Im Prozess um ein rassistisches Fanal bei einem Sommerfest in Polenz berichtet eine Mutter vom Trauma ihrer Zehnjährigen.
Von Alexander Schneider
Die dreiwöchige Sitzungspause hat kaum etwas am Erinnerungsvermögen von Zeugen im Prozess um ausländerfeindliche Gewalttaten beim Sonnenwend-Fest des Polenzer Schalmeienorchesters geändert. Mitte Juni 2016 sollen drei Männer abends erst zwei Bulgaren und eine Stunde später einen Deutschen, den sie für einen Rumänen hielten, zusammengeschlagen und verhöhnt haben. Mehrfach sollen die Männer laut Anklage auch nationalsozialistische und ausländerfeindliche Parolen wie „Heil Hitler“, „Sieg Heil“ oder „Scheiß-Asylanten“ skandiert haben.
Seit der Tat ist das traditionelle Sommerfest in Polenz Geschichte. Die strafrechtliche Aufarbeitung dessen, was sich in dem Ortsteil von Neustadt/Sachsen zugetragen hat, stellt das Landgericht Dresden vor unerwartete Hürden. Die meisten Zeugen – Besucher, Veranstalter und Feuerwehrmänner – machten überraschende Erinnerungslücken geltend. Richter Herbert Pröls, der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer, spricht neuerdings Zeugen auf diese „seltsame, medizinisch nicht erklärbare Amnesie“ an. Seit Mitte April müssen sich die Angeklagten im Alter von 24, 33 und 38 Jahren vor dem Landgericht Dresden wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. Dem Hauptangeklagten Sebastian K. (33) aus Bad Schandau wird darüber hinaus versuchter Mord vorgeworfen. Er habe einem der am Boden liegenden Bulgaren mehrfach mit einem Bierkrug auf den Schädel geschlagen und damit den Tod des Mannes in Kauf genommen.
Tochter in unmittelbarer Tatnähe
Die Mutter, die am Montag als erste Zeugin befragt wird, ist eine positive Ausnahme. Die 47-Jährige erinnert sich gut an jenen Abend. Ihre zehnjährige Tochter sei auf sie zugestürzt und habe gesagt: „Mama, da hinten wird gerade jemand erschlagen!“ Sie selbst sei hin und habe gesehen, wie ein Täter mit einem Bierglas auf einen Mann am Boden einschlug. Ein anderer habe offenbar versucht, den Schläger abzuhalten. Möglicherweise ein Feuerwehrmann. Der Bulgare habe am Boden gelegen, „mit aufgeplatztem Schädel“. Sie habe sofort den Notarzt alarmiert. Dann sei sie mit ihrer Tochter und anderen Kindern ins Festzelt, um sie abzulenken. Später seien Männer, darunter K., den sie als den Bierkrug-Schläger mit hoher Wahrscheinlichkeit erkannte, gekommen und hätten dort wieder rechtsextreme Parolen gerufen.
Auch die Tochter dieser Frau wurde Opfer. Das Mädchen erlitt ein Trauma, wird bis heute regelmäßig behandelt, um mit den Bildern, die es gesehen hat, fertig zu werden. Das Kind habe die Tat aus unmittelbar Nähe erlebt, berichtet die Frau. Erst seit Februar könne das Kind wieder alleine in seinem Zimmer schlafen.
Michael H. setzt mit seiner Aussage anschließend die leidige Serie der „Amnesie-Zeugen“ fort. Er wisse etwa nicht, was ihm damals seine 15-jährige Tochter, die auch unmittelbar in der Nähe war, gesagt habe. Der Mann, der als Brandwache vor Ort war, sagt ohne rot zu werden: „Aus politischen Sachen halte ich mich heraus und bin sehr gut gefahren damit bis jetzt.“ Es ist der Jugendwart der Polenzer Feuerwehr. Der Prozess wird fortgesetzt.