekanntesten Leipziger Führungspersonen. Besonders in Erinnerung ist er geblieben durch seinen Versuch den Tod seiner Nichte Michelle, für Naziaufmärsche in Leipzig-Reudnitz zu nutzten.

Tommy Naumann steht dem leipziger Stützpunkt der NPD-Nachwuchsorganisation "Junge Nationaldemokraten" seit seiner Gründung am 20. April 2008, zufälligerweise der 119. Geburtstag Adolf Hitlers, vor. Im November des gleichen Jahres übernahm der 25-Jährige den Vorsitz des sächsischen Landesverbands der JN. In dieser Funktion gehört der gelernte Mechatroniker Kraft dieses Amtes dem Vorstand der sächsischen NPD an. Naumann und Repaczki bewarben sich im Juni 2009 für die NPD erfolglos um Sitze im Leipziger Stadtrat.

Beide gehören über ihre JN-Mitgliedschaft dem sogenannten "Freien Netz" an – ein Zusammenschluss von sowohl freien als auch parteigebundenen Kameradschaftsstrukturen im mitteldeutschen Raum. Was als parteiferne Kameradschaftsstruktur begann, hat sich in Sachsen binnen weniger Jahre zu einer Vorfeldorganisation der sächsischen NPD entwickelt.

Antifas und Bürger_Innen bereiten sich auf Naziaufmärsche vor

 

Das Antifa-Bündnis "Roter Oktober" kündigt Proteste gegen Naziaufmärsche in Leipzig an. So heißt es in einer Pressemitteilung:

„Unser wichtigstes Ziel ist es, diese Aufmärsche zu verhindern“, sagt Franziska Vorpahl, Pressesprecherin des Antifa-Bündnisses. „Dafür ziehen wir alle nötigen Mittel in Betracht.“ Und weiter: „Es ist wichtig, dass sich viele Menschen den Nazis entschlossen in den Weg stellen“, sagt Vorpahl. Dies ist im vergangenen Jahr gelungen. Damals, am 17. Oktober 2009, ist die Route der fast 1400 Neonazis, die aus ganz Deutschland angereist waren, von etwa 3000 Gegendemonstrant_innen blockiert worden. Vorpahl: „Diesen Erfolg werden wir wiederholen.“ Das Antifa-Bündnis „Roter Oktober“ befürchtet, dass sich erneut mehr als 1000 Neonazis versammeln werden. „In diesem Jahr sind etliche Naziaufmärsche in anderen Großstädten wie Dresden und Berlin verhindert worden“, erklärt Vorpahl. „Leipzig ist ein weiterer Versuch, in der rechten Szene ein erfolgreiches Groß-Event zu etablieren.“ Angesprochen werden damit offenbar auch rechte Hooligan-Gruppierungen, die auf ihren Websites bereits dazu aufrufen, am 16. Oktober nach Leipzig zu fahren. Als gewaltbereit bekannt ist zudem das Umfeld der Anmelder der Aufmärsche – so genannte „Freie Kräfte“ und die NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN). Deren Anhänger_innen bekennen sich zum Nationalsozialismus und mobilisieren mit einem explizit antisemitischen Aufruf nach Leipzig. „Kein vernünftiger Mensch kann so etwas dulden“, sagt Vorpahl. Bei vergangenen Naziaufmärschen war die Stadt nicht in der Lage gewesen, die Aufzüge zu unterbinden. Ausgesprochene Verbote sind vor Gericht wieder kassiert worden. „Robe oder Uniform entbinden nicht vom Nachdenken und der Entscheidung, auf welcher Seite man steht“, so Vorpahl.

Auch das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ plant Aktionen gegen Naziaufmärsche am 16.10.2010. Mehr als 40 Menschen, darunter Vertreterinnen und Vertreter aus den verschiedensten gesellschaftlichen, kulturellen, religiösen, politischen und antifaschistischen Initiativen und Vereinigungen fanden sich am 9.9.2010 zu einem ersten Koordinationstreffen zusammen. Gemeinsam wurde über das Vorgehen gegen die am 16.10.2010 geplanten Naziaufmärsche diskutiert. Einstimmig wurde beschlossen, sich den Neonazis zu widersetzen und ihnen damit wie vor einem Jahr nicht die Straße zu überlassen. So heißt es in einer Pressmitteilung:

"Erfreulicherweise gibt es nach wie vor viele Menschen, die ihr Tun nicht unbeantwortet lassen. Erfolgreiche Aktionen gegen Nazidemonstrationen wie im letzten Jahr in Leipzig, und dieses Jahr in Dresden und Berlin sind Motivation für den 16. Oktober. „Leipzig nimmt Platz“ ruft in diesem Sinne zu vielfältigem, friedlichem und entschlossenem Protest auf. Wir wünschen uns, dass an diesem Tag viele Menschen den Protest teilen.“, so Juliane Nagel und Gunnar Georgi, die PressesprecherInnen des Aktionsnetzwerkes Leipzig nimmt Platz.

„Wir selbst sind verantwortlich für die Stadt und die Gesellschaft, in der wir leben. Bei aller Unterschiedlichkeit unserer politischen Ansichten verbindet uns die Entschlossenheit, den erstarkenden Neonazi-Strukturen unsere Überzeugung, unseren Mut und Verstand, unsere Gemeinsamkeit und Vielfalt entgegenzusetzen.“ heißt es in dem Aufruf von „Leipzig nimmt Platz“.

In verschiedenen Arbeitsgruppen bereitet das Aktionsnetzwerk in den kommenden Wochen ein Aktionskonzept und eine breite Mobilisierung vor."

Beide Bündnisse Arbeiten auf die Verhinderung der Naziaufmärsche hin, im letzten Jahr ging dies sogar ohne die üblichen Reibereien zwischen "autonome Antifa" und "Zivilgesellschaft". Wie es aussieht wollen beide Bündnisse diesen Erfolg wiederholen. Spannend wird auch sein, wie die Stadt auf die Anmeldungen der Nazis reagiert. So ist an dem Tag nicht nur ein größeres Fußballspiel, sondern auch der Leipziger Opernball.

Historische Informationen zur Route im Leipziger Westen

 

Bei dem Naziaufmarsch durch die Karl-Heine-Straße kämen die Nazis neben vielen Plagwitzer Kultureinrichtungen, wie der Schaubühne Lindenfels unter anderem an folgenden Punkten vorbei. Guts-Muths-Straße, in der 2006 Anwohner gegen eine Wohnung voller Jungnazis aufbegehrten, weiterhin an der Josephstraße, in der jungen Menschen eine Erinnerungsstätte für ehemalige jüdische Mitbürger etablieren wollen. In der Josephstraße 7 lebten und arbeiteten die Familien Reiter und Lotrowsky. Isidor Reiter betrieb eine Rosshaarsortieranstalt. Am 28. Oktober 1938 wurden er und seine Familie zusammen mit mehreren Tausend anderen Leipziger Juden und Jüdinnen nach Polen deportiert. Isidor Reiter wurde dort später von Nazis umgebracht. Ida Jetty Lotrowsky wurde am 21. Januar 1942 nach Riga deportiert und ist dort verschollen. Die Tochter von Isidor Reiter – Amalia Schinagel – konnte nach New York emigrieren, wo sie bis Ende der 1990er Jahre lebte. Als rechtmäßige Erbin hat sie das Grundstück Josephstraße 7 mit dem mittlerweile unbewohnbaren Haus 1991 zurück erhalten. Sie selbst hatte kein Interesse nach Deutschland zurück zu kehren. Niemand wollte das Haus in der Josephstraße 7 kaufen, das daraufhin nach und nach verfallen ist. 1998 verlangte die Stadt Leipzig Steuern von ihr. Amalia Schinagel antwortete wütend und traurig darauf, dass sie nicht einsehe, warum sie Geld für ein Haus bezahlen solle, das ihr erst gestohlen und dann in einem unbrauchbarem Zustand zurück gegeben wurde. Mittlerweile gibt es eine Initiative die sich dafür einsetzt, dass die Josephstraße 7 ein Gedenkort wird.

Später dann würden die Nazis an der Ecke Walter-Heinze-Straße vorbeilaufen, die nach Leipzigs erstem Nazi-Opfer nach dem Beginn der braunen Diktatur benannt ist, um am Felsenkeller (Ecke Zschochersche) den Ort zu kreuzen, welcher sich neben seiner Nutzung ab 1890 als Konzert-, Ballsaal und Felsenkellerlichtkino, auch als Treffpunkt der Leipziger Arbeiterbewegung in die Geschichtsbücher eingetragen hat. Hier sprachen vor 1933 unter anderem Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Clara Zetkin.

Mit dieser Route würden sie auch die Straße kreuzen, in welcher sich das Erich-Zeigner-Haus befindet. Erich Zeigner war der 1.Oberbürgermeister der Stadt Leipzig nach dem 2. Weltkrieg und auch Häftling im KZ Buchenwald unter den Nazis. Auf ihrem Weg kämen sie auch am heutigen Gerichtsgebäude Karl-Heine-Straße 12 vorüber, in der sich einst die Leipziger Gestapozentrale befand.


Gefundenes Mobilisierungsvideo, welches jedoch nicht von den Bündnissen ist: