Die türkische Regierung wirft viel mehr deutschen Unternehmen und Einzelpersonen vor, sie würden den Terror unterstützen. Auf einer entsprechenden Liste finden sich nach Handelsblatt-Informationen fast 700 Namen.
Berlin. Die türkische Regierung hat offenbar noch viel mehr deutsche Unternehmen und Einzelpersonen im Visier, denen sie die Unterstützung von Terrorismus vorwirft. Eine entsprechende Liste ist viel umfangreicher als bisher bekannt. Demnach stehen auf der Liste nicht 68, sondern 681 deutsche Firmen. Dies erfuhr das Handelsblatt aus deutschen Regierungs- und Sicherheitskreisen. Die türkische Regierung bestreitet hingegen die Existenz der Liste.
Am Mittwoch hatte die Wochenzeitung „Die Zeit“ von einer „Schwarzen Liste“ mit 68 deutschen Firmen und Einzelpersonen berichtet, denen türkische Behörden vorwerfen, terroristische Organisationen zu unterstützen. Die Liste wurde dem Bundeskriminalamt (BKA) übergeben. An die von der „Zeit“ genannte Zahl müsse „aber noch eine Null gehängt werden“, sagten mehrere mit der Liste vertraute Quellen dem Handelsblatt. Demnach befinden sich mindestens 680 deutsche Unternehmen auf der Liste, darunter auch kleine vor Ort tätige Unternehmen. Die Vorwürfe gegen die deutschen Unternehmen seien „völlig abstrus“, hieß es in deutschen Regierungskreisen. Auch das BKA teilte mit, es werde sich nicht um Bearbeitung kümmern, „da die darin enthaltenen Angaben und Vorwürfe unkonkret sind“.
Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte am Donnerstag bereits angedeutet, dass die türkische Regierung offenbar noch mehr deutschen Unternehmen Verbindungen zum Terrorismus vorwirft. „Die Liste ist sogar noch viel länger“, sagte er, ohne nähere Angaben zu machen. Die Türkei soll den genannten Unternehmen Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen vorwerfen. Diese Gruppe wird in der Türkei als Drahtzieher des gescheiterten Putsches im Juli 2016 beschuldigt und als Terrororganisation verfolgt.
Gabriel hatte in Reaktion auf die Anschuldigungen und die jüngste Inhaftierung eines Bundesbürgers in der Türkei am Donnerstag eine Neuausrichtung der Türkei-Politik verkündet. Das Auswärtige Amt warnte Türkei-Reisende. Das könnte den für das Land wichtigen Tourismussektor weiter unter Druck setzen. Zudem kündigte Gabriel an, die Hermes-Bürgschaften für deutsche Unternehmen, die Geschäfte in der Türkei machen, auf den Prüfstand zu stellen. Auch das könnte die Türkei empfindlich treffen. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner des Landes.
Die türkische Regierung versuchte nun am Freitag, die Investoren zu beruhigen. „Alle deutschen Investitionen in der Türkei sind zu 100 Prozent abgesichert durch die türkische Regierung, den Staat und das Gesetz“, sagte Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci der Nachrichtenagentur Reuters. Den Vorwurf, die Türkei habe der deutschen Regierung eine Liste mit Firmen gegeben, denen sie Verbindungen zu dem Putschversuch im vergangenen Jahr vorwirft, wies der Minister als falsch zurück. Mit Aussagen, die nachhaltigen wirtschaftlichen Schaden anrichten könnten, müsse man sich zurückhalten. „Deutschland muss Kommentare, die unangebracht sind, überprüfen.“ Sowohl in deutschen Regierungs- wie auch Sicherheitskreisen wird allerdings die Existenz der Liste bestätigt.
Die Bundesregierung will noch weitere Konsequenzen aus dem Streit mit der Türkei ziehen. So würden die Rüstungsexporte in das Land „auf den Prüfstand gestellt“, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Das bedeutet im Prinzip nichts anderes, als dass die Waffenexporte vorerst auf Eis gelegt worden sind und keine weiteren Exportanträge genehmigt werden. Schon seit dem Putschversuch in der Türkei vor einem Jahr fährt die Bundesregierung gegenüber dem Land eine restriktivere Rüstungsexportpolitik. So hat die Bundesregierung im Vorjahr lediglich Waffenexporten im Wert von 83,9 Millionen Euro eine Ausfuhrgenehmigung erteilt, darunter Triebwerke und Teile für Kampfhubschrauber, Flugzeuge oder unbemannte Luftfahrzeuge.
Damit lag die Türkei in der Rangliste der wichtigsten Abnehmerländer deutscher Waffen lediglich auf Platz 20. In den ersten vier Monaten dieses Jahres genehmigte die Bundesregierung Waffenexporte in die Türkei im Umfang von 22 Millionen Euro. Zum Vergleich: Das größte Abnehmerland Algerien erhielt Waffen im Wert von 830 Millionen Euro.
Angesichts der geringen Umfangs der Waffenlieferung handelt es sich bei der Neuausrichtung der Bundesregierung daher eher um eine symbolische Maßnahme. Zumal andere EU-Staaten ihre Rüstungsexportpolitik bislang nicht überdenken und Anträge für Ausfuhren in die Türkei weiter genehmigen.