Brauner Spuk vorm Stadttor

Erstveröffentlicht: 
13.07.2017

Tausende Neonazis kommen am Wochenende ins südthüringische Themar zu Deutschlands größtem Rechtsrock-Konzert.

 

Von Andreas Förster

 

Arndt Morgenroth steht im einstigen Kolonialwarengeschäft seiner Eltern im thüringischen Themar. Wie es darin aussah, hat der pensionierte Pfarrer noch genau vor Augen. „Hier stand die Ladentheke, wo mein Vater auch mal einen Schnaps rübergereicht hat“, sagt er und deutet mit seinen Armen die Ausmaße des Möbels an.

 

1866 hatte Morgenroths Großvater den Laden aufgemacht, gut einhundert Jahre lang gab es in dem Geschäft alles, was man so braucht in einer Kleinstadt wie Themar. Seit Jahren steht es nun leer, aber was heißt schon leer. Regelmäßig zwischen April und Oktober kommen Bürger aus Themar in das alte Kolonialwarengeschäft im „Haus Morgenroth“, wie sie das Gebäude hinter der St. Bartholomäus-Kirche nennen. Dann gibt es Lesungen, manchmal singt jemand oder spielt Theater. Oder sie reden einfach nur miteinander.

 

An diesem warmen Sommertag ist Morgenroths alter Laden wieder einmal voll. Zwei Dutzend Stühle stehen im Kreis, keiner ist frei geblieben. Bewohner von Themar und aus den Nachbargemeinden sind gekommen, die Pastorin, Kindergärtnerinnen, Einzelhändler, Bürgermeister, auch der Anglerverein ist da und „Themar trifft Europa e.V.“ – sie wollen Gesicht zeigen und reden mit dem angereisten Reporter. Reden über die Neonazis, die zu Tausenden aus ganz Europa zu Konzerten auf einer Wiese am Stadtrand von Themar kommen werden. Es gilt als das bundesweit wohl größte Rechtsrock-Festival des Jahres.

 

Themar liegt in Südthüringen, nicht weit von Hildburghausen und der Landesgrenze zu Bayern. Gut 1 200 Jahre alt ist der Ort, der knapp 3 000 Einwohner hat und am Ufer der Werra liegt. Eine gut erhaltene Stadtmauer schirmt das alte Stadtzentrum zur Bundesstraße 89 ab, trutzig ragen zwei mächtige Wachtürme heraus. Vom alten Stadttor stehen noch die steinernen Seitenpfeiler. Durch sie hindurch führt die Ernst-Thälmann-Straße auf die B 89 zur Gottesacker-Kirche mit Friedhof und der benachbarten Tankstelle. Neben dieser erstreckt sich eine Wiese, 100 Meter lang, 50 Meter breit. Dort wollen am kommenden Wochenende ein Dutzend Nazibands spielen.

 

„Wir haben als Stadt die Wahl, wie wir mit diesen Nazikonzerten umgehen“, sagt Bürgermeister Hubert Böse. „Nehmen wir das mit Murren und Zähneknirschen hin, weil es ja praktisch vor unserer Stadtmauer geschieht, da draußen auf einer Wiese? Oder suchen wir nach Formen des Protestes und des Widerstands?“ Es ist eine rhetorische Frage, was schon der Blick in die Runde im „Haus Morgenroth“ beweist. Helmut Thein aus Lengfeld, einem kleinen Nachbardorf von Themar, spricht aus, was alle hier denken: „Wir können die Braunen zwar nicht vertreiben, weil das nicht in unserer Macht liegt. Aber wir können ihnen zeigen, was wir von ihnen halten – und dass wir uns ihnen in den Weg stellen.“

 

Wer noch einen weiteren Grund dafür herausfinden will, warum Themar sich so sehr zur Wehr setzt gegen die geplanten Nazi-Konzerte, der muss in einen anderen Raum im Haus Morgenroth gehen. Hier hängen Fototafeln an den Wänden, die von einem finsteren Kapitel der Stadtgeschichte berichten – der Vertreibung der Juden während der NS-Zeit. 

 

Langes Schweigen über Schuld


Das Schweigen in Themar darüber hat lange angehalten, sehr lange. Aber seit 2008 arbeiten die Bürger das Schicksal ihrer jüdischen Mitbürger auf. Eine Professorin aus Kanada hilft ihnen dabei, die Lebensgeschichte der deportierten Juden von Themar zu recherchieren. Sie sind auf den Fototafeln im Haus Morgenroth dokumentiert. Vor dem Friedhofseingang haben die Bürger einen Gedenkstein für die jüdischen Familien ihrer Stadt aufgestellt. 

 

Wiese mit AfD-Besitzer


Und auch Stolpersteine sind schon überall in Themar verlegt worden. Die meist in den USA lebenden Angehörigen der damals Vertriebenen werden zu der Zeremonie eingeladen. „Doch wie sollen wir denen unter die Augen treten, wenn sie zu Hause davon lesen, dass in Themar Tausende Nazis aufmarschieren und rassistische und judenfeindliche Lieder singen?“, fragt Morgenroths Ehefrau Barbara. „Auch ihnen sind wir es schuldig, dass wir uns wehren.“

 

Sie hätten ja bereits damit gerechnet, dass sich die Nazis wie in den Jahren zuvor auch diesmal wieder einen Veranstaltungsort in ihrer Region suchen, sagt Bianca Kühn-Pankow, die Bürgermeisterin von Bischofrod. Ihr Dorf habe daher mit den anderen Nachbargemeinden Themars in den letzten Monaten sehr genau geprüft, welche Grundstücke dafür infrage kommen könnten, um rechtzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen. „Wir konnten ja nicht damit rechnen, dass einer aus unserer Mitte uns in den Rücken fallen wird“, sagt sie.

 

Gemeint damit ist Bodo Dressel, der Bürgermeister von Grimmelshausen. Dem 300-Seelen-Dorf wurde mit dem „Simplicissimus“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Dressel war noch als CDU-Mitglied in das Bürgermeisteramt seiner Gemeinde gewählt worden, inzwischen gehört er der AfD an und sitzt in deren Kreisvorstand. Dem AfD-Bürgermeister gehört die Wiese vor Themar. Er hatte sie gekauft, um dort ein Autohaus zu eröffnen. Die Genehmigung dafür bekam er aber nicht, weil gleich hinter der Wiese ein Naturschutzgebiet liegt. Nun hat Dressel das schmale Stück Land an einen stadtbekannten Rechten für die Nazikonzerte verpachtet.

 

Die Konzerte auf der Wiese von Themar sind von den Rechten als Versammlungen angemeldet worden. Begründet wird das damit, dass zwischen den Bands Redner auftreten und politische Statements abgeben. Das Konzert am 15. Juli ist als Kundgebung unter dem Titel „Rock gegen Überfremdung“ geplant. Zu den Rednern werden einschlägig bekannte Neonazis gehören, darunter der frühere NPD-Vorsitzende und mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilten Holocaust-Leugner Günter Deckert und Thügida-Chef David Köckert.

 

Eine Hoffnung in Themar hängt an Gerichten. Ein Landwirtschaftsbetrieb hat einstweilige Verfügungen gegen das Konzert beim Amtsgericht Hildburghausen eingereicht. Außerdem ist eine Beschwerde des Landratsamts Hildburghausen beim Oberverwaltungsgericht gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Meiningen anhängig. Dieses sieht das Konzert als politische Versammlung. Das Landratsamt hatte zuvor anders entschieden und es als kommerzielle Veranstaltung gewertet.

 

In Themar will man sich nicht auf Gerichtsentscheide verlassen. Und so bereitet sich die Stadt vor. Geplant ist zum Beispiel, große Transparente und Plakate an der Zufahrtsstraße zur Veranstaltungswiese anzubringen. Gewerbetreibende im Ort und in den Nachbargemeinden will man davon überzeugen, die Veranstalter nicht zu beliefern, auch Hotels und Pensionen sollten keine Zimmer an die Besucher vermieten. Als Gegenpol zu den Nazi-Konzerten plant man zudem Feste in der Stadt, Musiker und prominente Redner aus Bund und Land will man dafür gewinnen.