Wie ich einmal versuchte die RAF zu verstehen

Früher Bambule heute Folklore; T-Shirt Verkauf bei ebay, copyright: Scull City

Diese Meldung hier handelt nicht von einer erfolgreichen antifaschistischen Aktion, sondern vom Scheitern. Ich bin eine junge Journalistin, die weder ein Einzelbüro beim SPIEGEL hat noch mit Politikern im Berliner Café Einstein verkehrt. Anders gesagt: ich konnte weder groß auf Erfahrung noch auf Kontakte und Macht setzen, als ich letztes Jahr beschloss, zum Thema RAF zu recherchieren.  Die Erkenntnis: Fast 40 Jahre nach dem sogenannten deutschen Herbst, nahezu 20 Jahre nach der Auflösungserklärung der RAF hat sich nichts daran geändert, dass in Sachen RAF kein Gespräch möglich ist.

 

Ich habe auf meine Anfragen selten eine Antwort bekommen, häufig eine Absage. Manchmal habe ich mich bei den Absagen - auch wenn sie nicht unfreundlich waren - geschämt, weil offensichtlich wurde wie sehr ich…nervte. Ich bekam auch Antworten, in denen mir mit einem ! geraten wurde, dass ich lieber ein anderes Thema suchen solle, dass ich „ein Rad ab“ hätte, dass ich für den Verfassungsschutz arbeiten würde.

 

Ich bin zu jung, um die Studentenproteste und die Taten der RAF in den 70er und 80er Jahren miterlebt zu haben. Ich wurde zwölf Tage nachdem Gerold von Braunmühl erschossen wurde, geboren.

 

Jetzt kann man sagen: was weiß die schon? Das stimmt. Ich weiß nichts, aber ich habe auch keine Kohlen im Feuer, ich habe nichts zu verteidigen und kein Vorurteil, das ich bestätigen muss. 

 

Ich habe die Freiheit, nicht selbst durch die Vergangenheit belastet zu sein. Das erschien mir gepaart mit genug Naivität, mich an dieses schon vor Jahren tausendmal durchgekaute, längst von allen Experten erklärte Thema überhaupt heranzuwagen, keine schlechte Ausgangsbasis zu sein. 

 

Das war vor einem guten Dreivierteljahr.  Heute gebe ich auf. Ich kann die Mauer nicht durchdringen, dieses Schweigen der (RAF nahen) linke Szene. Es ist eine Welt, die in sich selbst eingeschlossen scheint. 

 

Liegt es an meinen Fragen? Ich habe keine Antworten auf Fragen nach Mittäterschaft am Fall Buback, Herrhausen und anderen gefordert. Ich wollte nicht nach Schuld und Unschuld forschen oder Geständnisse abpressen.

 

Ich wollte hören wie Menschen ihre eigene Vergangenheit sehen, wie sie die Fahndung nach den drei noch immer gesuchten ehemaligen Mitgliedern Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg bewerten, wie sie die linke Szene in Deutschland heute beurteilen. Das sind Fragen, die nicht einfach sind, sicher - aber unbeantwortbar?

 

Im Buback-Prozess kam es 2011 zu folgender Szene: Der Vorsitzende Richter Hermann Wieland müht sich erfolglos ab, die Zeugen zu einer Aussage zu bewegen. Die Zeugen sind u.a. Ex-RAF-Mitglied Günter Sonnenberg. Der Richter versucht an sein Gewissen zu appellieren, um ihn dazu zu bewegen, eine Aussage darüber zu machen, wer Siegfried Buback erschossen hat. Der Staatsanwalt: „Sie sollen nicht bedrängt werden, aber ich gebe zu bedenken, dass es auch andere Werte gibt. Zum Beispiel Moral.“ Günter Sonnenberg schweigt.

 

Ich wundere mich nicht über Günter Sonnenberg, ich wundere mich über die Belehrung des Richters: Was soll Günter Sonnenberg denn sagen? Soll er seine ehemaligen Genossen und Freunde, und das sind sie nun mal gewesen oder sind sie immer noch, belasten? Wäre das nicht ebenfalls unmoralisch? 

 

Ich finde es vermessen wie selbstgefällig der Staatsanwalt darüber urteilt, was moralisch richtig und falsch ist. Solange der Staat weiterhin so tut als hätte er die moralische Instanz inne und keine eigenen Fehler gemacht - Stichwort: Missbrauch des Paragraph 129 a um Jagd auf Sympathisanten zu machen, Haftbedingungen, mindestens Verletzung seiner Aufsichtspflicht beim Tod von Baader, Ensslin und Raspe - solange diese Fehler nicht geklärt werden, wird keiner der betroffenen Menschen sprechen.

 

Genauso falsch und vermessen finde ich es aber auch wie selbstverständlich ehemalige RAF-Mitglieder ihre Vergangenheit nun als ihre Privatsache betrachten. Das hatten sie doch früher auch nicht gewollt. Das Private hatten sie zum Politischen erklärt. Und jetzt? 

 

Sicher, es gibt viele Bücher von ehemaligen RAF-Mitgliedern zum Thema, man kann nächtelang mit ihnen auf der Couch sitzen. So ein richtiger Dialog sind Buchseiten aber nicht gerade. 

 

Mein Eindruck: das ist eine Gemeinschaft, die sicher ist, zu wissen wie die Welt da draußen zu deuten ist. Sobald es aber nach draußen geht, fahren sie die Trennmauer hoch. Als würden sie eigentlich selbst nicht an ihre Ideen und Meinungen glauben. 

 

Dabei haben sicher viele von ihnen tatsächlich immer noch den Impetus, die Welt besser machen zu wollen. Wie soll das gehen ohne nach außen zu treten? Viele sagen, sie hätten heute wichtigeres zu tun, z.B. sich um Flüchtlinge zu kümmern. Ganz so als würde sich es widersprechen, sich über die Vergangenheit auszutauschen, wenn es um die Zukunft geht. Das Gegenteil ist ja wohl der Fall.

 

Man kann mich dumm, dreist und naiv finden. Aber: Vielen scheint es lieber zu sein, nur mit den Leuten zu sprechen, deren Meinung sie sowieso schon kennen. Sie wollen scheinbar einfach in ihrer eigenen Suppe weiter köcheln.

 

Ich wünschte, sie würden sich aus der Deckung trauen statt mit angezogener Handbremse ihr restliches Leben zu verdösen und zum x-mal eine Veranstaltung mit Gleichgesinnten zum Tod Benno Ohnesorgs besuchen. Ich wünschte, jemand würde den großen Zeh aus dem warmen Badewasser heben! Warum nicht noch einmal ordentlich Bambule machen?! Ich bin für: Reingrätschen in das Schweigen, das es dem Staat leicht macht, seine Version der Geschichte aufrecht zu erhalten.

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Willkommen in der Realität, wo die nicht vorhandenen Vergangenheitsbewältigungs-Skills einer in ihrer Filterbubble steckenden Gemeinschaft/Gesellschaft deutlich werden. Dennoch guter Ansatz, schade dass nichts aus dem Projekt geworden ist. Immerhin wurde damit einmal mehr aufgezeigt, wie wichtig Ideologiekritik ist.

Ich bin natürlich hierfür: Der andere Ausgangspunkt, der wie auch immer um Tiefe und Authentizität bemüht ist, kommt aus einem Engagement, d.h. aus dem Interesse, etwas zu lernen – das nicht immer einen direkt praktischen Bezug haben muss, das aber trotzdem aus einem mehr oder weniger konkreten Interesse an sozialer Veränderung entsteht, in dem Maß in dem nicht schon von vornherein eigene Positionen gegen vermeintlich andere verteidigt werden sollen. 

Klar, vermutet Ron Augustin - nicht zu unrecht - dass die meisten Journalisten voreingenommen sind, also Punkt 1. Ich kann auch die Kritik an den "Experten" nachvollziehen. Ich frage mich allerdings: Ist die Konsequenz daraus, sich allen anderen, allen nachkommenden zu verschließen, zielführend? Ein Vortrag an einer Uni mag für den Dozenten angenehm sein, aber es bleibt eben auch beim Dozieren.

Werte Frau Schlosser,

 

ich gehe davon aus, dass Sie (https://patriziaschlosser.com/) sind? Ich möchte ihr Projekt nicht bewerten, aber trotzdem würde mich Ihre Herangehensweise interessieren. Was bezweckten Sie außerdem mit diesem Post in diesem Portal? Die RAF Geschichte wurde wie Sie es richtig einschätzen schon mehrfach aus unterschiedlichen Perpektiven erzählt. Nur nicht von denen, die der Organisation angehör(t)en.

 

Das Interesse an einer Einordnung ist sicherlich groß, aber dies Bedarf einer enormen Anstrengung. Aktuell wäre unklar, für wen die Einordnung notwendig wäre- Zur Rechtfertigung vor den Herrschenden, der Bevölkerung, der BRD oder den ehemaligen Sympathisanten? Die RAF Geschichte und die Einordnung der Praxis der Stadtguerilla, unabhängig von den "Charakterstudien" zu Baader-Meinhof-Enslin und Co., wäre nur dann interessant, wenn sie auf einen fruchtbaren Boden fallen würde. Ich kann die (ehemaligen) Mitglieder der Organisation verstehen, dass der Aufwand einer Aufarbeitung nicht im Verhältnis zur zu erwartenden Resonanz steht.

 

Die heutige Linke kann keinen ähnlichen historischen Kontext aufweisen, wie die damalige "68er" (+ Folgende) und bedarf grundsätzlich einer anderen Praxis. Somit wäre jede historische Einordnung der RAF, durch die RAF selbst, zwar ein historisch wertvolles Dokument, jedoch ohne Anknüpfungpunkte für eine heutige Linke. In diesem Spannungsfeld eine Aufarbeitung vorzunehmen, unter den Bedingungen einer noch immer auftretenden Verfolgung, Stigmatisierung und Popularisierung (oder auch Ikonisierung) wäre dieser Prozess wahrscheinlich nicht durchhaltbar. Die (ehemaligen) Mitglieder der RAF sind "uns" nichts schuldig, sondern wir sind es, die die Revolution vergessen haben.

 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen weiterhin gutes gelingen und wäre über eine Antwort erfreut.

Letztendlich zielt mein Ansatz darauf ab, etwas aus der RAF-Geschichte zu lernen, eine Antwort zu finden auf die Frage nach Radikalisierung, nach Gewalt, nach dem richtigen Umgang des Staates damit. Große Fragen, ich weiß. Aber welche, auf die Gesellschaften immer wieder Antworten suchen müssen und ich denke, diese müssen auch immer nue verhandelt werden. Ich weiß nicht wie alt Sie sind, aber in meiner Generation kennen nur noch wenige das Thema RAF. Das will ich ändern. 

Ja, es stimmt für die ehemaligen Mitglieder und ihre Unterstützer oder anderen, die damit auf irgendeine Art und Weise zu tun hatten, ist es ein großer emotionaler Aufwand. Und hinzu kommt: können sie mir vertrauen? Denn ich kann natürlich nicht garantieren, dass ihnen gefallen wird, was am Ende dabei herauskommt. Ich kann nur garantieren, dass meine Herangehensweise eine unvoreingenomme ist und eine ernsthaft interessierte. Gerade die Tatsache "einer noch immer auftretenden Verfolgung, Stigmatisierung und Popularisierung (oder auch Ikonisierung)" macht es ja umso wichtiger. 

 

Ich finde es interessant, dass Sie geschrieben haben: "die (ehemaligen) Mitglieder der RAF sind "uns" nichts schuldig, sondern wir sind es, die die Revolution vergessen haben." Warum haben wir, Sie, die Revolution "vergessen"?

Lassen Sie uns doch per Mail weiter sprechen: patrizia.schlosser@gmail.com oder verschlüsselt an patrizia.schlosser@posteo.de

Sicher, es gibt viele Bücher von ehemaligen RAF-Mitgliedern zum Thema, man kann nächtelang mit ihnen auf der Couch sitzen. So ein richtiger Dialog sind Buchseiten aber nicht gerade.

 

Wodurch unterscheidet sich das Buch von Karl-Heinz Dellwo von dem, was Sie vermissen? "Das Projektil sind wir - Der Aufbruch einer Generation, die RAF und die Kritik der Waffen" - Gespräche mit Tina Petersen und Christoph Twickel, Edition Nautilus 2007. 221 Seiten Dialog. Reflexionen über den bewaffneten Kampf, ohne zu idealisieren oder zu stigmatisieren.

 

Damit gibt es zumindest für einen Teil von RAF-Geschichte einen Beitrag der Aufarbeitung. Was hatten Sie vor?

Danke kenn ich - find ich gut! Vor allem die eindringliche Darstellung der Gefangenen-Zeit.

mich würde sehr interessieren, was sie mit diesem Artikel genau sagen möchten. Welche Fragen kann man Ihnen beantworten? Was fehlt Ihnen bei der Recherche? Über eine Rückmeldung würde Ich mich sehr freuen.

Gerne - wie lautet Ihre Mailadresse bzw. hier meine: patrizia.schlosser@posteo.de (falls verschlüsselt hier mein key: http://pool.sks-keyservers.net/pks/lookup?op=get&search=0xC55D64F8EBB6085B)

Es fängt schon damit an, dass Sie, falls sie besagte https://patriziaschlosser.com/impressum/ sind eine gmail Adresse benutzen und keinen GPG Key haben. Selbst wenn grundsätzlich jemand bereit wäre mit Ihnen zu reden -> wer so wenig auf Sicherheit achtet stellt in diesem Polizei- und Überwachunbgsstaat für Systemfeinde ein erhebliches Risiko dar = man kann nur schweigen.

Sie können mir gerne eine verschlüsselte Mail schreiben an patrizia.schlosser@posteo.de hier mein key: http://pool.sks-keyservers.net/pks/lookup?op=get&search=0xC55D64F8EBB6085B

Wie Sie auf dem keyserver sehen könne, benutze ich den schon länger. Aber auf der Homepage war's mal an der Zeit, das zu ergänzen. Insofern muss ich wohl sagen: danke für den ruppigen Hinweis.

1. was den ruppigen Hinweis betrifft -> wer nett ist hat es nötig.

2. Trust no one. Trust nothing. Assume everyone else is a malicious actor

3. ich habe von 1974 bis irgenwann in den 80 Jahren in Ludiwgsburg gelebt, Kontakt zum direkten Umfeld gehabt, was mich in gewisser Weise geprägt hat.

4. musste ich in den letzten ~ 11 Jahren lernen was dieser Staat unter Rechtsstaat versteht und wie weit er seine Macht missbraucht wenn er glaubt, dass es seinen Zielen dient, weshalb ein Kontakt mit Ihnen für Sie vermutlich schädlicher wäre als für mich.

Frau Schlosser schreibt und textet für den BR. Wer nach dieser Information wirklich noch mit ihr die Aufarbeitung der RAF-Geschichte betreiben will, muss schon ein ziemlich wirrer Vogel sein. Frau Schlosser, bitte bilden Sie sich nicht ein, Leute, die auf linksunten jemanden zum Reden suchen, würden ernsthaft "linke Debatten" widerspiegeln. Das können Sie natürlich so darstellen. Vermutlich wird es dann ein Stück so recht nach dem Geschmack Ihrer Arbeitgeber.

 

Liebe linksunten-Leute, löscht doch bitte diesen Post. Er hat hier nichts verloren!

Da ich bei meinem Post meinen vollen Namen genannt habe, weiß jeder, dass ich auch schon für den BR gearbeitet habe, wenn er meinen Namen googelt. Ist jetzt nicht gerade eine geheime Angelegenheit. Aber für Sie offenbar ein Beweis für was auch immer - Ihre Feindbilder sind ja wirklich gut geordnet. Nicht nur mich, sondern auch Leute, die mir schreiben, stempeln Sie einfach mal kategorisch als nicht ernst zu nehmen ab. Gibt es für Sie auch eine Schublade, in die man Sie einordnen darf?

Der VP hat mit seinem Post völlig Recht. Und für ihre Schublade sind sie selbst verantwortlich.

Bon voyage !