Leipzig. Es waren die schlimmsten Ausschreitungen seit vielen Jahren: Am 12. Dezember 2015 lieferten sich Hunderte Linksextremisten am Rande einer Neonazi-Demo in der Leipziger Südvorstadt Schlachten mit der Polizei. 69 Beamte wurden verletzt, der Sachschaden betrug 360 000 Euro. Mehr als anderthalb Jahre später zeigt sich: Die juristische Aufarbeitung bleibt ein zähes Unterfangen. Das ergaben jetzt die Antworten von Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) auf eine Kleine Anfrage der Linken-Landtagsabgeordneten Juliane Nagel aus Leipzig. Bislang wurden demnach 181 Ermittlungsverfahren eingeleitet, wovon 115 als politisch links und zwölf als rechts motivierte Taten eingestuft wurden. 14 Anzeigen betrafen Polizisten, die sich unter anderem wegen Körperverletzung und wegen des Einsatzes von Tränengas verantworten sollten. Die Ermittlungen richteten sich gegen 119 namentlich bekannte Personen, von denen 93 dem linken und zehn dem rechten Spektrum zugeordnet werden.
Wie schwierig die Strafverfolgung ist, verdeutlichen folgende Zahlen: 69 der 181 Verfahren wurden bereits eingestellt, weil keine Verdächtigen zu ermitteln waren oder die Schuld als gering (Mitführen von Reizgas bei der Rechten-Demo, Festhalten eines Polizisten von Linken) bewertet wurde – das sind fast 40 Prozent. Zu Verurteilungen kam es nur in fünf Fällen. Ein Rechtsextremer wurde wegen des Tragens einer Sturmhaube und damit Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz zu einer Geldstrafe verurteilt. Vier Linksautonome mussten ebenfalls Geldstrafen zahlen, unter anderem wegen Beschädigung eines Polizeiautos und Beamtenbeleidigung. Das Herunterlassen der Hose und Zeigen des nackten Gesäßes, plus eines gestreckten Mittelfingers gegen Polizisten, kam mit 900 Euro teuer zu stehen. Zwei Verfahren wurden gegen Geldauflagen eingestellt (Beamtenbeleidigung, Vermummung), weitere zehn als Ordnungswidrigkeit (Mitführen von Sturmhaube, Zahnschutz) eingestuft. Aktuell läuft eine Anklage wegen Barrikadenbaus, und es wird in 102 Verfahren ermittelt.
„Man muss schon staunen, wie langsam die Mühlen der Justiz mahlen. Ob Bagatellen wie das Mitführen eines Joints oder schwere Delikte wie Steinwürfe gegen Polizisten – die Ermittlungsbehörden sind scheinbar nicht weitergekommen“, stellt die Linken-Abgeordnete Nagel fest und fordert: „Da muss etwas passieren.“ Fraglich sei zudem, ob die Verdächtigen aus Leipzig kamen. „Auffällig ist im Gegenzug, dass neun von 14 Anzeigen gegen Polizeibeamte wegen Gewaltausübung gegen friedlich Demonstrierende eingestellt wurden – weil die Täter nicht ermittelt werden konnten. Das unterstreicht die Notwendigkeit einer Kennzeichnungspflicht“, sagt Nagel.
Dagegen macht Ricardo Schulz für die Staatsanwaltschaft Leipzig klar: Die Ermittlungen beispielsweise wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall und gefährlicher Körperverletzung seien weit fortgeschritten und „befinden sich in vielen Fällen vor dem Abschluss“. Man sei angesichts der bisherigen Dauer des Verfahrens bestrebt, die „aufgrund der Komplexität des Gesamtgeschehens“ umfangreichen und aufwändigen Ermittlungen zeitnah abzuschließen.
Auch die Aufarbeitung nach dem Neonazi-Überfall vom 11. Januar 2016 in Leipzig-Connewitz zieht sich hin. Nur ein Verdächtiger ist bislang angeklagt und ein Strafbefehl erlassen worden. Dagegen mussten 17 von 25 Verfahren, darunter Steinewerfen, eingestellt werden, weil sich kein Täter identifizieren ließ. Die Ermittlungen wegen Landfriedensbruchs gegen die 214 Männer und eine Frau sind noch nicht betroffen. Die Schwierigkeit ist auch hier: Jedem muss eine konkrete Beteiligung nachgewiesen werden.