Stundenlang haben am Abend des ersten Tags des G20-Gipfels Linksautonome und andere Randalierer im Schanzenviertel brennende Barrikaden errichtet und mehrere Geschäfte geplündert. Die Polizei protokollierte zahlreiche Attacken, griff aber erst spät ein. Für die Einsatzkräfte sei es zu gefährlich gewesen, in die Schanze vorzurücken, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer später. Polizisten hätten in einen bewaffneten Hinterhalt gelockt werden sollen. Die Rede war von Gewalttätern, die von mehreren Hausdächern aus die Einsatzkräfte mit Molotow-Cocktails, Gehwegplatten und Zwillen angreifen wollten. Meyer sprach von einer tödlichen Gefahr, weswegen man den Vandalismus für eine gewisse Zeit habe hinnehmen müssen. Erst nachdem schwerbewaffnete Spezialkräfte ein Haus gestürmt hatten, rückten die Beamten vor.
G20-Einsatz ist Thema im Innenausschuss
"Es war ein kaum auszuhaltendes Gefühl, helfen zu wollen und nicht sofort einschreiten zu können", sagte Innensenator Andy Grote (SPD). Er will sich am Mittwoch gemeinsam mit der Polizeiführung im Innenausschuss der Hamburger Bürgerschaft erneut zum G20-Einsatz äußern und mögliche Vorwürfe entkräften. Einige der zentralen Fragen werden dabei sein: Warum griffen die Einsatzkräfte in der Schanze nicht früher ein? Warum ließen sie zu, dass stundenlang anarchische Zustände herrschten? Und war die Lageeinschätzung der Polizei zutreffend, dass es einen Hinterhalt auf mehreren Hausdächern gab?
Wer war auf den Dächern?
Bis heute ist unklar, was tatsächlich auf den Dächern am Schulterblatt los war. Augenzeugen berichten von vielen Schaulustigen, die sich dort versammelt hätten, um zu beobachten, was unten auf der Straße passiert. Belege auf den von der Polizei beschriebenen Hinterhalt gibt es bislang nicht. Die Polizei sagt, sie habe entsprechende Warnungen von mehreren zivilen Beamten vor Ort bekommen. Fotos oder Videos, die Molotow-Cocktails oder Gehwegplatten auf Dächern zeigen, hat sie jedoch offenbar nicht - obwohl die Einheiten ausdrücklich angewiesen worden waren, Beweise zu sichern. Die Suche dauere noch an, heißt es bei der Polizei. Auf einer Pressekonferenz zwei Tage nach den Krawallen hatte sie Aufnahmen aus einem Hubschrauber gezeigt, die einen Bewurf mit Steinen und einem angeblichen Molotow-Cocktail zeigen. Jedoch ist unklar, ob es nicht ein Böller gewesen sein könnte. Auch sind diese Bilder erst nach 23.40 Uhr entstanden, als die Polizei schon die Räumung begonnen hatte.
Schon Stunden zuvor hatten sich in der Schanze Hunderte, teils gewaltbereite und vermummte Personen versammelt. Um 17.05 Uhr meldeten Aufklärungskräfte von dort "250 bis 300 Personen der Kat. Gelb und Rot". Zwei Stunden später bewaffneten sich laut den Einsatzprotokollen der Polizei etwa 100 Vermummte mit Eisenstangen und entzündeten im Schulterblatt, vor der Roten Flora, ein erstes Feuer. Einsatzkräfte wurden unter anderem mit Böllern beworfen. Wasserwerfer und weitere Verstärkung wurden daraufhin in den Bereich vor dem Schulterblatt verlegt, sie gingen aber nicht hinein. Die Polizei dachte wohl, die Autonomen würden nicht ihr eigenes Viertel verwüsten.
Hunderte warteten zunächst ab
Um 19.54 Uhr protokollierten die Einsatzkräfte: "Aufklärungskräfte teilten mit, dass sich jetzt ca. 500 Personen im Schulterblatt befinden. Personen zeigen abwartendes Verhalten." Und auch die Polizei machte vorerst nichts und beobachtete weiter, unter anderem wie brennende Barrikaden errichtet wurden. Erst nach 21 Uhr unternahmen Einsatzkräfte einen ersten Vorstoß ins Schulterblatt. Aufnahmen von dort zeigen, wie sie von einer Nebenstraße aus mit Wasserwerfern und einem Räumpanzer vorrückten, sich aber kurze Zeit später wieder zurückzogen, nachdem sie mit Steinen und Flaschen attackiert wurden. Um 21.31 Uhr notierten die Beamten: "Massive Aufrüstung im Schulterblatt". Bei Vorrücken müsse mit schwersten Verletzungen gerechnet werden.
13 vorübergehende Festnahmen, aber keine Beweise bislang
Etwa zur gleichen Zeit beobachteten Beamte offenbar auch zum ersten Mal Personen auf den Dächern. Ob es aber vor allem Schaulustige waren oder tatsächlich gefährliche Gewalttäter, ist unklar. Festnahmen gab es später nur im Haus Schulterblatt Nr. 1. Dort fanden schwerbewaffnete Spezialkräfte vier Personen auf dem Dach vor und weitere neun im Innenhof. Die 13 Festgenommen wurden jedoch kurze Zeit später wieder freigelassen, da ihnen zunächst keine konkreten Taten nachgewiesen werden konnten. Auch fanden die Polizisten offenbar weder Zwillen, noch Molotow-Cocktails oder Gehwegplatten auf einem der Dächer. In der Hamburger Polizei heißt es, die Autonomen hätten eine "effektive Gegenaufklärung" betrieben. Als das Spezialkommando einrückte, seien sie geflohen. Bemerkt haben dürfte den Einsatz des SEK tatsächlich wohl jeder. Denn die Polizisten sprengten eine Tür auf und warfen sogenannte Irritationssprengkörper, wie sonst etwa gegen Terroristen oder Entführer.
In Hamburgs Innenausschuss wird es allerdings nicht nur um den Einsatz in der Schanze gehen, sondern auch um das Vorgehen der Polizei tags zuvor, bei der Demonstration "Welcome to Hell" sowie um die Frage, warum in der Nacht und am frühen Freitagmorgen Hunderte Randalierer durch Teile Hamburgs ziehen, Autos in Brand stecken und Geschäfte demolieren konnten. Nach einer ersten Schätzung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft sind durch die Krawalle in Hamburg Schäden in Höhe von bis zu zwölf Millionen Euro entstanden.