Der Staatsschutz sammelte Bilder von Demos, Informationen über Arbeitsplätze und Facebook-Profile – wohl ohne rechtliche Grundlage. Polizisten in Göttingen haben offenbar jahrelang Hunderte politisch linksorientierte Menschen überwacht. Sie sammelten Informationen über persönliche Eigenschaften und Jobs, sogar private Fotos – obwohl bei den meisten gar keine Straftaten vorlagen. Jetzt wehren sich acht Betroffene und verklagen die Polizei. Möglich wurde das nach Informationen von BuzzFeed News, weil ein ehemaliger Polizist nicht länger schweigen wollte.
„LIMO“ klingt harmlos, nach einem Erfrischungsgetränk, nach Sommer. Bei der Göttinger Polizei steht das Kürzel für „linksmotiviert“ – und dieses Etikett vergaben die Beamten der für politische Straftaten zuständigen Staatsschutzabteilung offenbar äußerst freigiebig: Nicht weniger als fünf prallgefüllte Ordner mit der Aufschrift „LIMO“ hat ein Kriminaloberkommissar des Göttinger Staatsschutzes fotografiert, ehe er vor zwei Jahren pensioniert wurde.
Hausdurchsuchung bei einem internen Hinweisgeber
Der pensionierte Polizeibeamte wirft seinen ehemaligen Kollegen rechtswidriges Handeln vor – in großem Stil. Als er sich mit seinen Beweisen an hochrangige Beamte in Innenministerium und Landeskriminalamt wendet, leitet die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein. Nicht gegen die Datensammler, sondern gegen den Ex-Polizisten. Sogar das Haus des 63-Jährigen wird durchsucht.
Denn der Inhalt der Ordner ist brisant: persönliche Daten von Menschen, die die Staatsschützer der traditionell starken linken Szene der niedersächsischen Universitätsstadt zurechnen. Darunter sind sogar Mitglieder der nicht unbedingt als linksradikal bekannten Grünen Jugend. Wie viele Männer und Frauen erfasst wurden, lässt sich nur schätzen. Es müssen Hunderte sein. Und nur gegen einen Bruchteil von ihnen liefen polizeiliche Ermittlungen.
Wie groß die Neugier des Staatsschutzes war, lässt sich den Ermittlungsakten entnehmen, die BuzzFeed News teilweise einsehen konnte. Darin enthalten sind nicht nur die Fotos der Aktenordner – drei blau beklebte für Männer, zwei mit rosa Rückenschildern für Frauen. Der langjährige Polizeibeamte hat auch einige Seiten ihres Inhalts kopiert, um sich bei seinen Vorgesetzten über das seiner Ansicht nach ungesetzliche Vorgehen beschweren zu können. Was er mehrfach – doch stets vergeblich – getan haben will.
Bilder von Demos, Arbeitsplätze, Facebook-Profile
Es sind zumeist Auskünfte des Einwohnermeldeamts, inklusive Foto, welche die Staatsschützer nach Kräften ergänzten: mit Bildern von Demonstrationen, mit Informationen über die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen, über die mutmaßliche Zugehörigkeit zu einer politischen Gruppierung, den Arbeitsplatz, das Vorhandenseins eines Facebook-Profils.
Sogar dass jemand als Jugendlicher auffiel, weil er Erwachsene Alkohol für sich kaufen ließ, ist notiert. Obwohl das aus der offiziellen Datenbank der Polizei bereits gelöscht war, wie ebenfalls akribisch vermerkt wurde.
Und damit nicht genug: Wie aus kopierten E-Mail-Berichten hervorgeht, wurden Menschen, die den Staatsschützern bekannt wurden, regelrecht observiert. Und von denen, die sie noch nicht kannten, sammelten die Beamten Fotos an einer Magnetwand. Auch Privatbilder sind darunter.
Acht Betroffene klagen nun
„Es gibt keine rechtliche Grundlage, die eine Datenerfassung in dieser Größenordnung rechtfertigen könnte“, sagt der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam. Er hat deshalb für zunächst acht Betroffene Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht.
Die Akten seien nicht nur illegal, sondern offenbar auch im Geheimen geführt worden: „Für einen der erfassten Menschen habe ich unlängst ein Auskunftsersuchen gestellt, weil er wissen wollte, was bei der Polizei über ihn gespeichert ist“, berichtet der Anwalt. „In der Antwort wurden diese Unterlagen mit keiner Silbe erwähnt.“
Die Göttinger Polizei gibt zu den Vorgängen keinerlei Stellungnahme ab. In der Ermittlungsakte aber findet sich die Aussage des Chefs der Staatsschutzabteilung. Es habe diese ausufernde Schnüffelei nie gegeben, behauptet der Kommissariatsleiter. Das war allerdings, bevor das Haus seines ehemaligen Mitarbeiters durchsucht und die Belege sichergestellt worden waren.
Ermittler werfen dem Hinweisgeber Erpressung vor
Nun werfen die Ermittler dem pensionierten Polizisten versuchte Nötigung oder gar Erpressung vor – in dem Ermittlungsverfahren, das eingeleitet wurde, nachdem der Polizist sich vertrauensvoll unter anderem an einen Beamten des niedersächsischen Innenministeriums und an den Präsidenten des niedersächsischen Landeskriminalamts (LKA) gewandt hatte.
Der pensionierte Polizist soll, teilt die Göttinger Staatsanwaltschaft auf Anfrage schriftlich mit, „angedroht haben, dass er vertrauliche Unterlagen des Staatsschutzkommissariats veröffentlichen werde, wenn er nicht rückwirkend auf den Dienstposten eines Kriminalhauptkommissars befördert werde“. Außerdem bestehe der Verdacht des „Verwahrungsbruchs“: Der Beschuldigte habe dienstliche Unterlagen „an sich genommen und damit der dienstlichen Verfügung entzogen“, heißt es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft.
Rechtsanwalt Christian Woldmann aus Hamburg, der den Ex-Polizisten zusammen mit seinem Göttinger Kollegen Adam vertritt, hält diese Vorwürfe für haarsträubend. Sein Mandant habe bis heute immer nur intern gegen das Datensammeln protestiert. Dass er nun zwei Jahre nach seiner Pensionierung den unterstellten Erpressungsversuch gestartet haben soll, sei barer Unsinn. Und wie man Akten der polizeilichen Verfügung entziehen könne, indem man sie fotografiert oder kopiert, das bleibe das Geheimnis der Staatsanwaltschaft.