Das Land – rassistisch
Reaktionäre
Organisierung und Mobilisierungen finden in Sachsen seit mehreren Jahren
ihren bundesweiten Höhepunkt. Die Liste der Akteur*innen dieser
Bewegung wie PEGIDA/LEGIDA, “Nein zum Heim”,
“Offensive für Deutschland”, AfD und ähnliche reaktionäre Organisationen
ist fast endlos und erfreut sich gerade hier einer großen Beliebtheit.
In keinem anderem Bundesland gibt es so viele rassistische Angriffe auf
Menschen wie in Sachsen. Des Weiteren sind Geflüchtetenunterkünfte und
Strukturen von Unterstützer*innen Ziel rechter Attacken. Hier zeigen
sich deutliche Kontinuitäten seit den 1990er Jahren, nicht umsonst war
Sachsen eine Homezone des NSU.
Während die
Bundesregierungen seit den 90er Jahren eine Politik der europäischen
Abschottung forcieren, treiben rechte Akteur*innen den rassistischen
Normalzustand besonders im Osten der Republik voran. Erst Mitte Juni gab
es in Wurzen eine Spontandemonstration eines rassistischen Mobs und den
daraus folgenden Versuch, eine Wohnung von Geflüchteten anzugreifen.
Ähnliche Angriffe gab es bereits in den Monaten davor, Geflüchtete, die
in Wurzen leben, berichten von rassistischen Anfeindungen und
körperlichen Angriffen im Alltag. Feinde sind zugeschriebene „Fremde“,
ausgemalt mit Hilfe der weit verbreiteten Ressentiments gegen
beispielsweise Nicht-Weiße, Muslime*Muslima und Jüdinnen*Juden. Vor
allem der antimuslimische Rassismus hat sich in den vergangenen
Jahren Bahn gebrochen und führte zu einer großen Mobilisierungsfähigkeit
rechter und rechts-orientierter Kontexte in Sachsen.
Festgehalten
werden muss, dass es sich bei den Inhalten um das aktuelle thematische
Inventar der extremen Rechten handelt: „Islamisierung“ und
„Überfremdung“ sind die wesentlichen Stichwörter, aber auch die geradezu
paranoide Annahme, einem „Vorbürgerkrieg“ ausgesetzt zu sein, der durch
das bedrohte „Volk“ nicht mehr auszuhalten und gegen „die Fremden“
auszutragen sei.
Dabei ist die
gesellschaftliche und strukturelle Verankerung der rechten Szene in
Sachsen ein wesentlicher Grund dafür, dass sich hier über mehrere Jahre
rassistische und rechte Mobilisierungen halten und ausbreiten konnten.
Bundesweit sind Orte wie Bautzen, Clausnitz, Freital, Heidenau bekannt
geworden für eben diese Mobilisierungen und Gewalt gegen Geflüchtete,
ihre Unterstützer*innen und Linke. Sie sind Beispiele und Vorbilder für
rechte Bewegungen.
Bei der Betrachtung dieser sächsischen Verhältnisse
muss die doppelte Funktion und die Bedeutung für reaktionäre Bewegungen
aus ganz Deutschland betrachtet werden: Auf der einen Seite herrscht in
Sachsen ein besonderes gesellschaftliches Klima, dass rassistische
Bewegungen befeuert.
Zivilgesellschaftliche und antifaschistische
Akteure können nur innerhalb der Großstädte Wirkungskraft entfalten. Auf
dem Land sind diese Akteure entweder nicht vorhanden oder aber Ziel
reaktionärer Kräfte. Nirgendwo sonst ist so ein Inneinandergreifen von
Neonazis und „ganz normalen Bürger*innen“ zu beobachten. Hieraus folgt
die besondere zweite Bedeutung Sachsens für die bundesweite Rechte
Szene: Es ist nämlich nicht nur Aktionsraum, um aus dem völkischen
Programm eine politische Praxis zu entwickeln, sondern wird auch immer
mehr zum positiven Bezugsrahmen rassistischer Bewegungen.
So ist es nicht verwunderlich,
dass die neonazistische Kleinstpartei„”Der III. Weg“ ihren Aufmarsch am
1. Mai 2016 in Plauen veranstaltet hat. Dort existierte bereits die
rassistische Bewegung “Wir sind Deutschland“ die sich als Alternative zu
Pegida sieht. Zeitweise mobilisierte diese bis zu 5000
Teilnehmer*innen. Ähnliches kann zu PEGIDA in Dresden gesagt werden.
Dresden bildet immer noch das Zentrum der GIDA-Bewegungen. Nahezu alle
noch existenten GIDA-Aufmärsche im ganzen Bundesgebiet beziehen sich
immer wieder inhaltlich und personell auf PEGIDA in Dresden.
Es bleibt also
festzuhalten: In Sachsen sind rassistische Mobilisierungen nicht nur
besonders stark, sodass völkischer Mob und Neonazis gemeinsam agieren
können. Es besitzt auch einen Role Model Charakter für rassistische
Bewegungen in ganz Deutschland.
Gleichzeitig sind gerade
in den letzten Jahren Orte der permanenten rechten Gewalt und
Organisierung nahezu in Vergessenheit geraten. Ein Beispiel hierfür ist
die Stadt Wurzen, die seit mehr als 20 Jahren Schwerpunkt
neonazistischer Gewalt und Strukturen in der Region Leipzig ist. In
diesem Ort wohnen wichtige Organisatoren für den Neonaziangriff im
Januar 2016, als in Connewitz knapp 250 Neonazis auf der
Wolfgang-Heinze-Str. Menschen und Häuser angriffen. Ebenso leben in
Wurzen auch Protagonisten, die kontinuierlich die LEGIDA-Aufmärsche
organisierten und unterstützten. Des Weiteren konnten sich in Wurzen
neonazistische Vertriebsstrukturen etablieren, mit deren Hilfe sie
Gelder akquirieren. Rechte Gewalt ist hier seit den 90er Jahren Alltag
und aus einer bundesweiten Wahrnehmung nahezu verschwunden. Nicht
umsonst fabulierten in den 90ern Neonazis von Wurzen als “national
befreiter Zone”.
Der Frieden – völkisch
Landstriche
werden nicht nur durch Gewaltandrohung zum sicheren Hinterland für
Neonazi-Strukturen und deren Aktivitäten. Das eigentliche Problem liegt
in der gesellschaftlichen Akzeptanz völkischer Programmatiken.
Übergriffe auf Geflüchtete in Wurzen durch den völkischen Mob in den
vergangenen Jahren werden immer wieder von Polizei, anderen staatlichen
Stellen und “ganz normalen Bürger*innen” als nachvollziehbar relativiert
und es wird sich so mit den Täter*innen solidarisiert. Hier zeigt sich
ein gesamtgesellschaftlicher Konsens, in dem rechte Propaganda nicht
mehr notwendig ist.
Dieser
gesellschaftliche Rückhalt für neonazistische Erklärungsmuster zeigt
sicht nicht nur in Wahlergebnissen oder Übergriffen. Er kommt vielmehr
im alltäglichen Zusammenspiel von Neonazis, Mehrheitsgesellschaft und
staatlichen Institutionen zu Stande.
Das was alle eint, ist
die Identifizierung mit der Volksgemeinschaft und der damit verbundenen
Vorstellung von Zugehörigkeit. Diese setzt die prinzipielle vom Staat
vorgenommene Einteilung in In- und Ausländer*innen voraus. Die daraus
resultierende Forderung, dass der Staat mit seinen Einrichtungen und
Leistungen vordergründig für die Nation und das Wohlergehen des
deutschen Volkes da zu sein habe, haben sowohl Mehrheitsgesellschaft als
auch Neonazis gemein. Eine Folge daraus ist ein rassistisches
Asylsystem und dessen tödliche Konsequenzen im Mittelmeer. Dass dieses
Prinzip nicht für jeden Einzelnen in Wohlergehen aufgeht, ist die
Konsequenz eines Konkurrenzverhältnisses, in welches die Menschen in
einem kapitalistischen Staat zueinander gesetzt sind. Es führt dazu,
dass Unzufriedenheiten und soziale Verwerfungen auf „fremde“ und „dem
Gemeinwohl abträgliche“ Gruppen und ihren Egoismus projiziert werden:
die Schuld an Erwerbslosigkeit trügen demnach die „Ausländer“, am
„Volkstod“ die zunehmende Emanzipation der Frau, verantwortlich für die
hohen Sozialbeiträge seien die „schmarotzenden Hartz-IV-Empfänger“,
Politiker*innen seien größtenteils „Volksverräter“, die nicht „richtig“
dem deutschen Volke dienen und hinter allem stecke überhaupt der von
„Hedgefonds-Heuschrecken“ vorangetriebene Ausverkauf „ehrlicher
deutscher Arbeit“.
Anstatt also der Versuch unternommen wird, die
Ursachen des gesellschaftlichen Elends zu begreifen und die
kapitalistische Ordnung, gemeinsam und solidarisch mit denen von ihnen
verhassten vermeintlichen Nicht-Deutschen und Harz IV-Empfänger*innen,
auf die Müllhalde der Geschichte zu werfen, findet eine Identifikation
mit dem nationalen Kollektiv und ein „Treten nach unten“ statt. Die
jubelpatriotischen Fahnenmeere während fast jeder Fußball-WM/EM der
Männer sind eines der sichtbarsten Zeichen kollektiver
Selbstvergewisserung. Offen auftretende Neonazis bilden dabei lediglich
die Spitze des Eisbergs der Mehrheitsgesellschaft mit den Attributen
antisemitisch, rassistisch und sexistisch.
In Sachsen wird dieser
völkische Konsens ganz besonders unverhohlen sichtbar. Hier gibt es
dafür seit mehreren Jahren den vom Freistaat organisierten so genannten
„Tag der Sachsen“, das größte „Volksfest“ im Jahr. Wer als anders
wahrgenommen wird, bekommt Probleme. So wurden beim „Tag der Sachsen“
2015 im Wurzen Geflüchtete, die über mehrere Wochen hinweg in der Stadt
und in ihrer Wohnung bedroht und angegriffen wurden, an jenem Wochenende
aus dem Ort gebracht.
Unser Bruch – unversöhnlich
Am Wochenende des
2. und 3. September wird in Löbau bei Dresden der „Tag der Sachsen“
gefeiert. Statt dort hinzugehen, wo sich staatliche Akteure als
schöneres, weltoffeneres Sachsen oder Deutschland inszenieren, wollen
wir mit euch nach Wurzen fahren, das exemplarisch für die rassistische
Normalität in Sachsen steht. Neonazis beanspruchen die Provinz als
sicheren Aktionsraum – wir erklären sie zum Ziel antifaschistischer
Politik. Wir möchten organisatorisch mit euch an die antifaschistische
Demonstration 1996 in Wurzen anknüpfen, da hieß es:
„Trotz der
beschränkten Wirksamkeit jeder Demonstration soll diese der
Öffentlichkeit deutlich machen, daß es notwendig ist, den Nazis direkt
entgegenzutreten, ihre Strukturen und Treffpunkte anzugreifen, obwohl
dadurch perspektivisch keine konkrete strukturelle Alternative entsteht.
Die Notwendigkeit solcher Alternativen ist dem Demovorbereitungskreis
sehr bewußt. Deshalb soll die Demonstration Bündnischarakter tragen, der
die verschiedensten antifaschistischen Ansätze bündelt:
antifaschistische Jugend- und Kulturarbeit, militantes Grundverständnis,
parlamentarische wie außerparlamentarische Aktivität, feministischer
Widerstand und Flüchtlingshilfe. All diese Akzente soll die
Demonstration repräsentieren.”
Der Aufruf von
1996 und unsere eigenen Erfahrungen bei antifaschistischen
Demonstrationen (nicht nur) in Sachsen zeigen, worauf sich
Antifaschist*innen einstellen müssen. Provozierende Neonazigruppen am
Rande der Demo, Angriffe auf die Demo und ihre Infrastruktur und eine
Polizei, denen nicht erst seit G20 unterstellt werden darf, dass sie die
Außenwirkung von gesellschaftskritischen Demos mit enger Begleitung im
Spalier und der Kriminalisierung von Teilnehmenden möglichst verhindern
will. Diese Dinge werden uns in Wurzen erwarten und dem werden wir
entschlossen entgegentreten.
Auf medienwirksame Diskreditierung der Demo
durch überzogene Polizeimaßnahmen werden wir ebenso reagieren wie auf
pöbelnde Neonazi-Gruppen. Wir tragen mit der Demo die Botschaft nach
Wurzen, dass der deutschetümelnden Volksgemeinschaft nach wie vor unsere
Aufmerksamkeit sowie unser Kampf gilt und schliessen uns noch immer der
20 Jahre alten Analyse der Genoss*innen an:
“Wenn den Nazis
in der dortigen Situation ernsthaft und wirksam begegnet werden kann,
dann nur durch gegenseitige Akzeptanz und wechselseitiges Verständnis
für alle Facetten einer lebendigen Antifa. Nur eine gemeinsame starke
Antifa-Bewegung, die den Aktivitäten der staatlichen Behörden kritisch
bis ablehnend gegenübersteht, vermag den Nazis im Muldentalkreis die
Vormacht zu nehmen, ihre Strukturen zu zerschlagen und sie vom Rückhalt
in der Bevölkerung zu isolieren.”
Wurzen: 2. September um 15 Uhr Bhf. Wurzen