Polizisten warnen unter der Hand Redakteure der „Kieler Nachrichten“: Sprecht lieber nicht von euren Diensttelefonen aus, „da klinken sich immer unsere Kollegen mit den Kopfhörern ein“. Lauschangriff an der Förde? Fest steht: In Kiel ist die Atmosphäre vergiftet.
Kiel. Kiel, im gemächlichen Norden Deutschlands, ist eigentlich eine eher ruhige Stadt. Doch Thorsten Kramer, Chef des Landeskriminalamtes, erlebt derzeit alles andere als ruhige Tage.
Im Haus 12 des Polizeizentrums Eichhof hat Kramer einige seiner Beamten versammelt. Techniker, Sprecher und einen Kollegen der Landespolizei. Es geht darum zu erklären, was sie nicht erklären können.
Kramer, Mittfünfziger mit grauen Haaren, schüttelt den Kopf und sagt: „Wenn das alles stimmte, wären wir ja nicht die Polizei, sondern eine kriminelle Vereinigung.“
Es ist nun knapp eine Woche her, dass die „Kieler Nachrichten“ einen ungeheuer klingenden Verdacht veröffentlicht haben. Bei einer Untersuchung durch eine unabhängige Spezialfirma hat ein Experte am Dienstwagen des Chefredakteurs Christian Longardt die Signale eines Peilsenders geortet. Ein Video dokumentiert das Phänomen. Außerdem beklagt ein Reporter, dass jemand in sein E-Mail-Postfach eingedrungen sei. Quellen innerhalb der Polizei warnten die Reporter schon seit Langem, bei Gesprächen an den Redaktionstelefonen „klinken sich immer unsere Kollegen mit den Kopfhörern ein“.
„Deshalb haben wir ja alles überprüfen lassen“, sagt Chefredakteur Longardt. Der Verdacht liegt nahe: Hat also die Polizei Journalisten bespitzelt? Ist die Polizei in Schleswig-Holstein, mit den Worten des LKA-Chefs, ihrerseits kriminell?
Ratlosigkeit in Kiel
Das weiß auch eine Woche später in Kiel niemand so genau. Nach der ersten Durchsuchung, bei der Signale eines Peilsenders geortet wurden, der Peilsender selbst aber nicht gefunden wurde, stand der Dienstwagen übers Wochenende in einer verschlossenen Garage. In der Werkstatt war aber auch später kein Peilsender mehr zu finden. Und auch das Signal hatte aufgehört.
LKA-Chef Kramer sieht darin eine Entlastung. Er lässt seine Mitarbeiter erst einmal referieren. Über die Technik von Peilsendern, über die rechtlichen und technischen Voraussetzungen für Telefonüberwachung. Was er und seine Experten sagen wollen, lässt sich ungefähr so zusammenfassen: Jemanden zu überwachen ist für die Polizei gar nicht so einfach. Man braucht viel Technik, viele Beamte – und vor allem viele Genehmigungen. Kramer sagt: „Wir haben keine Journalisten abgehört. Das hätten wir gar nicht gekonnt. Wir haben Regeln, Richter, Gesetze, und an die halten wir uns.“
Doch genau das war in der Vergangenheit nicht immer klar. Auch Kramer selbst steht schon lange in der Kritik. Wenn es nach den Darstellungen mehrerer Polizisten geht, kann dieser eigentlich sympathisch wirkende Polizist ein ungemütlicher Mensch sein.
Die „Kieler Nachrichten“ beschrieben ihn unter Berufung auf mehrere Polizeiquellen als Teil eines „Netzwerks der Polizeiführer“, die systematisch Kollegen unter Druck setzen, wenn diese über internes Fehlverhalten berichten. Seit Langem, sagen Kritiker, sei die Kieler Polizei viel zu sehr darum bemüht, Skandale unter dem Teppich zu halten.
Ein Spitzel bei den Bandidos
Die Affäre um die Kieler Landespolizei schwelt schon lange und ist nicht ganz einfach zu durchschauen. Die Zutaten allerdings stünden jedem Krimi gut zu Gesicht. Es geht um Rockerbanden, Gewalt, Polizeispitzel und Aktenfälschung. Es geht um Whistleblower und aufrechte Polizisten, die aus dem Beruf gedrängt worden sein sollen, weil sie Unrecht nicht hinnehmen wollten. Das rätselhafte Peilsendersignal am Wagen des örtlichen Chefredakteurs, ob es nun von der Polizei stammt oder nicht, ist nur das bisher letzte, spektakuläre Detail eines jahrelangen Dramas.
Alles beginnt im Jahr 2010, auf dem Höhepunkt des Rockerkriegs von Schleswig-Holstein. Fünf Mitglieder der Rockergruppe Bandidos betreten ein Subway-Fastfood-Restaurant in Neumünster und greifen dort drei Mitglieder der verfeindeten Red Devils an – die Hells-Angels-Unterstützer hatten es gewagt, feindliches Gebiet zu betreten. Zwei Devils werden durch Messerstiche schwer verletzt, einem Opfer wird eine Arterie durchtrennt.
Die Soko Rocker im Kieler LKA ermittelt unter großem Druck – der damalige Innenminister Klaus Schlie (CDU) will Erfolge sehen. Bei einer Razzia stellen Hunderte Polizisten Äxte, Messer und Munition sicher, nehmen 14 Bandidos fest. Zeitgleich werden die Hells Angels Flensburg und die Bandidos Neumünster von Schlie verboten. Was da noch niemand ahnt: Ein Spitzel in der Führung der Bandidos hat der Polizei offenbar seit Monaten fleißig zugearbeitet – nach KN-Recherchen handelt es sich dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit um keinen Geringeren als den Präsidenten der kriminellen Gang aus Neumünster, Ralf B.
Auf die Informationen der geheimen Quelle könne man sich „zu 100 Prozent verlassen“, sagt dessen Kontaktbeamter den beiden federführenden Ermittlern im „Subway“-Verfahren. Nur: Verwerten dürften sie dessen Angaben nicht, das habe er seinem Informanten versprochen, um ihn zu schützen, sagt der sogenannte V-Mann-Führer den Ermittlern.
Die wollen das nicht akzeptieren, haben offenbar schwere rechtsstaatliche Bedenken. Denn erstens ergibt die Funkzellenortung, dass das Handy von Ralf B. am Tatort in Neumünster war, weshalb Ralf B. als Verdächtiger gilt – Vertraulichkeit kann es deshalb nicht geben; zweitens hat der Rockerboss zwei Bandidos entlastet, die in U-Haft sitzen und später mit zwei weiteren Kumpanen vor Gericht landen. Mit Nils H. habe man „den Falschen verhaftet“, der sei erst nach der Attacke am Tatort gewesen. Und Peter B., ein weiterer Verhafteter, habe auf jeden Fall nicht zugestochen.
Damit beginnt etwas, das womöglich das Zeug zum Polizeiskandal hat. Beide Aussagen müssten in der Akte dokumentiert werden, fordern die beiden Ermittler – und blitzen bei dem damaligen LKA-Vize Ralf Höhs und Soko-Chef Mathias E. ab. Auch eine Intervention der Beamten beim Oberstaatsanwalt in Kiel bringt keinen Erfolg. Der Vermerk landet erst gar nicht und viel später nur verkürzt in der Akte. Glaubt man den damals ermittelnden Polizisten, begann stattdessen eine regelrechte Mobbing-Jagd auf sie. Die Polizeiführung tat demnach vieles, um ihren Spitzel zu schützen, die Akten rein zu halten und die opponierenden Kollegen kaltzustellen.
„Singende Ratten“ sollen in der Kieler Polizei Polizisten heißen, die Missstände öffentlich machen – ein Wort, das die Polizei allerdings zurückweist. „Diesen Begriff kennt hier niemand“, sagt LKA-Chef Kramer.
Einer, der die Affäre seit vielen Monaten beobachtet und erforscht, ist der ehemalige Piraten-Fraktionschef Patrick Breyer. Der Jurist sitzt in einem Café in der Kieler Innenstadt und erzählt von seinen eigenen Recherchen. Er hat schon mehrere Verfassungsklagen erfolgreich durchgefochten, auch im Landtag galt er bis zur Abwahl der Piraten im Frühjahr als angesehener Abgeordneter. Auch er geht davon aus, dass die Polizeiführung mit aller Macht versucht hat, ihren Spitzel bei der Rocker-Organisation zu schützen – auch um den Preis, einen Unschuldigen auf die Anklagebank zu setzen.
Polizisten mit Suizidgedanken
„Ich höre von vielen Beamten, dass man in Schleswig-Holstein bei der Polizei weg vom Fenster ist, wenn man nicht unbedingten Gehorsam übt“, sagt der 39-Jährige. „Das Muster ist wiederkehrend: lieber illegal als Skandal.“
Ein Polizist habe der Mobbing-Arbeitsgruppe der Landespolizei geschildert, wie er plötzlich nichts mehr zu tun gehabt habe, weil er sich über Mobbing beklagt hatte. Schließlich habe er gekündigt. Andere Polizisten hätten berichtet, sie plagten Suizidgedanken und sie fühlten sich durch die Verfolgung innerhalb der Polizei an Methoden aus dem „Dritten Reich“ erinnert.
Breyer fordert die Veröffentlichung bisher zurückgehaltener Untersuchungsberichte und den Rücktritt der gesamten Führungsspitze: vom Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, Jörg Muhlack, von Landespolizeidirektor Ralf Höhs und auch von LKA-Chef Kramer. „Das ist eine Verflechtung, die man auflösen muss. Das geht nur mit neuen Führungsfiguren.“
Im Polizeizentrum im Kieler Mühlenweg will man von Rücktritt nichts wissen. „Wenn ich mir etwas vorwerfen müsste, würde ich den Stuhl räumen. Aber das ist nicht der Fall“, sagt Kramer. Er vertraue darauf, dass ein neuer Untersuchungsbericht, der nun von dem gesamten Vorgang rund um die Rocker-Ermittlungen im Landtag erstellt werden soll, die Dinge aufkläre.
Auch eine nun von der Staatsanwaltschaft Lübeck eingeleitete Ermittlung zu den Abhörvorwürfen hat längst begonnen. Das sei wichtig, sagt Kramer. Nur so könne bewiesen werden, dass die Vorwürfe nicht stimmten. Er mache sich zunehmend Sorgen um den Ruf der Polizei. Kollegen berichteten, die immer neuen Vorwürfe machten ihnen zu schaffen. „Es greift unser Ethos als Polizisten an.“
KN-Chefredakteur Longardt dagegen verteidigt die anonymen Informanten bei der Kieler Polizei. Es sei eben jenes Ethos, das diese antreibe. „Denen geht es um Rechtsstaatlichkeit, und wir als Journalisten wollen eine rechtsstaatlich agierende Polizei.“
Dirk Schmaler