„Meißen hat seine Unschuld verloren“

Erstveröffentlicht: 
30.06.2017

Genau zwei Jahre nach dem Brandanschlag auf sein Haus blickt Bauunternehmer Brumm zurück – als veränderter Mann.

 

Von Dominique Bielmeier

 

Meißen. Ausgerechnet am stürmischsten Tag der Woche und ausgerechnet zu diesem Anlass unterbricht Ingolf Brumm seinen Urlaub an der Ostsee für einen Tag, um nach Meißen zu fahren. In der Nacht zum Mittwoch jährte sich der Brandanschlag auf das Haus des Bauunternehmers in der Rauhentalstraße zum zweiten Mal. Kurze Zeit später hätten dort Flüchtlinge einziehen sollen. Die Tat hatte deutschlandweit für Schlagzeilen gesorgt und Meißens Ruf als rechte Hochburg in Sachsen gefestigt.

 

In einem Wintergarten, der als Konferenzraum dient, sitzt Brumm, vor sich auf dem hellen Holztisch vier prall gefüllte Ordner mit Dokumenten, vier von insgesamt zehn voller Zuschriften: Lob aus den USA oder aus Neuseeland, vor allem aber Nachrichten voller Hass und sogar Morddrohungen. Brumm hat alles aufgehoben.

 

Draußen fällt der Regen wie schwere Bindfäden vom Himmel und gießt die vielen Blumenampeln. Ab und zu erhellt ein Blitz das Gesicht des Unternehmers. Der Donner folgt im Abstand von wenigen Sekunden. „Es war wie jetzt“, sagt Brumm und blickt nach draußen. „Eine Art reinigendes Gewitter.“ Hinterher habe man gewusst, auf welcher Seite man die wahren Freunde finde.

 

Die Zeiten, in denen Brumm und seine Frau mit klopfenden Herzen und mit Handschuhen an den Briefkasten gingen, um ihre Post zu holen, in denen täglich die Polizei vorbeikam, um Mails auszulesen, sind vorbei. Es gibt keine Menschen mehr, die sich vor dem Wohnhaus versammeln und Fotos der Autos machen, die sie dann ins Internet stellen, oder dort den genauen Einkaufsweg von Frau Brumm beschreiben. Es gibt aber noch immer die, die ihn auf offener Straße den „König der Flüchtlingsindustrie“ nennen. Andere, die hinter vorgehaltener Hand noch viel mehr sagen. Brumm hat Freunde verloren, Mitarbeiter, und eine mittlerweile sechsstellige Summe Geld. Und er ist heute ein völlig anderer Mensch als noch vor zwei Jahren.

 

„Es war eine Zäsur in meinem Leben – wie für die gesamte Stadt“, sagt Brumm. Drei Dinge empfinde er, wenn er an den Tag vor zwei Jahren zurückdenke: Dankbarkeit, Enttäuschung und Hoffnung. Dankbarkeit über die Hilfe, die er von Diakonie, Buntem Meißen, der Kirche oder auch völlig Fremden erhalten habe. Enttäuschung über Kommunalpolitiker, viele Stadträte und vor allem das große Schweigen der Masse, das sich nach dem Anschlag breit gemacht habe. In anderen Städten, in denen es ähnliche Vorfälle gab, hätten sich die Politiker danach zusammen an einen Tisch gesetzt und klare Kante gezeigt. Und Meißen? „Meißen hat mit diesem Tag vor zwei Jahren seine mühsam aufgebaute Unschuld seit der Wende, seine weinselige, kleine Unschuld verloren“, sagt Brumm. 

 

Die Täter sind selbst Opfer


Doch er spricht weder im Zorn noch mit Verbitterung über das, was vor zwei Jahren und in der Zeit danach geschehen ist. Im Gegenteil: Er wirkt sehr gefasst. Dass einer der Täter von damals – beides Familienväter aus Meißen – inzwischen wieder auf freiem Fuß ist, macht ihn nicht wütend. „Im Gefängnis werden sie nicht besser“, sagt Brumm. Für ihn sind die beiden Männer ja selbst Opfer. Opfer derjenigen, die Menschen mit ihren Ideologien erst zu solchen Taten anstacheln. Er hat Kontakt zu beiden Familien der Täter gesucht, eine Ehefrau zu Hause besucht, seine Telefonnummer hinterlassen. „Was sie auch ihren Familien angetan haben“, sagt Brumm und beendet den Satz nicht.

 

Durch den Anschlag ist er vom Bauunternehmer zu einer Person des öffentlichen Lebens geworden. Heute engagiert er sich beim Bündnis Buntes Meißen und ist Teil der Initiative „Bürger für Meißen – Meißen kann mehr“. Das Thema Integration hat ihn trotz aller Anfeindungen nicht losgelassen. In seiner Firma beschäftigt er einen Syrer und einen Afghanen; der Kosovo-Albaner, der bei ihm lernt, gehöre zu einem der besten seiner Schule.

 

Hoffnung. Das dritte Gefühl, das Brumm mit dem Jahrestag verbindet. Hoffnung, dass es in Meißen eben doch nicht so hoffnungslos ist, sondern die Menschen langsam umdenken, auch weil sie sehen, dass die oft befürchtete Katastrophe durch die Flüchtlinge ausgeblieben ist. Weil sie sehen, dass die Eltern arbeiten gehen und die Kinder zur Schule. Dort, wo die Flammen in einer Juninacht fast ein ganzes Gebäude zerstört hätten, ist heute viel junges Leben: 21 Kinder leben inzwischen im einstigen Brandhaus.