Delitzsch. Kein Tag ohne Anmachen, Belästigungen und Kerle, die Frauen so anstarren, wie sie nicht angeschaut werden möchten. So weit, so Hörensagen, dutzendfach verbreitet in der Stadt – vor allem unter jungen Frauen, die sich verunsichert fühlen.
Es ist kein schönes Bild, das aktuell vom Unteren Bahnhof in Delitzsch gezeichnet wird – und sich über die Stadtgrenzen hinaus verbreitet. Das Leipziger Portal Frauenpanorama kommentiert beispielsweise unter einem LVZ-Beitrag zum Fall eines weiterhin ungeklärten Sexualdelikts, bei dem eine 15-Jährige unweit des Bahnhofs verfolgt und angefasst worden sein soll, dass Leserinnen gerade für den „Delitzscher Hauptbahnhof“ berichtet hätten, dass dort „unheimlich viele junge, zugewanderte Männer herumlungern“ und Frauen und Mädchen anmachen würden.
Konkreter nachgefragt bei der Redaktion des Portals relativiert sich der Negativ-Mythos schnell: Eine Leserin habe kommuniziert, dass sie und ihre Freundin es schon öfter als belastend empfunden hätten, am Delitzscher Bahnhof vorbei zu gehen. Herumlungernde Zuwanderer hätten die beiden Frauen unangemessen angemacht.
Ein anderer Fall wurde vom Opa einer der Autorinnen geschildert. Die Situation am Bahnhof sei nicht schön, weil „Flüchtlinge dort am Bahnhof herumlungern und den ganzen jungen Mädchen gierig nachstarren“ – so die Behauptung. Diese Männer hätten die Mädels wahrscheinlich nur deshalb nicht begrapscht, weil doch noch ein paar deutsche junge Männer in der Nähe waren, wurde weiter gemutmaßt.
Gemeint ist mit „Delitzscher Hauptbahnhof“ der Untere Bahnhof mit dem direkt angrenzenden Busbahnhof. Die, die dort ständig zu tun haben, winken hinsichtlich solcher Berichte ab: Den Taxifahrern ist von solch unentwegten Anmachen nichts bekannt.
Ja, einige Migranten würden am Unteren Bahnhof ebenso warten wie viele andere Reisende auch. Allerdings würde oft ein polizeibekannter Drogendealer dort herumlungern, bei dem das Ansprechen wohl zum Geschäft gehöre. Aus Sicht der Taxifahrer herrscht am Unteren Bahnhof sehr oft nur tote Hose, erst recht in den Abend- und Nachtstunden.
In den Zeiten unmittelbar vor und nach Zug- oder Busabfahrten auf größeren Linien herrsche Trubel und ansonsten gähnende Leere. Ein Bild, das sich bei mehreren LVZ-Besuchen zu unterschiedlichen Tages- und auch Nachtzeiten, zu Zugabfahrten und dazwischen vor Ort bestätigt.
Sicherheitsempfinden ist subjektiv. Insgesamt zehn vor Ort befragte Frauen zwischen 26 und 62 Jahren erklärten auf LVZ-Anfrage, dass sie sich am Unteren Bahnhof nicht unsicher fühlen oder, wenn ja, nur bei Dunkelheit – mit der sie generell ein Problem hätten. Anders empfinden Teenagerinnen die Situation. Zehn befragte Mädchen im Alter von 15, 16 und 17 Jahren fühlen sich unsicher, angestarrt und angemacht. Grund: Sie würden sehr viel Schlechtes hören und sich daher Gedanken machen. Woher genau die Berichte über angebliche massive Anmachen kommen, wissen sie nicht. Aber irgendwer aus der Clique kennt immer jemanden, der eine Freundin hat, die schon mal angemacht wurde. Zwei dagegen erzählen, Ausländer hätten sie am Wallgraben angefasst, dies hätten sie bei der Polizei angezeigt.
Die Delitzscher Polizei zeigt am Bahnhof bewusst wie überall im Stadtgebiet Präsenz, die Streifenwagen sind regelmäßig zu sehen – übrigens auch am und im Stadtpark.