Von Polizisten erschossener Geflüchteter soll unbewaffnet gewesen sein
Der Flüchtlingsrat Berlin, die Beratungsstelle »Reach Out« und die Kampagne für die Opfer rassistischer Polizeigewalt haben am Montag die Einstellung der Ermittlungsverfahren gegen jene Polizisten kritisiert, die im vergangenen September den irakischen Geflüchteten Hussam Fadl mit drei Kugeln tödlich verletzt haben. Laut Darstellung der Polizisten hätten sie schießen müssen, um eine Messerattacke Fadls auf einen weiteren Mann zu unterbinden. Dieser hatte zuvor die minderjährige Tochter des Verstorbenen vergewaltigt. In den Medien war damals auf Grundlage der Polizeiinformationen von einem Racheakt des Irakers die Rede.
Diese Behauptung haben nun die drei Initiativen sowie die Ehefrau des Verstorbenen, Zaman Gate, auf einer Pressekonferenz zurückgewiesen. Man habe kurz nach den Schüssen mit mehreren Augenzeugen gesprochen. Keiner habe ein Messer gesehen. Biplab Basu von der Opferberatungsstelle Reach Out sagte, die Polizei habe ein in der Öffentlichkeit weit verbreitetes Bild bedient: »Ein Araber hat immer ein Messer und will Rache ausüben.« Die nun gestartete Kampagne zum Tod Fadls werde man fortführen, »bis die Polizeibeamten vor Gericht kommen«, so Basu. Reach Out unterstützt Betroffene von Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus und leistet Bildungsarbeit zu diesen Phänomenen.
Katharina Mühlbeyer vom Flüchtlingsrat Berlin forderte, das zerrüttete Verhältnis zwischen Geflüchteten und Polizei unter anderem dadurch zu verbessern, indem dieser und weitere Fälle nicht hinter verschlossenen Türen der Staatsanwaltschaft entschieden werden. Die Stimmung unter den Geflüchteten in der Notunterkunft in Moabit, vor der die Schüsse fielen, beschrieb sie mit den Worten eines jungen Mannes einen Tag nach dem Vorfall: »Auf uns wurde geschossen.« Die Menschen in dem Heim hätten den Eindruck, dass die Polizei gegen sie als Geflüchtete vorgegangen sei. Geflüchtete dürften aber keine Angst vor der Polizei haben, wenn diese sie schützen soll.
Laura Janßen von der Kampagne für die Opfer rassistischer Polizeigewalt widmete sich der politischen Dimension des Falls: »Der Tod Hussam Fadls zeigt nur die Spitze des Eisbergs rassistischer Gewalt durch die Polizei.« Häufig würden insbesondere Migranten, Schwarze oder People of Color (ein Sammelbegriff für alle negativ von Rassismus Betroffenen) sowie psychisch kranke Menschen Opfer tödlicher Polizeigewalt. Die strukturelle Ebene der Gewalt gegen diese Gruppen werde bei den stets als Einzelfall geführten Ermittlungen aber ausgeblendet. So gäbe es kaum Verurteilungen bei tödlichen Schüssen oder Reizgaseinsätzen - auch diese enden nicht selten tödlich. Außerdem ermittelten in Deutschland Kollegen gegen Kollegen, weshalb von einem unabhängigen Verfahren nicht die Rede sein könne.
Seit Jahren kritisiert unter anderem Amnesty International das deutsche System und fordert, dass spezielle Dezernate bei den Staatsanwaltschaften für diese Ermittlungen zuständig sein sollen und nicht mehr Polizisten selber. »Hussam Fadl war unbewaffnet«, ist sich Janßen sicher: »Die Notwehrthese kommt in Ermittlungen aber fast immer durch.« Darum konzentriere sich die Kampagne bei ihrer Arbeit auch auf den »institutionellen Rassismus«.
Gate ist die Ehefrau des verstorbenen Fadl. Mit brüchiger Stimme erzählte sie von dem Schicksalstag im September, an dem ihre Tochter vergewaltigt, ihr Ehemann erschossen und sie selbst und ihre anderen Kinder traumatisiert worden seien. »Was wäre, wenn mein Ehemann ein deutscher Staatsbürger gewesen wäre - und kein Flüchtling?«, fragte sie in Richtung Staatsanwaltschaft. Keine weitere Familie solle ein ähnliches Schicksal erleiden wie ihre.
Am Montagabend wollten die Initiativen vor dem Tempelhofer Polizeipräsidium demonstrieren. Eine Stellungnahme zu den Vorwürfen, um die das »nd« die Staatsanwaltschaft Berlin gebeten hat, ist für Dienstag angekündigt worden.