Es lief viel schief, als Volker Bouffier, Hessens heutiger Ministerpräsident, Innenmminister war. Am Montag musste er vor dem NSU-Ausschuss aussagen.
WIESBADEN taz | Sie fragen und fragen und jetzt ist er endlich da: der Ministerpräsident. Der frühere Innenminister. Derjenige, der vielleicht sagen kann, warum die Öffentlichkeit so lange nichts erfuhr von jenem Verfassungsschützer, der beim Kassler NSU-Mord an Halit Yozgat zugegen war: Volker Bouffier.
In mehr als fünfzig Sitzungen hat der NSU-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags bislang versucht, das Versagen der Ermittlungsbehörden und die zweifelhafte Rolle des ehemaligen hessischen Verfassungsschützers Andreas Temme beim Mord an Halit Yozgat aufzuklären. Temme war unmittelbar vor oder während des Mordes im April 2006, der inzwischen dem NSU zugeschrieben wird, am Tatort. Er galt vorübergehend als Tatverdächtiger.
An diesem Montag ist Temmes damaliger Dienstherr, der Ex-Innenminister und heutige Ministerpräsident Volker Bouffier, CDU, als Zeuge geladen. Bouffier hatte seinerzeit persönlich entschieden, die Landtagsabgeordneten über den schlimmen Verdacht gegen den Verfassungsschützer nicht zu informieren. Er hatte ebenfalls persönlich das Ansinnen von Staatsanwaltschaft und Polizei abgelehnt, die von Temme geführten V-Leute direkt zu vernehmen. Deshalb steht er seit Langem in der Kritik. Am Montag soll er sich vor dem Ausschuss erklären. Der Medienansturm ist entsprechend. Bouffier dämpft die Erwartungen sofort.
Elf Jahre nach den Ermittlungen, fünf Jahre nach seiner ersten siebenstündigen Zeugenvernehmung vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags werde er kaum Neues zur Sache beitragen können, sagt Bouffier vor der Tür in Kameras und Mikrofone. Im Sitzungssaal geht er in die Offensive: „Die Behauptung, ich hätte die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft behindert, ist Unsinn.“Leider, leider vom NSU nichts geahnt
Er habe seinerzeit die von Temme geführten V-Leute in der salafistischen Szene nicht durch eine Befragung durch Polizei und Staatsanwaltschaft verlieren wollen. „Die Staatsanwaltschaft selbst hat damals gesagt, sie erwartet davon nichts Großes“, sagt Bouffier. Vor diesem Hintergrund sei ihm die Verhinderung von Anschlägen wichtiger gewesen.
Allerdings: Polizei und Staatsanwaltschaft sahen das damals anders. Über die Frage, ob die Polizei entsprechende Vernehmungen durchführen dürfe, gab es einen erbitterten Streit, dokumentiert durch zahlreiche interne Schreiben und Vermerke, die der taz vorliegen. Und: V-Mann-Führer Temme hatte nicht nur Zuträger in der salafistischen, sondern auch in der rechtsextremen Szene in Nordhessen. Hätten die Ermittler durch die Vernehmung dieser V-Leute dem rechtsterroristischen NSU auf die Spur kommen können?
„Wenn ich damals auch nur geahnt hätte, dass es auch um Quellen aus der rechtsextremistischen Szene gegangen wäre, hätte ich gesagt: ‚Die kann man selbstverständlich vernehmen‘“, versichert Bouffier. Doch damals habe bedauerlicherweise niemand den NSU auf dem Schirm gehabt.
Auch einen anderen Vorwurf geht Bouffier am Montag offensiv an. Die Landtagsabgeordneten hatten vier Monate nach dem Mord aus der Zeitung vom Verdacht gegen Temme erfahren. Im Innenausschuss des Landtags bewertete Bouffier dies damals als „bedauerlich“, zumal, wenn es auch der Minister erst aus der Zeitung erfahre, so das Sitzungsprotokoll vom Juli 2006. Tatsächlich war Bouffier jedoch gleich nach der Tat informiert worden.Bouffier überstand schon zwei U-Ausschüsse
Wie ist also die Behauptung zu verstehen, er habe erst durch die Zeitung etwas erfahren? Bei der Zeitungslektüre sei er nicht vom Verdacht gegen Temme, sondern von Details der Tat überrascht gewesen, so Bouffier am Montag vor dem Ausschuss. SPD und Linke lesen das Protokoll anders: Bouffier habe die Sache verheimlichen wollen und den Innenausschuss bewusst getäuscht, sagt die Opposition. Trotz allem: Dass sie Bouffier ernsthaft in Verlegenheit bringen könnte, ist unwahrscheinlich.
Schon als Minister überstand er zwei Untersuchungsausschüsse. In dem einen Fall konnte er eine Anklage wegen Parteiverrats nur durch Zahlung einer Geldbuße abwenden; im anderen Fall musste das Land Hessen einem Ex-Polizisten 30.000 Euro Schadenersatz zahlen, weil ihm Bouffier die Möglichkeit einer Konkurrentenklage genommen hatte. Seitdem gilt er, wie sein Parteikollege und Amtsvorgänger Roland Koch, als affärenresistent.