Die Diskussion über die Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg läuft weiter. Am Mittwoch befasste sich der Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft stundenlang mit den Vorkommnissen. Auch die Frage, ob die Polizei immer verhältnismäßig gehandelt hat, steht im Raum. Im Netz kursieren viele Videos und Augenzeugen-Berichte über Polizisten, die übermäßige Härte und Gewalt angewendet haben sollen. NDR Info Reporterin Elisabeth Weydt hat eine Frau getroffen, die sagt, Polizisten hätten sie ohne jeden Grund verprügelt.
Während Rike Bröhan von der Nacht erzählt, in der sie fast den Glauben an die Demokratie verlor, schläft ihre sechsjährige Tochter nebenan. An der Wand hängen Kinderzeichnungen und Gemälde. Die 34 Jahre alte Erzieherin trägt die Haare kurz und blondiert, eine Stoffhose und T-Shirt. Sie wohnt im Schanzenviertel hinter dem autonomen Kulturzentrum Rote Flora. In der G20-Krawallnacht von Freitag auf Samstag war sie mit Freunden in einer Bar einige Hundert Meter entfernt von der Straße mit den brennenden Barrikaden. Kurz nach Mitternacht trat sie aus der Bar. "Drei Meter hab ich mich von der Bar entfernt. Auf einmal sah ich einen Trupp Polizisten auf mich zurennen", schildert sie. "Ich wurde von einem Polizeibeamten ziemlich heftig geschubst und auf den Boden geschmissen mit der Ansage: 'Hier kommst du nicht weiter.'"
"So ein Schlagstock hat enorme Kraft"
Was dann passierte, ist in ihrer Erinnerung nur noch eine Mischung aus Schmerzen und Schlagstöcken. "Ich hab erstmal die heftigen Schmerzen ertragen. So ein Schlagstock hat enorme Kraft." Sogar ihr Handy sei zertrümmert worden. "Es ist ein kolossaler Schmerz, und du bist erstmal so ein Schmerzball. Du merkst, die schlagen von jeglicher Seite auf dich ein, und du schützt dich in dem Moment nur."
Eine Woche lang krankgeschrieben
Rike Bröhan hat mehrere Prellungen davon getragen. Das belegt ein Arztbericht. Sie war eine Woche lang krankgeschrieben. Zu den körperlichen Schmerzen kam ziemlich schnell ein anderes Gefühl: Empörung. "Ich bin einfach wütend über diese Gewalt. Wenn ich ausgesehen hätte wie eine Autonome oder Flaschen geschmissen hätte, dann würde ich es vielleicht noch einigermaßen verstehen. Aber ich habe nichts gemacht. Ich stand da einfach. Da kann es doch nicht sein, dass du als Unbeteiligte so zugerichtet wirst. Warum?" Die 34-Jährige hat Anzeige erstattet.
"Das wird nicht an der Polizeischule gelehrt"
Auch von anderer Seite kommt Kritik: Rafael Behr ist Soziologe an der Akademie der Polizei Hamburg. Seiner Ansicht nach ging die Polizei beim G20-Einsatz mehr als einmal an die Grenze des Legalen. "Wir müssen sehen, dass es auch in der Polizei Dynamiken gegeben hat, die mit einem Rechtsstaat wenig zu tun haben", sagt Behr. "Wenn ich das Video betrachte, in dem ein Polizist aus dem Auto aussteigt und einen, der das Auto blockiert, mit einem gezielten Faustschlag niederstreckt, dann hat der das nicht in der Polizeischule gelernt."
Polizei verteidigt Einsatz
Momentan laufen mehr als 30 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte, die beim G20-Gipfel im Einsatz waren. Die Polizei Hamburg äußert sich nicht zu einzelnen Fällen. Auf Nachfrage von NDR Info und Panorama weist ein Sprecher den allgemeinen Vorwurf von übermäßiger Härte und Gewalt gegenüber Demonstranten zurück. Der Einsatz von Zwangsmitteln habe auf einer rechtlichen Grundlage gestanden.
Sie ärgert sich über Scholz
Rike Bröhan sieht das anders. Sie hat Hamburgs Ersten Bürgermeister, Olaf Scholz (SPD), einen Brief geschrieben. Er hatte auf NDR 90,3 gesagt, es habe während des G20-Gipfels keine Polizeigewalt gegeben. "Ich war so wütend über diese Aussage, weil ich ja die Polizeigewalt am eigenen Körper erlebt habe. Ich musste Scholz das einfach schreiben. Das war schlimm für mich: Dass es nun heißt, ich sei eine Lügnerin und ich hätte mir das alles ausgedacht." Auf eine Antwort von Scholz wartet sie noch.