Große Teile der Journalisten sollen während der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 ihre Berufsrolle verkannt haben, behauptet Michael Haller. Der ehemalige Leiter des Instituts für Journalistik in Leipzig stellte am Freitag eine entsprechende Studie vor.
Frankfurt a.M./Leipzig . Große Teile der Journalisten sollen angeblich während der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 laut einer Studie der Otto Brenner Stiftung ihre Berufsrolle verkannt haben: „Statt als neutraler Beobachter die Politik und deren Vollzugsorgane kritisch zu begleiten und nachzufragen, übernahm der Informationsjournalismus die Sicht, auch die Losungen der politischen Elite“, erklärte Studienleiter Michael Haller am Freitag in Frankfurt am Main mit. Laut Haller, der zwischen 1993 und 2010 unter anderem auch Inhaber des Lehrstuhls für Journalistik an der Universität Leipzig war, seien Journalisten in der Zeit mehr politischer Akteur als neutraler Beobachter gewesen.
Erst nach der Silvesternacht 2015/16 hätten die Medien die reale Wirklichkeit hinter der wohlklingenden Willkommensrhetorik entdeckt. Bis dahin hätten sich Andersdenkende bereits übergangen oder ausgegrenzt gesehen, heißt es in der Studie weiter. Statt integrativ zu wirken, habe der Informationsjournalismus die Frontenbildung verschärft. Die von den Journalisten beschriebene Wirklichkeit sei sehr weit entfernt von der Lebenswelt eines großen Teils ihres Publikums, fügte der Leipziger Medienwissenschaftler hinzu. Die Befunde würden die große Entfremdung belegen, die zwischen dem etablierten Journalismus und Teilen der Bevölkerung entstanden sei.
Für die Untersuchung seien insgesamt weit über 30.000 Medienberichte erfasst und insbesondere für einen Zeitraum von über 20 Wochen rund 1.700 Texte analytisch ausgewertet worden. Grundlage der Studie sind laut Stiftung Berichte, die in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, der „Süddeutschen Zeitung“, der „Welt“ und „Bild“, in mehr als 80 Lokal- und Regionalzeitungen sowie in den Onlinemedien „focus.de“, „tagesschau.de“ und „Spiegel Online“ erschienen seien.
LVZ
Die Studie im Netz: www.otto-brenner-stiftung.de