Gescheiterter Neonazi-Prozess in Koblenz: Völlig verhoben

Erstveröffentlicht: 
30.05.2017

Einer der größten Prozesse gegen Neonazis in Deutschland endet mit einer krachenden Niederlage für den Rechtsstaat. Dazu hätte es niemals kommen dürfen.

 

Ein Kommentar von Jörg Diehl

 

Dass er auf dem rechten Auge blind sein könnte, hat dem Koblenzer Oberstaatsanwalt Walter Schmengler noch niemand vorgeworfen. Es gibt wenige Strafverfolger in Deutschland, die so engagiert sind, wenn es die Straftaten von Neonazis zu verfolgen gilt. Ein Verteidiger sagte einmal über Schmengler, er sei ein "frenetischer Verteidiger der freiheitlich-demokratischen Grundordnung". Insofern dürfte ihn der klägliche, ja peinliche Ausgang eines der größten Prozesse gegen Neonazis in der deutschen Rechtsgeschichte selbst am allermeisten schmerzen.

 

Die besondere Tragik der Geschehnisse liegt darin, dass Schmengler mit seinem Engagement wohl erheblich zum Absturz der Koblenzer Justiz beigetragen hat. Seine 926-seitige Anklageschrift, die im Mai 2012 Rechtsextremisten des "Aktionsbüros Mittelrhein" unter anderem die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorwarf, war überdimensioniert, das daraus resultierende Verfahren kaum beherrschbar: 26 Angeklagte, 52 Verteidiger - darunter einige Szeneanwälte - ein solches Mammutverfahren musste die strafprozessualen Möglichkeiten eines Landgerichts sprengen.

 

Allein die Stellungnahmen, die jeder Verfahrensbeteiligte auf jeden Antrag eines anderen Verfahrensbeteiligten abgeben konnte, sollen inzwischen Tausende Seiten in den Akten der Kammer füllen. Schmengler wollte mehr, als der Rechtsstaat leisten konnte, das war ein Fehler, so edel seine Motive gewesen sein mögen. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.

 

Hinzu kam: Der Ehrgeiz des kämpferischen Oberstaatsanwalts traf unseligerweise auf das Unvermögen des Gerichts. Die Kammer unter dem Vorsitz von Hans-Georg Göttgen, dessen bevorstehende Pensionierung den Prozess platzen ließ, war nicht in der Lage, jemals die Lufthoheit über den Saal zu erringen. Manchmal hatte man den Eindruck, in dem Millionen Euro Steuergelder verschlingenden Verfahren machte eigentlich jeder, was er gerade wollte: Schöffen verteilten Schoko-Nikoläuse oder lasen im Handy, Angeklagte schmökerten in Romanen, und Anwälte spielten auf ihren Laptops Kartenspiele.

 

"Manchmal kam ich mir vor wie im Irrenhaus", sagt einer der beteiligten Verteidiger.

 

Dass die Kammer den Prozess nach mehr als 300 Prozesstagen nun wegen einer überlangen Verfahrensdauer einzustellen versucht, die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, scheint nicht nur juristisch fragwürdig, sondern ist auch moralisch niederschmetternd. Wie kann es sein, dass sich sämtliche Vorwürfe gegen Neonazis, die laut Anklage immerhin die Demokratie abschaffen wollten, dann in Luft auflösen, wenn nur genug Zeit vergangen ist? Zumal die Kammer an der enormen Dauer des Verfahrens nicht ganz unbeteiligt war.

 

Die Posse ist eine Schmach für den Rechtsstaat im Allgemeinen und für die rheinland-pfälzische Justiz im Besonderen. Das ist gerade deshalb besonders unerträglich, weil die Feinde von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit dieses fahrlässige Agieren für ihre Zwecke instrumentalisieren werden. Selten hat sich das Gesetz so blamiert wie in Saal 128 des Koblenzer Landgerichts.