Rechtsrock-Event in Thüringen: Themar wartet auf „Stahlgewitter“ und „Blutzeugen“

Erstveröffentlicht: 
14.07.2017

Wie bereitet man sich auf Deutschlands größte Rechtsrock-Veranstaltung vor – inklusive der erwarteten Ausschreitungen? Eine Frage, die sich nun eine Kleinstadt in Thüringen stellen muss.

 

Von Stefan Locke, Dresden

 

Sein Telefon klingelt permanent, auch E-Mails kommen am Freitag beinahe im Minutentakt, und es sind „viele sehr hässliche“ dabei, wie der Bürgermeister sagt. Gerade eben etwa habe er Folgendes lesen müssen: „Du rechtsoffenes Arschloch gehörst wie 80 Prozent der Deutschen ausgerottet!“ Hubert Böse ist parteilos und seit 17 Jahren Oberhaupt der Kleinstadt Themar im Süden Thüringens, doch so etwas wie in den vergangenen Tagen hat er noch nicht erlebt.

 

Seit bekannt ist, dass an diesem Wochenende auf einer Wiese am Ortseingang sogenannte Rechtsrock-Bands beim bundesweit wohl größten Neonazi-Konzert des Jahres spielen und sich dazu Anhänger aus Deutschland und Europa treffen werden, ist es mit der Beschaulichkeit des Ortes vorbei. „Seit letztem Wochenende fürchten viele Einwohner auch noch, dass es hier zu Zuständen wie in Hamburg kommen könnte“, sagt Böse. Die Polizei rechnet mit 5000 Rechtsrock-Anhängern und etwa 2000 Teilnehmern bei Gegenveranstaltungen.

 

Unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes

Dabei haben sich weder Böse noch die Einwohner Themars der Rechtsrock-Szene einfach so ergeben. Der Bürgermeister hat lange genauso wie der Landrat aus dem nahen Hildburghausen gegen das Konzert gekämpft. Am liebsten hätte er das Ganze verboten, sagt Böse, doch das sei nicht so einfach. Rathaus und Landratsamt sehen in dem Konzert eine kommerzielle Veranstaltung, weil die Teilnehmer Eintritt zahlten.

Der Organisator, ein Mittdreißiger aus der Thüringer Neonazi-Szene, beruft sich jedoch auf das Versammlungsrecht, weil es zwischen den Liedern auch Wortbeiträge gebe, und bekam darin sowohl beim Verwaltungsgericht Meiningen als auch beim Oberverwaltungsgericht in Weimar recht. Letzteres hatte erst am Donnerstag eine Beschwerde des Landkreises Hildburghausen zurückgewiesen mit der Begründung, dass auch Konzerte Meinungsäußerungen im Sinne des Versammlungsrechts sein können.

 

Mit der Wertung als Versammlung aber steht die Veranstaltung unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Strenge Auflagen oder gar ein Verbot sind damit nicht mehr zu erreichen. Auch der Versuch eines Agrarbetriebes, per einstweiliger Verfügung die Nutzung der Wiese für das Konzert zu verhindern, lief ins Leere. Der Betrieb hatte sich auf einen mündlichen Pachtvertrag berufen, der Eigentümer der Wiese aber bestreitet das. Weil es keinen schriftlichen Vertrag gibt, wies das Amtsgericht Hildburghausen am Freitag das Ansinnen zurück. Die Wiese selbst gehört dem Bürgermeister der Nachbargemeinde Grimmelshausen. Er war bis vor kurzem Mitglied der AfD, die kurzzeitig auch in den Strudel der Ereignisse geriet: Die stellvertretende Landesvorsitzende trat zurück, weil sich die Thüringer AfD angeblich nicht deutlich genug von der Veranstaltung sowie dem Grundstückseigentümer distanziert hatte.

 

Namen wie „Stahlgewitter“, „Blutzeugen“ und „Treueorden“

Bürgermeister Böse hofft nun, dass das Wochenende „nicht aus dem Ruder läuft“. Gemeinsam mit 14 Amtskollegen umliegender Orte hat er zum friedlichen Protest sowie zu einem Friedensgebet in der Stadtkirche aufgerufen. „Rechtsextremismus ist etwas, dem die demokratische Gesellschaft entgegentreten muss!“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Die „als Versammlung getarnten Veranstaltungen“ hätten „rein gar nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun“, sondern seien vielmehr „verbale Brandstiftung“.

Böse sagt, er sei nicht sauer auf die Gerichte, die machten nur ihren Job. Allerdings fordere er von der „großen Politik“, endlich „Leitplanken einzuziehen“, wie mit solchen Veranstaltungen umzugehen sei. „Unsere Geschichte zeigt doch, dass man sich von solchen Leuten nicht alles bieten lassen darf.“

 

Die Veranstalter jedenfalls geben sich gar nicht erst Mühe, ihre Gesinnung zu verbergen. Ihr Motto lautet „Rock gegen Überfremdung“, dabei sind Bands mit unzweideutigen Namen wie „Stahlgewitter“, „Blutzeugen“ und „Treueorden“. An Bauzäunen, mit denen sie das Konzertgelände eingefasst haben, prangten am Freitag Plakate mit Aufschriften wie „Refugees not welcome!“, „Bitte flüchten Sie weiter, es gibt hier nichts zu wohnen!“ und „Südthüringen bleibt deutsch!“ In Themar selbst, sagt der Bürgermeister, sei von der Asylkrise nichts zu spüren gewesen, die Stadt habe keinen einzigen Flüchtling zugewiesen bekommen, der Ausländeranteil sei verschwindend gering.

Viele der 3000 Einwohner Themars wehren sich gegen die Vereinnahmung ihrer Stadt. Sie haben mehrere hundert selbstgemalte Plakate gegen das Konzert in der ganzen Stadt angebracht und mehrere Gegenveranstaltungen organisiert. An diesem Samstag wollen sie zudem ihr jährliches Marktfest feiern. Themar wird dann ein geteilter Ort sein: am Stadtrand das Neonazi-Konzert und im Zentrum Bürgerfest und -protest.

Die Polizei habe sich „auf mögliche Eskalationen intensiv vorbereitet“, versicherte am Freitag Thüringens Innenminister Holger Poppenhäger (SPD). Er habe alle Hundertschaften der Bereitschaftspolizei, mehrere Hundertschaften der Landespolizei sowie Unterstützung aus sechs weiteren Bundesländern angefordert. Das Konzert, sagte Poppenhäger, sei ein großer Schaden für Thüringen. Bürgermeister Böse hofft unterdessen, dass seine Stadt das Wochenende unbeschadet übersteht.