Götz Kubitschek und die Juden

Erstveröffentlicht: 
29.05.2017

In einem Gespräch (sezession.de/54541/der-fall-wolfgang-gedeon-ein-austausch-zwischen-marc-jongen-und-goetz-kubitschek.html) mit dem AfD-Hausphilosophen Marc Jongen über den Fall Wolfgang Gedeon hat Götz Kubitschek, Chefideologe der Neuen Rechten in Deutschland, den Antisemitismus rehabilitiert.   Um es vorwegzunehmen: Schlimmer als der Antisemitismus Kubitscheks, über den gleich zu reden sein wird, ist die  Attitüde dieses Halbgebildeten, der sich als Großintellektuellen inszeniert: „Mir bleiben ja nun leider die Ordnungs- und Sortierungskämpfe innerhalb Ihrer Partei nicht verborgen …“ „Mir und vor allem meiner Frau Ellen Kositza entgeht nichts von Bedeutung.“ Das philosophische Namedropping wäre zum Fremdschämen, könnte man sich dazu durchringen, sich für einen Dreigroschenjungen Wladimir Putins zu schämen: „Im ehernen Zeitalter (Evola), in verblühenden Epochen (Spengler), welthistorischer Häutungen (Nolte) oder Ausstiegsprozessen ganzer Kulturkreise aus der Geschichte (Sloterdijk) wird man bestimmt durch die nicht hintergehbare Zeit und das daraus bestimmte Sein (Heidegger).“ Yo man.

 

Mir fällt dabei eine Anekdote ein, die mir mein Vater erzählte. Bevor er 1933 in die Emigration ging, besuchte er seinen verehrten Lehrer Ulrich Haacke, der damals schon glühender Nationalsozialist war und später Geschichtsbücher für das Regime verfasste. „Sie müssen verstehen, Marquis“, sagte Haacke, „das deutsche Volk braucht einen Führer.“ „Ja,“ erwiderte mein Vater, „und es nimmt ihm ohne Ansehen der Person.“ Offenbar nimmt die Neue Rechte auch ihre Philosophen nach dem gleichen Prinzip.


In Preußen galt die Devise, „Mehr sein als scheinen“, in Schnellroda gilt das Gegenteil. Und weil viele Leute auf die Selbsterhebung Kubitscheks zum Großdenker hereinfallen, zuletzt auch mein Freund Tuvia Tenenbom, der sich auf Kubitscheks „Rittergut“ vom Fotografen des „Spiegel“ zum Horst machen ließ, muss man sich wohl oder übel mit dem Quatsch befassen, den Kubitschek absondert.


Wolfgang Gedeon, das Minenopfer


Kubitschek steigt schon verharmlosend in die Diskussion ein, indem er behauptet, es gehe um den „ob seiner antizionistischen Schriften in die Kritik geratene Wolfgang Gedeon“. (Da haben wir schon wieder dieses Getue: „ob“ statt „wegen“. Egal.) Es geht bei Gedeon aber nicht um Antizionismus, und er ist nicht „in die Kritik geraten“. Wenn der Ex-Maoist und Abgeordnete des Baden-Württembergischen Landtags von den Juden als „innerer Feind des christlichen Abendlandes“ spricht, dann hat das weder mit Zionismus noch mit Antizionismus zu tun; und dann „gerät er nicht in die Kritik“, sondern fordert die Kritik heraus. Wie denn Kubitschek sagt: „Es gibt nun einmal Themenfelder voller Minen, und nicht immer ist klar, wer sie gelegt hat und warum jemand hineinspringt, um einen möglichst lauten Knall herbeizuführen.“


Wobei selbst diese Kritik – sofort übrigens abgeschwächt durch den Hinweis, Gedeons „Antrieb“ sei vermutlich „redlich gewesen“, er „denkt sicherlich gut über unser Land“ – eine Unterstellung enthält, nämlich die: Irgendjemand habe „Minen“ – diese hinterhältigsten aller Kriegsgeräte – gelegt, um einen gutdenkenden, redlichen Deutschen wie Gedeon in die Luft zu sprengen.


Gegen den „weltanschaulichen Hygienefimmel“ – für den ideologischen Schmutz


Wer sind denn diese Minenleger? „Wir bewegen uns ja fraglos sofort in tabubewehrten Zonen, wenn wir über die weltgeschichtliche Bedeutung des Judentums, des Zionismus oder der Holocaustindustrie nachdenken und unsere Gedanken äußern“, so Kubitschek, entweder für das Kollektiv der Deutschen sprechend oder das Pluralis Majestatis verwendend. „Man kann die Tabus aus wissenschaftlicher Sicht aber auch ablehnen, und zwar ohne jede Prüfung der Sachverhalte, nämlich schlicht, weil es keine Frage- und Forschungstabus geben sollte.“


Gewiss kann man das. Die nicht nur tabu-, sondern auch strafbewehrte Leugnung des Holocausts etwa sollte nach meiner Meinung so straffrei sein wie die Leugnung der Tatsache, dass die Erde eine Kugel ist oder dass die Evolution die Vielfalt der Arten hervorgebracht hat. Nur darf man unterstellen, dass wer „die weltgeschichtliche Bedeutung des Judentums, des Zionismus oder der Holocaustindustrie“ in einem Atemzug nennt, es mit den Juden nicht so gut meint wie der gute Wolfgang Gedeon mit den Deutschen. Und dann sollte man das auch laut und deutlich sagen. Für Leute, dies es mit den Juden nicht gut meinen, gibt es eine Bezeichnung, und die lautet: Antisemit. Das, um eine beliebte Redewendung aus rechtsextremen Kreisen aufzugreifen, wird man wohl noch sagen dürfen.


Kuitschek kritisiert den „weltanschaulichen Hygienefimmel“ derjenigen, die Gedeon kritisiert haben. Mit anderen Worten: Wer den Antisemitismus kritisiert, ist psychisch krank, wie einer, der einen Waschzwang hat. Man wird das ja noch sagen dürfen, nicht wahr. Gedeon aber „gehört zu jenen, die das, was unserem und anderen Völkern widerfährt, für den Ausdruck eines Ringens machtvoller Akteure halten. Es steckt dahinter das Bedürfnis, den vermeintlich zum straffen, mündigen und dienstbereiten Leben fähigen Menschen als Opfer sehr viel mächtigerer Kräfte zu beschreiben.“


Nun stimmt Kubitschek mit diesen Ausführungen zu, dass „unserem und anderen Völkern“ (über die Grammatik sehe ich hier hinweg) etwas „widerfährt“. Nur hält er Gedeons Theorie der jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung „für lehrreich, aber nicht hinreichend“. Immerhin aber doch lehrreich. Denn „natürlich habe ich mich auch mit der welthistorischen Rolle des Volkes ohne Staat beschäftigt: mit dem Judentum, das nicht auf einem Territorium, sondern aufgrund intensivster Identitätserzählung, Abstammungsdisziplin und dem Bewusstsein göttlichen Auserwähltseins sich als unverwechselbare Gruppe behauptete.“


Hitler als Vordenker, Glaser als Nachbeter


„Natürlich“ ist nur eins, nämlich dass diese Kennzeichnung der Juden völliger Unsinn ist. Sie leitet sich weniger aus jener intensiven geistigen Beschäftigung mit der „Weltgeschichte“ und der Rolle der Juden darin als vielmehr der offensichtlich zustimmenden Lektüre der Schriften Adolf Hitlers. So findet sich der Hinweis auf die angebliche „Abstammungsdisziplin“ der Juden im ersten und bekannten Werk Hitlers über die „Judenfrage“, nämlich im Brief vom 16. September 1919 an Adolf Gemlich: „Durch tausendjährige Innzucht (sic!), häufig vorgenommen in engstem Kreise, hat der Jude im allgemeinen seine Rasse und ihre Eigenart schärfer bewahrt, als zahlreiche der Völker unter denen er lebt.“


Gleichzeitig sei der Jude, wie Hitler in „Mein Kampf“ und in seinem „Zweiten Buch“ ausführt, „zur Staatenbildung unfähig“, weshalb er als „Volk ohne Staat“, als „bodenlose Rasse“ – oder, um mit Kubitschek zu reden, sich „nicht auf einem Territorium“ behauptendes Volk – die universellen Gedankengebäude des Liberalismus und den Marxismus zwecks „Entnationalisierung“ und Unterwerfung der anderen Völker entwickelt habe. (Die Gleichsetzung von Marxismus und Liberalismus als „One-World-Ideologie“, die den Zweck habe, die Nationen und mit ihnen die „Volksherrschaft“ zu zerstören, bildet den ideologischen Kern des neuen Programms der AfD, wie Vorstandmitglied Albrecht Glaser auf dem Kölner Parteitag mit dankenswerter Klarheit ausführte.)


Dass man schließlich den Juden ihr „Bewusstsein göttlicher Auserwähltheit“ immer noch vorhält, zweitausend Jahre, nachdem nach Ansicht der Christen Gott einen Neuen Bund mit einem neuen Gottesvolk geschlossen hat, und zwar mit den Christen; 1400 Jahre, nachdem Mohammed gesagt hat, dieser Bund sei nun mit ihm und seinen Anhängern geschlossen worden, und 70 Jahre, nachdem Hitler die Deutschen zum Auserwählten Volk der Vorsehung erklärt hat, verbuche ich unter böswilliger Ignoranz. Denn dass diese Auserwähltheit den Juden – im Gegensatz zu Christen, Muslimen und Ariern – besondere Bürden auferlegt, ihnen geradezu das Auftrumpfen, Unterwerfen und Vernichten verbietet, wie man es von jenen Nachfolgern kennt, das weiß jeder, der nur ein Buch über das Judentum gelesen hat, das nicht aus der Feder eines ausgemachten Scharlatans und Antisemiten stammt.


Das Gerücht über die Juden


Kubitschek aber, der eine innige Beziehung zur Scharlatanerie hat, schwadroniert weiter: „Den Juden ihre besondere und zweifelsohne welthistorische Rolle abzusprechen, hieße, sie zu verkennen. Das hieße es übrigens auch beim Blick auf unser oder andere welthistorisch wirkmächtig gewordene Völker.“ Nun, sagen wir es so: ein welthistorisch wirkendes Kollektiv namens „die Juden“ gibt es nicht. Das zu unterstellen, so dass, sagen wir, Jesus von Nazareth, Moses Mendelssohn, Mayer Amsel Rothschild, Karl Marx, Theodor Herzl, Sigmund Freud, Leo Trotzki und Sam Goldwyn Ausdruck der Rolle des jüdischen Volkes sind, das auf diese Weise „wie unser Volk oder andere Völker welthistorisch wirkmächtig“ wurde – schon das ist eine antisemitische Unterstellung, als wären die Genannten zuallererst Juden und dann erst Deutsche, Österreicher, Russen, Amerikaner – oder Aufklärer, Kommunist, Kapitalist, Filmproduzent – gewesen. Genau das nämlich unterstellte Hitler, unterstellen alle Antisemiten: Dass die Juden als Juden „welthistorisch wirkmächtig“ geworden seien, weil sie sich dank Rassendisziplin und „Identitätserzählung“ über die anderen Völker erhoben hätten.


Zwar fügt Kubitschek sozusagen salvatorisch hinzu, die Geschichte „auf den Kampf zwischen judaischem und christlichem Entwurf zu reduzieren und dabei die Attribute gut und böse, aufbauend und zersetzend, schaffend und raffend zuzuordnen, ist falsch und gefährlich.“ Und das will man gern glauben. Das ist ihm zu simpel. War übrigens auch den intellektuell etwas anspruchsvolleren Nazis zu simpel. Es bleibt aber, dass Kubitschek unter der Maske einer Kritik an Gedeons „Antizionismus“ die Kernvorstellungen des Antisemitismus wieder salonfähig gemacht hat. Jedenfalls für Leute, die einen Kubitschek für salonfähig halten.


Marc Jongen und die Völkerpsychologie


Dazu gehört der Sloterdijk-Schüler und Hobbyphilosoph mit akademischem Lehrstuhl Marc Jongen: Obwohl er das disziplinarische Vorgehen der AfD-Spitze gegen Gedeon verteidigt, fügt er im pathetischen Ton hinzu: Er wolle bitteschön die „heuchlerischen politischen Instrumentalisierungen des Holocaust kritisieren können“. (Nur zu; Martin Walser hat das ja unter dem Beifall der politischen Klasse freilich schon vor Jahren getan.) Jongen „möchte nicht schweigen müssen, wenn unsere Bundeskanzlerin die Torheit begeht, die Verteidigung des Staates Israel zur Staatsraison Deutschlands zu erklären.“ (Muss er auch nicht: Bundespräsident Joachim Gauck nahm die „Torheit“ umgehend zurück, und zwar passenderweise in Yad Vashem.) Vor allem aber lobt Jongen „die sehr triftigen völkerpsychologischen Überlegungen“ Kubitscheks.


Nun, wenn Völker eine Psychologie haben, dann scheint die deutsche Psyche immer und immer wieder Phantasmagorien über die Weltmacht der Juden zu gebären. Meines Erachtens – aber ich bin natürlich als Liberaler des „jüdischen Denkens“ verdächtig –  ist das aber nicht Produkt einer spezifisch deutschen Geistesverirrung, sondern des Schlafs der Vernunft, der bekanntlich Ungeheuer hervorbringt.