Linke Szene - Gibt es rechtsfreie Räume in Leipzig?

Erstveröffentlicht: 
27.07.2017

Leipzig ist bekannt für eine große linke Szene. Die Stadt bilde mit Hamburg und Berlin eine Art Dreieck des Linksextremismus in Deutschland, sagte Sachsens Innenminister Markus Ulbig der "Sächsischen Zeitung". Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz erklärte, es gebe Gebiete in Leipzig-Connewitz, "in denen sogenannte Alternative versuchen, der Polizei den Zutritt zu verbieten". Es seien rechtsfreie Räume entstanden. Was ist nun dran?

 

Von Ine Dippmann, MDR AKTUELL-Landeskorrespondentin für Sachsen

 

Wer im Leipziger Stadtteil Connewitz unterwegs ist, sieht immer wieder Graffitis, die zeigen, dass die Polizei hier nicht gerade beliebt ist. Ganz besonders stört den sächsischen Innenminister Markus Ulbig der Schriftzug "Kill Cops" an der Hausfront des Conne Island, einem linken, selbstverwalteten Club.

 

Aber reicht das, um von rechtsfreien Räumen zu sprechen? Der Begriff ist juristisch nicht definiert, sagt Reinhardt Schade vom Deutschen Richterbund: "Es gibt keinen Ort, wo das Recht nicht gilt, wo jeder tun und lassen kann, was er will. Dieser Begriff meint Orte und Situationen, in denen das Recht nicht durchgesetzt wird, weil die Situation dann vielleicht eskalieren oder der Rechtsbruch noch größer würde. Weil Schäden entstehen würden, von denen man denkt, sie nicht rechtfertigen zu können." 

 

Mauer des Schweigens


Wer wissen will, wie oft die Polizei in Connewitz sich entschieden hat, geltendes Recht nicht durchzusetzen, der stößt auf eine Mauer des Schweigens. Das Thema sei mit den verantwortlichen Behörden erörtert und Stillschweigen vereinbart worden, heißt es aus der Polizeidirektion.

 

Hagen Husgen, Chef der Gewerkschaft der Polizei, sieht zumindest die Gefahr, dass rechtsfreie Räume in Connewitz entstehen könnten. "Meine Kollegen vor Ort sagen schon, dass es Orte gibt, wo man als Polizeibeamter nicht gern gesehen ist, wo man ein bisschen aufpassen muss, und wo man zu einem Verkehrsunfall lieber mit zwei oder drei Funkwagen fährt als wie üblich mit einem Funkwagen." 

 

Erscheinungsbild des Viertels


Die allgegenwärtigen Graffitis, mit denen Polizisten beschimpft werden, gehörten zum Habitus im Viertel, erklärt Linken-Abgeordnete Juliane Nagel: "Natürlich kann das auch gefährlich werden, wenn Leute solche Sprüche ernst nehmen. Aber die Graffitis am Streetballplatz in Connewitz - ich glaube nicht, dass das wirklich eine gefährliche Realisierung erfährt." Die Polizei könne in Connewitz ganz normal arbeiten. Nagel glaubt, der Mythos des Stadtteils, wo die Polizei angegriffen werde und wo "normale Menschen" sich nicht aufhalten könnten, sei passé. 

 

Polizeiwagen angezündet


Fakt ist aber: 2015 ist eine Polizeistation massiv angegriffen worden. Im Dezember vergangenen Jahres wurde in der Nähe ein Polizeiauto angezündet - laut Bekennerschreiben eine Solidaritätsbekundung für Hausbesetzer in Berlin.

 

Besetzungen rufen auch in Leipzig immer wieder die Polizei auf den Plan. Kürzlich wurde im Stadtteil Lindenau ein besetztes Grundstück friedlich geräumt, als die Polizei anrückte. Im Leipziger Süden gibt man sich kämpferischer. Dort wohnen seit einem Jahr junge Leute in einem ehemaligen Umspannwerk. Das Gelände gehört der Bahn. Stacheldraht und Barrikaden aus Autowracks verhindern unerwünschten Besuch. Grundsätzlich sei es offen für alle, Reporter haben aber keinen Zutritt. 

 

Umspannwerk ein rechtsfreier Raum?


Und die Polizei? "Polizei darf unter keinen Umständen auf das Gelände", sagt eine junge Frau, die sich Helga nennt. Ihre Vorbilder sind Anarchisten des 19. Jahrhunderts. Ist das "Black Triangle", wie die Besetzer das Gelände nennen, nun der rechtsfreie Raum, vor dem der Polizeipräsident gewarnt hat?

 

Helgas Mitbewohner Rolf sagt: "Es ist auf keinen Fall ein rechtsfreier Raum. Wir haben unser Selbstverständnis, nach dem wir hier leben und wohnen. Von einem moralischen Grundrecht her denke ich, ist es nicht falsch, ein seit fast drei Jahrzehnten leer stehendes Haus einfach zu bewohnen und weiter zu benutzen."

 

Die Deutsche Bahn sieht das anders. Sie versucht inzwischen, die Räumung mit Hilfe des Bundesgerichtshofs durchzusetzen. Die Besetzer haben angekündigt, sich dagegen zu wehren.