AfD-Landeschef Andreas Kalbitz Ein Mann, hart an der Grenze

Erstveröffentlicht: 
26.06.2017

Andreas Kalbitz wettert gegen Multikulti und „Politapparatschiks“. Wohin treibt die Brandenburger AfD mit ihrem neuen Landesvorsitzenden? Ein Porträt.

von Maria Fiedler und Alexander Fröhlich

 

Alte Kamellen. Ewig her. Wer Andreas Kalbitz auf seine rechten Umtriebe der Vergangenheit anspricht, bekommt immer die gleichen Antworten. „Was ich vor 23 Jahren geschrieben habe, würde ich heute nicht mehr schreiben. Ich gestehe mir eine gewisse Entwicklung zu“, sagt der AfD-Politiker dann zum Beispiel. Man solle ihn doch an seiner aktuellen Politik messen.

 

Andreas Kalbitz sitzt in einem hellen Beratungszimmer im Brandenburger Landtag, trägt wie üblich einen blauen Anzug, seine silberumrandete Brille, Glatze. Leicht untersetzt, aber agil. Dass er einmal Fallschirmjäger bei der Bundeswehr war, lässt sich erahnen. In den anderen Fraktionen im Landtag kursiert ein Spitzname für Kalbitz, ein billiger Spaß mit seinem Äußeren: kleiner Himmler. 

 

Kalbitz tritt in Gaulands Fußstapfen


Vor mehr als zwei Monaten schon ist Andreas Kalbitz zum Landesvorsitzenden der AfD in Brandenburg gewählt worden – als Nachfolger von Alexander Gauland, der auch AfD-Vize ist. Schon jetzt ist absehbar, dass Kalbitz Gauland auch auf den Posten des Fraktionsvorsitzenden im Landtag nachfolgen wird, wenn dieser als Spitzenkandidat in den Bundestag weiterzieht. Er ist der unumstrittene Kronprinz.

 

Wer verstehen will, wohin die AfD in Brandenburg steuert, muss sich mit Kalbitz auseinandersetzen. Der 44-Jährige selbst behauptete auf dem jüngsten Landesparteitag in Frankfurt (Oder), es werde mit ihm keinen Rechtsruck geben. Doch die rechtsextremen Bezüge in seiner Vergangenheit kann auch Kalbitz nicht leugnen, er kann sie nur kleinreden. 

 

Die rechten "Jugendsünden" des Andreas Kalbitz


Fakt ist: Kalbitz war Autor für rechtsextreme Publikationen wie das Vereinsblatt der „Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland“. Er war bei den vom Verfassungsschutz beobachteten Republikanern aktiv. Und er leitete einen von Nazis, SS-Offizieren und NPD-Funktionären gegründeten Kulturverein.

 

Als das im Herbst 2015 publik wurde, gab er den Vorsitz auf. Kalbitz sagt: „Das ist Teil meiner Biografie. Ich kann mich ja nicht von mir selber distanzieren.“ Er vergleicht sein rechtes Engagement mit den frühen Aktionen des Grünen Joschka Fischer, der in jungen Jahren Steine geworfen hat, später Außenminister wurde. Es scheint, als wolle Kalbitz seine Vergangenheit als Jugendsünden abtun. Doch hat er das wirklich hinter sich gelassen?

 

Kalbitz ist einer, der gut reden, im persönlichen Gespräch vernünftig klingen kann. Er ist einer der klügeren Köpfe in der zehnköpfigen Landtagsfraktion, der der Ruf als Chaostruppe nachhängt. Wenn, wie so oft, einer der Abgeordneten sich vor der Presse im Kleinklein verheddert, ergreift Kalbitz das Wort und umschifft Untiefen. Er war es, der die Fraktion zusammenhielt, während Gauland die Fäden in der Bundespartei ziehen musste. Und war Gauland doch da, ging Kalbitz raus ins Land: Bürgerrunden, Demonstrationen, Basisarbeit. 

 

Sympathisanten ganz rechts außen


Hört man ihn dort in den Kleinstädten auf Veranstaltungen der AfD oder Parteitagen, wird klar, dass er dem umstrittenen Rechtsaußen Björn Höcke nicht nur nahe, sondern auch in nichts nachsteht. Und dass er zwar nicht mehr wie früher von einem „Ethnozid am deutschen Volk“ schreiben würde, wohl aber immer noch ähnlich denkt – und auch spricht.

 

Zum Beispiel in Cottbus im Süden Brandenburgs. Es ist Ende Mai, eine Lausitzer Initiative demonstriert, 400 Teilnehmer, ein Drittel aus der berüchtigten Hooligan- und Neonaziszene, auch Vertreter der „Identitären“, von Pegida aus Dresden sind dabei. Einst war die NPD in Cottbus stark. Jetzt zieht die AfD. Der Grund für den Protest: In Cottbus kam es vermehrt zu Rangeleien, sogar Messer wurden gezückt. Es war eine explosive Mischung, die da im Stadtzentrum aneinandergeriet: Trinkermilieu, Drogenszene, Jugendliche, rechte Szene und Flüchtlinge. Die Polizei verstärkte ihr Aufgebot, die Stadt erließ ein Alkoholverbot. 

 

Völkische Rhetorik


Auch Kalbitz spricht. Früher schrieb er in Neonazi-Blättern vom „oftmals aussichtslos scheinenden Kampf gegen den kulturellen und völkischen Tod auf jahrtausendealtem deutschen Kulturboden“. Oder vom „Bewußtseinsethnozid in den Köpfen der bundesrepublikanischen Jugend“. So sagt Kalbitz es nicht mehr – nur anders. In Cottbus spricht er von der „indigenen Bevölkerung“, den Urdeutschen also. Er beklagt die „geistige und seelische“ Kastration der Deutschen.

 

Vor der Masse reden, das kann Kalbitz. Immer an der Grenze. Es geht gegen „schwarzafrikanische Bereicherer“, gegen „Politapparatschiks“, die „A-Sozialdemokraten“ - gemeint sind die Sozialdemokraten von der SPD-, gegen Funktionäre, „die sich an unserem Staat fettgefressen haben“, die „auf unserer Geschichte“ herumtrampeln. Deutschland löse sich auf „in den Köpfen und Seelen der Menschen, die durch die Multikultipropaganda der Deutschlandhasser bis zur Selbstvernichtung hin verblendet und verblödet worden sind“. Immer wieder sagt Kalbitz: „Wir holen uns unser Land zurück“. Alles friedlich, gewaltlos, aber „mit der nötigen Härte“. Er spricht von Revolution, Widerstand, vom kleinen Alltagsterror „durch Menschen, die hier hergelockt wurden“. Kalbitz meint nicht islamistische Terroristen. 

 

„Ich bin überhaupt nicht rechtsextrem"


Experten halten Kalbitz wegen all dem für rechtsextrem. Er selbst sagt: „Ich bin überhaupt nicht rechtsextrem und bin es nie gewesen.“ Auch ein völkischer Nationalist sei er nicht.

 

Dass er ein früheres NPD-Mitglied beschäftigte, hält er für nicht problematisch. Auch eine alte Kamelle. Der junge Mann sei nicht lange bei der NPD gewesen. Auf einen Mitarbeiter der AfD-Fraktion mit Verbindungen zur Identitären Bewegung geht Kalbitz gleich gar nicht ein. Es gelte der Beschluss des Bundesvorstands: Keine Zusammenarbeit mit den Identitären, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. 

 

Aber Neonazis scheinen willkommen


Doch die Zusammenarbeit findet statt. Bei Franz Dusatko, Vize-Landeschef beim Parteinachwuchs „Junge Alternative“, etwa. Im Dezember saß er bei 30 Identitären, die das Konrad-Adenauer- Haus, die CDU-Zentrale, blockierten. Im Strategiepapier der AfD zum Wahljahr heißt es: Es müsse „nicht jedes Mitwirken individueller AfD-Mitglieder bei in den Mainstream-Medien suspekten Gruppen“ geahndet werden.

 

Auch in Cottbus störte es Kalbitz nicht, dass Neonazis mitliefen. In der Partei stößt seine Linie auf wenig Gegenwehr. Wahr ist auch: Das Personal ist begrenzt, Kalbitz reicht niemand das Wasser. In Brandenburgs AfD stehen sie hinter ihm. Als er 2015 als Vize-Landesparteichef wiedergewählt wurde, warnte ein Konkurrent, auch ein Abgeordneter, die AfD dürfe nicht zu einer völkischen Trümmertruppe verkommen. Das könnte die Wähler vergraulen. Kalbitz siegte klar. 

 

Den Bereich des Sagbaren erweitern


Worum es Andreas Kalbitz geht, wird klar, wenn man mit ihm über Meinungsfreiheit spricht. Für ihn leben die Deutschen in einer Welt der Diskussionsverbote, die AfD müsse den Bereich des Sagbaren erweitern. „Setze ich das, was eine alleinerziehende Mutter nach vierzig Jahren Arbeit an Rente bekommt, mit dem ins Verhältnis, was den Staat ein minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling kostet, dann gelte ich gleich als Flüchtlingsfeind. Oder sogar als Rassist“, sagt Kalbitz. Es gebe ein breites Tabuthemenfeld in Deutschland.

 

Damit ist Kalbitz auf Höcke-Linie. Beide wollen soziale Themen in der AfD nach vorne stellen, die Partei zu einer „sozialen Heimatpartei“ machen. Zentrale Logik: Geld, das für Flüchtlinge zur Verfügung steht, gibt es nicht für Deutsche. Man könnte auch sagen: Deutsche zuerst.

 

Kalbitz will, dass die AfD ihre Ziele nicht nur in den Parlamenten verfolgt, sondern als breiter angelegte Bürgerbewegung auf der Straße. Sein Parteifreund Höcke nennt die AfD eine Bewegungspartei. Ein Begriff, der mit dem Faschismus verbunden wird. Kalbitz will ihn nicht verwenden, dafür ist er zu klug. „Ich halte die sprachlichen Assoziationen missverständlich bis unglücklich“, sagt er. Doch von der Bürgerbewegung AfD zur Bewegungspartei ist es kein großer Schritt.