Geheimdienst Der Verfassungsschutz hat seine V-Männer aus der rechten Szene gehätschelt. Der NSU-Ausschuss bietet einen erschreckenden Einblick in die deutsche Beamtenmentalität
Die Empfehlung der Bund-Länder-Kommission zu den Ermittlungsfehlern in der NSU-Affäre war eindeutig: Auch künftig solle der Verfassungsschutz mit V-Leuten in der rechten Szene zusammenarbeiten dürfen, allerdings müssten der rechtliche Rahmen und die Kontrolle dieser umstrittenen Kooperation neu geregelt werden. „Der Quellenschutz ist nicht absolut“, stellte das vierköpfige Gremium klar. Bei Straftaten dürfe es keine Freibriefe für V-Leute geben.
Die Innenministerkonferenz nahm den Bericht vergangene Woche nur zur Kenntnis, sichtbare Konsequenzen gibt es nicht. Und das, obwohl bei der Aufarbeitung der NSU-Morde offenkundig wurde, dass Sicherheitsbehörden wiederholt dem Schutz ihrer V-Leute Vorrang vor der Aufklärung gegeben hatten. Einer ursprünglich angestrebten grundlegenden Reform des Verfassungsschutzes und seiner Arbeitsweise haben sich die Innenminister jedenfalls erfolgreich widersetzen können.
Was das speziell für die Arbeit mit V-Leuten im rechtsextremistischen Bereich bedeuten dürfte, wird klar, wenn man sich die Aussagen der sogenannten V-Mann-Führer im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags anhört. In den letzten Wochen hatte mehrere von ihnen darüber Auskunft geben müssen, wie sie ihre Spitzel hegten und pflegten, um von ihnen Informationen zu bekommen. Es ist ein erschreckender Einblick in eine deutsche Beamtenmentalität, die nur zu gern bereit ist, moralische Maßstäbe über Bord zu werfen, wenn es der Erledigung eines Auftrags und damit auch der eigenen Karriere dient.
Zu rechten Kumpels chauffiert
Besonders entlarvend etwa war der Auftritt von Gordian Meyer-Plath, der derzeit kommissarisch das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) leitet. Der studierte Historiker hatte 1995 im Alter von 25 Jahren im Brandenburger Verfassungsschutz angefangen und war zwei Jahre später zum V-Mann-Führer von „Piatto“ aufgerückt. Hinter Piatto verbarg sich Carsten Sczepanski, seinerzeit einer der gewalttätigsten Neonazis in Brandenburg. Er war 1994 im Gefängnis zum Spitzel gemacht worden, als er wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer eine achtjährige Haftstraße absitzen musste.
Kann man einen Neonazi, der mit einer Horde Gleichgesinnter einen Ausländer fast zu Tode prügelt, in den Dienst des Staats stellen? Die Frage werde auf höchster Ebene entschieden, sagte Meyer-Plath. „Die Mitarbeiter, die dann in Auswertung oder in Beschaffung eingesetzt sind, weit unterhalb, müssen das mit Leben füllen.“ Dennoch gebe es natürlich immer einen Abwägungsprozess bei der Frage: Sollen wir mit dieser Person sprechen? „Da heißt es auch, vom Ende her denken“, sagte Meyer-Plath. „Wäre es denn vermittelbar, wenn es bekannt würde?“
Schwer vermittelbar ist jedenfalls, wie geradezu rührend der Beinahemörder Piatto von seinen Führungsleuten umsorgt wurde. Die Verfassungsschützer sorgten dafür, dass er im Gefängnis von der Postkontrolle verschont wurde und ihn seine rechten Kameraden besuchen konnten. Sie nahmen in Kauf, dass er zusammen mit anderen Neonazis aus der Haft heraus rassistische Magazine produzierte, sie statteten ihn mit einem Handy aus, das er sogar mit in den Knast nehmen konnte. Bei seinen regelmäßigen Ausgängen aus der Haftanstalt konnte er einen staatlichen Fahrdienst in Anspruch nehmen. Im Auto fuhren ihn die Beamten umher, damit er verschiedene Erledigungen machen und seine rechten Kumpels treffen konnte.
Spitzelhonorar für Computerspiele
Für seine Informationen kassierte der Neonazi in den sechs Jahren insgesamt 50.000 D-Mark. Das ist übrigens exakt die Summe, die dem von Sczepanski und dessen Freunden fast tot geschlagenen Nigerianer als Schadenersatz zugesprochen worden war. Piatto hatte diesen Betrag aber bis zu seiner Abschaltung als V-Mann im Jahre 2000 nicht beglichen. Sein Spitzelhonorar steckte er lieber in den Kauf von Computerspielen und Hertha-BSC-Fanartikeln, wie der Geheimdienstler Meyer-Plath erläuterte. Er selbst hatte den Neonazi gelegentlich zu dessen Einkaufstouren chauffiert. Den Schadenersatz an das Opfer überwies schließlich die Landeskasse.
Piattos Berichte aus der Szene seien sehr gut gewesen, erklärte Meyer-Plath vor dem Ausschuss. Nachprüfen lässt sich das allerdings nicht. Tatsache bleibt, dass Piatto wie auch andere hochbezahlte V-Leute, obwohl sie allesamt Kontakt in das Umfeld des NSU-Trios hatten, die Behörden nicht auf die Spur der Terrorgruppe brachten.
Wehrsportübungen mit scharfen Waffen
Das trifft auch auf Tino Brandt zu, der von 1994 bis 2001 für den Thüringer Verfassungsschutz aktiv war. Zu Beginn seiner Spitzeltätigkeit, die mit insgesamt rund 200.000 D-Mark entlohnt wurde, hatte er die „Anti-Antifa Ostthüringen“ gegründet, aus der 1996 der Thüringer Heimatschutz (THS) hervorging, dem sich auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe anschlossen.
Insgesamt 120 gewaltbereite Neonazis rechnete der Verfassungsschutz damals dem von seinem V-Mann geführten Heimatschutz zu. Im THS führte Brandt unter den Augen und mit dem Geld des Staats die Nazikameradschaften aus Ostthüringen zusammen, koordinierte politische Aktionen und organisierte Wehrsportübungen mit scharfen Waffen.
Mehr als zwei Dutzend Ermittlungsverfahren gegen Brandt, unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, wurden – nicht zuletzt auf Druck des Verfassungsschutzes – ergebnislos eingestellt. Brandt kam sogar davon, als er zusammen mit anderen Neonazis eine Polizeistreife bedrohte. Die Anwaltskosten für dieses Verfahren beglich das LfV.
"Der ist uns aus dem Ruder gelaufen"
Als im NSU-Untersuchungsausschuss zwei Führungsbeamte des Neonazis vernommen wurden, ging es auch um die Frage, wie die Beamten damit umgegangen seien, dass ihr Spitzel ein gewaltbereiter Extremist gewesen sei. „Man kann damit leben“, sagte der inzwischen pensionierte Beamte Norbert Wießner. „Ich hatte kein Problem damit.
Auch Wießners damaliger Kollege, Reiner Bode, sah das pragmatisch. Vor dem Ausschuss sagte er: „Der Brandt war immer ein Rechtsextremist bis zum Gehtnichtmehr (…) Der ist uns zum Teil auch aus dem Ruder gelaufen, und wir mussten ihn mäßigen und bremsen (…) Und natürlich können Sie nicht ausschließen, dass Gelder, die Sie einem V-Mann, der so bis in die Haarspitzen Rechtsextremist ist – dass der sein Geld auch in Richtung Rechtsextremismus in irgendeiner Form investiert.“
Zynischer Pragmatismus
Auf solcherart zynischen Pragmatismus trifft man in puncto V-Mann-Führung auch im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Die Behörde hatte mindestens drei Neonazis im Umfeld des NSU unter Vertrag: Thomas R. (Deckname „Corelli“), Mirko H. („Strontium“) und Ralf M. („Primus“). Auf die Spur des Terrortrios kamen die Behörden aber auch mit diesen V-Leuten nicht.
V-Mann-Führer im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) war seinerzeit Richard Kaldrack. Vor dem NSU-Ausschuss gab er an, dass es klare Regeln für Spitzel gebe: „V-Personen dürfen grundsätzlich keine Straftaten begehen“, sagte er – um gleich darauf einzuschränken, dass die Unschuldsvermutung auch für Quellen gelte. „Gerade im Rechtsbereich ist es ja so, dass wirklich viele Verfahren eingeleitet werden, die nachher im Sande verlaufen.“
Im Fall von Primus etwa, mit dem das BfV zwischen 1992 und 2002 für ein durchschnittliches Monatshonorar von umgerechnet 300 Euro zusammenarbeitete, hatte das BfV offenbar gleich zu Beginn ein Auge zugedrückt. Kein Wunder, sollte der V-Mann laut Kaldrack doch „praktisch als Kristallisationspunkt der Szene möglichst viele Informationen über die damals relevanten Beobachtungsobjekte beschaffen“.
Zur Sau gemacht und Prämie gekürzt
So war es kein Hindernis, dass die Neonazigröße aus Zwickau 1994 wegen eines Angriffs auf ein Flüchtlingsheim verurteilt worden war. Das Gericht habe „ganz klar eine positive Sozialprognose erstellt“, sagte Kaldrack vor dem Ausschuss. „In dem Urteil steht drin, dass aus der rechten Gesinnung, die zweifelsohne vorhanden ist, nicht die Gefahr erkannt wird, dass weitere Straftaten begangen werden.“
Tatsächlich jedoch soll es gegen Primus 17 weitere Ermittlungsverfahren gegeben haben, die aber – wie so häufig bei V-Leuten – alle eingestellt wurden. Als Kaldrack im Ausschuss mit dieser Zahl konfrontiert wurde, zeigte er sich überrascht. Er könne sich nur an einen Fall erinnern, sagte er. Der Neonazi habe 200 Exemplare einer Rechtsrock-CD erworben und weiterverkauft, die wegen ihrer rassistischen Songtexte verboten war – eine klare Straftat eigentlich. Wurde der V-Mann deshalb abgeschaltet? Nein, sagte Kaldrack vor dem Ausschuss. „Ich habe ihn aber, auf Deutsch gesagt, zur Sau gemacht. Und ihm die Prämie gekürzt.“