Zurück in die Heimat: für viele afghanische Asylbewerber die denkbar schlimmste Vorstellung. Zumal, wenn sie schon viele Jahre in Deutschland verbracht und sich eingelebt haben. Nicht wenige zerbrechen daran.
In Augsburg kämpft ein 18-jähriger Afghane um seine Zukunft. Ali Reza Khavari besucht zurzeit die zehnte Klasse der Waldorfschule. Seit 2015 ist er in Deutschland. Er spricht gut Deutsch, ist bestens integriert und kann sogar in Kürze eine Lehre in einer Augsburger Bäckerei machen.
Abschiebung trotz bester Integration?
Dennoch hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Asylantrag abgelehnt. Für Ali ist eine Welt zusammengebrochen. Er will auf keinen Fall zurück nach Afghanistan. Seine Familie gehört zu einer von den Taliban verfolgten Minderheit. Sie floh in den Iran. Ali war damals vier Jahre alt. Aber im Iran könne er nicht bleiben, so Ali. Wie andere junge Afghanen aus Fluchtfamilien wolle man ihn dort in den Krieg nach Syrien schicken. Ein Krieg, aus dem kaum jemand wieder lebendig nach Hause komme. So drängte ihn seine Familie, nach Europa zu flüchten.
Experten fordern Abschiebestopp
So wie Ali geht es vielen Afghanen, die aktuell in Deutschland sind. Aber zuletzt ist jeder zweite Asylantrag von Afghanen abgelehnt worden. Viele wurden abgeschoben. Zwar ruhen seit dem Anschlag im Mai nahe der deutschen Botschaft in Kabul Abschiebungen nach Afghanistan, aber in wenigen Tagen könnte damit Schluss sein, warnen Flüchtlingsexperten. Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat fordert einen dauerhaften Abschiebestopp:
"Afghanistan ist nicht sicher. Da sind wir völlig einig mit allen Menschenrechtsberichten oder auch dem Bericht des Flüchtlingshochkommissariats, der Afghanistan als eine Bürgerkriegsregion klassifiziert."
Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat
In so ein Land dürfe man nicht abschieben. Das sei "menschenverachtend", meint Dünnwald.
Hoffnungslosigkeit unter Asylbewerbern
Die bisherige Abschiebepolitik hat offenbar verheerende Folgen. Mediziner und Flüchtlingshelfer berichten von Angst und tiefer Verzweiflung unter afghanischen Flüchtlingen. Jürgen Soyer vom Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge "Refugio München" sagt:
"Bei vielen führt die Verzweiflung dazu, dass sie überlegen, ob sie sich umbringen."
Jürgen Soyer von 'Refugio München'
Statistiken der Polizei und des Bayerischen Sozialministeriums belegen: Die Zahl der Selbstmordversuche von Flüchtlingen hat sich im vergangenen Jahr verdreifacht. Rund 160 Geflüchtete haben in Bayern einen Suizidversuch unternommen – darunter hauptsächlich Afghanen. Vier Flüchtlinge kamen dabei ums Leben. Und das sind nur die registrierten Fälle.
Trotz dieser Zahlen und Warnungen von Medizinern und Flüchtlingsorganisationen sieht das Bayerisches Innenministerium keinen Grund zur Kritik an seiner Abschiebepolitik. Von einem Anstieg von Selbstmordversuchen wisse man nichts.
Gericht lässt Ali bleiben
Ali Reza Khavari hat Glück. Der 18-Jährige hat gegen seinen Ablehnungsbescheid geklagt und Recht bekommen, sofern die Behörden das Urteil nicht noch anfechten. Seine Mitschüler kämpfen mit einer Petition im Netz gegen die Abschiebung ihres Klassenkameraden Ali.