32 akkreditieren Journalisten wurde der Zugang verwehrt - weil sie ein "Sicherheitsrisiko" seien. Die Frage ist nur: Für wen? Merkels Sprecher Seibert hat die Entscheidung wohl mitgetragen.
Von Cerstin Gammelin und Ronen Steinke
Weit oben über Hamburg tönt der Hubschrauber, und der Polizist vor dem Medienzentrum sagt: "Zeigen Sie mal." Er deutet auf den Akkreditierungsausweis einer Journalistin, hält eine Liste in der Hand, man kann ihm über die Schulter schauen und sehen, dass es zwei Seiten sind, maschinengeschrieben mit handschriftlichen Vermerken. Der Uniformierte sucht nach dem Namen der Journalistin, winkt sie durch.
Schön, dass ich drauf stehe, sagt die Journalistin. Seien Sie froh, dass nicht, antwortet der Polizist.
Was er meint, wird schnell klar. Seit Freitagmittag gibt es an den Kontrollposten des abgesperrten Medienzentrums beim G-20-Gipfel in Hamburg eine schwarze Liste. Auf ihr stehen 32 Namen, die das Bundeskriminalamt und das Bundespresseamt der Polizei durchgegeben haben. Es sind hauptsächlich deutsch klingende Namen, nur zwei könnten arabisch oder türkisch sein. Die Journalisten arbeiten für verschiedene Medien, beispielsweise für den Tagesspiegel, Spiegel online oder die Junge Welt.
Der Verdacht: Die deutsche Regierung war in der Sache speziell Ankara "zu Diensten"
Die Beamten haben die Namen kopiert und an allen Kontrollpunkten verteilt. Wer auf der Liste steht, wird aus dem Pressezentrum rausgelassen, aber nicht wieder rein. Das ist für jeden sichtbar.
Freitagmittag trifft es Willi Effenberger. Er ist freier Fotograf, lebt in Berlin, will gegen halb zwölf ins Medienzentrum, um Bilder zu bearbeiten. Am Donnerstag hat er seine Akkreditierung abgeholt, problemlos. Als er 24 Stunden später seinen Ausweis an den Scanner hält, ploppt eine Fehlermeldung auf. Zwei Polizistinnen sitzen vor einem Bildschirm, sie sind freundlich, rufen einen Herrn vom Bundeskriminalamt, Ingo Mann, der für die Akkreditierung von Journalisten beim G-20-Gipfel zuständig ist. Es tue ihm leid, sagt der Beamte, aber er könne das jetzt nicht ändern. Es gebe "neue Erkenntnisse", wonach der Fotograf ein Sicherheitsrisiko sei. Er nimmt ihm den Ausweis ab.
Kurz darauf ploppt derselbe Warnhinweis bei einem weiteren Journalisten auf, Björn Kietzmann, auch er ein freier Fotograf aus Berlin. Wieder rufen die beiden Beamtinnen am Schalter den BKA-Kollegen Ingo Mann herbei. Als ein dritter Fotograf gestoppt wird, Chris Grodotzki, scherzen die beiden Polizistinnen: Da könne der Herr Mann vom BKA gleich da bleiben, so oft, wie man ihn jetzt rufen müsse.
Was haben Effenberger, Kietzmann und Grodotzki gemeinsam? Der eine fotografiert Staatschefs, der andere Demos, jeder an anderen Orten. Was alle drei verbindet, ist, dass ihre Arbeit sie in der Vergangenheit in die Türkei geführt hat. Das gilt nach Informationen der Süddeutschen Zeitung auch für einen weiteren Fotografen einer Tageszeitung, dem in Hamburg die Akkreditierung entzogen wurde. Er war 2012 in den Kurdengebieten im Südosten.
Effenberger war seit 2013 oft in der Türkei, hat über soziale Bewegungen berichtet. Auch er war 2016 im Südosten des Landes, in diesem Jahr in den kurdischen Gebieten im Norden Syriens. Er wurde dort immer wieder festgehalten, sein Material geprüft. Kietzmann war 2014 in der Türkei, gemeinsam mit Grodotzki. Eigentlich wollten sie einen Hilfskonvoi nach Kobanê begleiten, in die von Islamisten belagerte syrische Stadt direkt an der Grenze. Noch auf der türkischen Seite aber endete die Reise, die Weiterfahrt war zu gefährlich. Stattdessen machten sie dann Bilder in Diyabakır, der kurdischen Stadt, in der es zu dieser Zeit Proteste gegen die Regierung in Ankara gab. Kietzmann verkaufte die Bilder an den Berliner Tagesspiegel, sein Kollege an Spiegel online, und sie hielten mit ihren Kameras auch drauf, wenn Demonstrationen niedergeknüppelt wurden, wie im Oktober 2014.
Eine Gruppe türkischer Männer in Zivil drängte sie ab. Die Männer gaben sich als Anti-Terror-Einheit zu erkennen. Sie erklärten den beiden Deutschen: Sie wüssten ja nicht, ob die Besucher Unterstützer der kurdischen PKK seien, die in der Türkei wie in Deutschland als Terrororganisation gilt. Oder Spione vom Bundesnachrichtendienst. In jedem Fall aber seien sie hier, um Kurden aufzuwiegeln, also um dem Gastgeberland Türkei Ärger zu machen. So erzählt es Björn Kietzmann am Dienstag. Die beiden Fotografen verteidigten sich in Diyarbakır, sie seien gekommen, um zu beobachten. "Nach dem Satz "Fuck journalists" ist nur noch Türkisch gesprochen worden", erzählt Kietzmann. Auf der Polizeiwache in der Stadt kam dann jeder von ihnen in eine eigene Zelle.
Natürlich stimmen sich vor G-20-Gipfeln die Gastgeber mit den Sicherheitsbehörden der Gäste ab. In Hamburg waren Polizisten und Geheimdienstleute aller 19 Gastländer dabei, mitgebracht hatten sie ihre Datenbanken über Extremisten und Terrorverdächtige, beziehungsweise das, was man in Moskau, Ankara und Riad so nennt. An den deutschen Behörden liegt es dann allerdings, diese Hinweise kritisch zu prüfen. In den vergangenen Monaten gab es bereits mehrere Versuche des türkischen Geheimdienstes MIT, das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz einzuspannen, um vermeintliche Gegner des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Deutschland auszuspähen. Das war von deutscher Seite empört zurückgewiesen worden. Und nun?
Gerade mit dem türkischen Geheimdienst ist die Zusammenarbeit weiterhin besonders eng, auch wenn der öffentliche Eindruck ein anderer ist. In die Schlagzeilen kommt eher der Streit, etwa um die Bespitzelung von deutschen Abgeordneten. Auf der Arbeitsebene der Dienste regiert aber Pragmatismus statt Empörung. Man braucht die Türkei für die Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staats, und man ist froh, dass die Türken die Grenze zu Syrien inzwischen abgeriegelt haben und kontrollieren, wer als Rückkehrer unterwegs ist. Diese Zusammenarbeit funktioniere sogar richtig gut, heißt es. "Super", sagt ein deutscher Geheimdienstler.
Der Chef des MIT, Hakan Fidan, war eine Weile in Mönchengladbach stationiert, als Verbindungsoffizier zur Nato. Noch heute spricht er gut Deutsch, schmeichelt seinen Partnern gerne mit einem Plausch über deutschen Fußball. Wenn er mit seinem deutschen Kollegen vom Bundesnachrichtendienst zusammensitzt, dem BND-Präsidenten Bruno Kahl, wie zuletzt im Februar in München, dann sprechen die beiden als Partner. Also nimmt man die Türkei ernst, wenn sie zum G-20-Gipfel Wünsche anmeldet.
Aber wie weit darf das gehen?
Die deutschen Behörden hatten sich viele Wochen Zeit genommen, alle Anträge von Journalisten zu prüfen. Der Fotograf Björn Kietzmann hatte seinen Antrag bereits im Juni gestellt und war als Berichterstatter zugelassen worden. Auch die US-Sicherheitsbehörden hatten in den zurückliegenden Wochen offenbar keine Einwände gegen die 32 Personen auf der Liste. Einem der dort aufgeführten Fotografen war sogar erlaubt worden, die Landung von US-Präsident Donald Trump auf dem Rollfeld des Flughafens aus der Nähe zu fotografieren. Ein anderer hatte die Genehmigung, im Innern der Elbphilharmonie das Konzert für die Staatsgäste zu dokumentieren.
Und dann plötzlich ändert sich die Sicherheitseinschätzung am Freitagmittag für einige der Journalisten, nachdem auch sie zuvor so lange und akribisch überprüft worden waren?
Für Kietzmann und Grodotzki hatte sich, als die Türkei sie 2014 festhielt, das Auswärtige Amt eingesetzt. Gegen beide lag bis Freitagmittag aus deutscher Sicht nichts vor. Erst 2016 hatte Kietzmann noch einmal eine Jahresakkreditierung des Bundespresseamts bekommen. In diesem Jahr hatte er keine beantragt. Kietzmann durfte im Kanzleramt fotografieren. Auf dem G-20-Gipfel hat er fotografiert, wie die Teenies vom "Schülerstreik" mit ihren Transparenten über die Landungsbrücken zogen, bevor er am Freitagmittag ins Medienzentrum des Gipfels zurückkehren wollte, wo noch sein Rucksack lag.
Am Freitag verbreitet sich in der riesigen Halle, wo die Journalisten auf Leinwänden den Gipfel verfolgen dürfen, schnell nervöse Unruhe. Informationen über abgenommene Ausweise wabern durch die Tischreihen. Ein freier Journalist des linken Radiosenders Dreyeckland in Freiburg, der ordnungsgemäß akkreditiert ist, bekommt von Beamten des Bundeskriminalamtes eine klare "Gefährderansprache", als er ins Pressezentrum unterwegs ist. Sie wüssten, wer er sei, was er vorhabe. Er solle aufpassen, sie hätten ihn im Auge. Eine Drohung.
Im Bundespresseamt liegen die Nerven blank. Was wusste Sprecher Steffen Seibert wann?
Effenberger ruft inzwischen bei seinem Auftraggeber an, der Jungen Welt. Er ruft Verdi an, seine Gewerkschaft und Reporter ohne Grenzen. Der Verdi-Anwalt protestiert per Eilantrag gegen das Vorgehen, er kann nichts ausrichten. Inzwischen ist der G-20-Gipfel vorbei, aber Verdi will die Sache nicht auf sich beruhen lassen - und das Bundespresseamt hat jetzt eine Klage am Hals.
Hier liegen nun offenbar die Nerven blank. Regierungssprecher Steffen Seibert hält es für nötig, darauf hinzuweisen, dass Pressefreiheit für ihn und sein Amt "ein hohes Gut" sei. Er muss Schaden abwenden, auch von seiner Chefin. Der Weg vom Presseamt zu Kanzlerin Angela Merkel ist kurz. Regierungssprecher Seibert untersteht ihr direkt. Und er leitet das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Was die Frage aufwirft, wer was wann wusste und dann genehmigte.
Am Abend präsentiert die Bundesregierung eine Erklärung. Nicht erst in letzter Minute, sondern von Beginn an hätten gegen diese 32 Journalisten Bedenken bestanden, "Staatsschutzerkenntnisse" deutscher Behörden. Gemeinsam hätten sich Seiberts Amt und das BKA zunächst aber für einen Kompromiss entschieden. Man würde diese 32 Reporter ins Gipfelinnere hineinlassen, ihnen gleichzeitig aber Schatten anhängen, "BKA-Beamte vor Ort", die sie begleiten sollten.
Heimlich? Seit Mittwoch waren Kietzmann, Grodotzki und die übrigen betroffenen Journalisten beim Gipfel, bewegten sich frei. Von Manndeckung war nichts zu merken. Bemerkenswert auch, dass es nur deutsche Reporter betraf, bei insgesamt 4800 akkreditierten Journalisten.
Erst am Freitagmittag dann, als die Lage sich zuspitzte, so erklärt das BKA, habe man diese "Begleitung" nicht mehr gewährleisten können und zum härteren Mittel greifen müssen: Ausschluss.
Es waren genau 32 Fälle. Neun Akkreditierungen wurden nachträglich entzogen. Die 23 anderen Journalisten tauchten gar nicht erst auf.