Das Leben wurde eine Baustelle

Erstveröffentlicht: 
01.08.2017

Gentrifizierung erfasst eines der letzten unsanierten Häuser in Prenzlauer Berg

 

Atempause für Liesa Schobers. Die Anwältin der Hausverwaltung, Verena Schepers, zieht nach kurzer Verhandlung am Montagmorgen vor dem Amtsgericht Mitte die Räumungsklage gegen sie zurück. Richterin Cornelia Kohrs hatte bei der Verhandlung sehr deutlich durchblicken lassen, dass sie die Klage abweisen würde. Gekündigt wurde Schobers für ihre kleine Wohnung in der Immanuelkirchstraße 35 in Prenzlauer Berg nämlich erst zum 31. Oktober. Es sei einfach noch zu früh, um von einer berechtigten Besorgnis auszugehen, dass die Mieterin sich der Räumung entziehen werde, sagte Richterin Kohrs.

 

Derweil dröhnt und stampft ein Bagger, während er auf dem schmalen Hof der Immanuelkirchstraße 35 rangiert. Der Lärm ist ohrenbetäubend. »Die Bauarbeiten beginnen um sieben Uhr morgens und hören nicht vor 18 Uhr auf«, sagt Schober. Auch samstags werde gearbeitet, berichtet die Mieterin. Bis vor kurzem war es noch eines der letzten unsanierten Häuser im Winsviertel. Schober, die seit 2005 dort wohnt, heizt noch mit Kohlen und ein Bad hat sie auch nicht. Dementsprechend günstig ist auch die Miete, sie zahlt um die drei Euro pro Quadratmeter. Darauf ist die Studentin, die nur nebenher noch etwas arbeiten kann, auch angewiesen. »Gut leben« könne sie so.

 

Wie lange Schober noch mitten im durchgentrifizierten Innenstadtbezirk unter Bedingungen wohnen kann, die in Berlin über Jahrzehnte üblich waren, ist allerdings offen. Denn mitten im Milieuschutzgebiet hat der Bezirk Pankow eine Sanierungsgenehmigung erteilt, die unter normalen Umständen so nicht möglich gewesen wäre. Hinter der Fassade des Altbaus entsteht quasi ein Neubau. Wohnungen werden zusammengelegt, Fahrstühle und großzügige Bäder eingebaut. Laut Darstellung des zuständigen Bezirksamts Pankow habe sich die Genehmigung quasi zwingend ergeben (»nd« berichtete). Christoph Speckmann, Leiter des Bereichs Stadterneuerung im bezirklichen Stadtentwicklungsamt, ahnte schon, dass das Vorgehen angreifbar ist. Das zu erwartende Ergebnis »würde vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus zu erheblichen Verstimmungen führen«, erklärte Speckmann laut einer »nd« vorliegenden Aktennotiz, deswegen sollten die Ausschüsse in der Bezirksverordnetenversammlung erst nach der stattgefundenen Wahl im September 2016 erfolgen. Was dann auch so geschah.

 

»Wenn Sie, wie ich es vorhabe, Bäder und Toiletten einbauen, marode Trägerbalken austauschen, einsturzgefährdete und rattenversuchte Kriechkeller sanieren, Fenster erneuern, die Fassade dämmen und das einsturzgefährdete Dach sanieren und ausbauen, die historische Fassade wiederherstellen möchten, oder auch die maroden Gasleitungen mit einer ökologischen Heiz- und Warmwassergewinnung ersetzen möchten, dann verändern Sie die Gebäudesubstanz grundlegend«, erklärte Alexander Röhreke in einer älteren Stellungnahme für »nd«. »Und dann unterliegen Sie den Bestimmungen wie bei einem Neubau, weshalb alle Belange des Brandschutzes und des barrierefreien Zugangs zu Wohnungen zu erfüllen sind«, so Röhreke weiter.

 

Allen betroffenen Mietern sei auch eine Umsetzwohnung für 6,50 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete mit unbefristetem Mietvertrag angeboten worden, schrieb Röhreke. »Das ist immer noch mehr als das Doppelte meiner jetzigen Miete«, sagt Schobers. Tatsächlich hatte sie bereits im Oktober 2015 einen Brief mit mehreren Rückfragen zu dem damals geäußerten Angebot verfasst, allerdings nie eine Antwort erhalten. »Ein Bauherr muss sich überlegen, wie er den Bau fortsetzen kann und eventuell die Wohnung noch stärker subventioniert«, gibt Richterin Kohrs den Vertretern des Hauseigentümers zu verstehen.

 

Noch sind Räumungsklagen gegen zwei weitere Mieter der Immanuelkirchstraße 35 vor dem Amtsgericht Mitte anhängig, die Verhandlungen sind für die nächsten Tage angesetzt. Der Druck des Eigentümers auf die Bewohner des Hauses wirkt. Von den ursprünglich 18 Mietparteien, die noch Anfang 2015 in dem Haus lebten, sind aktuell noch zwölf übrig. Fünf haben nach Angaben des Bezirks bereits das Angebot einer Umsetzwohnung akzeptiert.