Nazi-Parolen, Ausländerhass, versuchter Mord: Der Prozess um die Vorfälle zum Sommerfest in Polenz stockt.
Von Alexander Schneider
Was geschah am Abend des 18. Juni 2016 bei der traditionellen Sonnenwend-Feier des Schalmeienorchesters Polenz? Mit dieser Frage befasst sich die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Dresden schon seit einem Monat. Es gab Hunderte Besucher, doch nun im Gerichtssaal wollen sich plötzlich viele nicht mehr erinnern. Manche sprachen gar von Angst.
Drei Angeklagte im Alter von 24, 33 und 38 Jahren müssen sich unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und Verwendens von Nazi-Kennzeichen verantworten, der 33-Jährige darüber hinaus wegen versuchten Mordes. Den Männern wird vorgeworfen, aus ihrem Hass auf Ausländer heraus gezielt drei Menschen angegriffen, verhöhnt und zusammengeschlagen zu haben. Ausländer, das sollen sie mehrfach gesagt haben, hätten auf diesem Fest nichts verloren. Zunächst seien zwei Bulgaren vom Hauptangeklagten Sebastian K. – ein Hilfsarbeiter aus Bad Schandau – bewusstlos geschlagen worden. Weil er einem, der regungslos am Boden lag, mehrfach mit einem Bierkrug auf den Schädel geschlagen habe, habe er den Tod des Mannes in Kauf genommen. So wird der Mordversuch in der Anklage begründet.
Später hätten die Männer zu dritt einen 28-Jährigen verprügelt. Der Deutsche ist in Rumänien geboren, lebt jedoch seit mehr als 20 Jahren in Neustadt. Das Einzige, was an ihm „ausländisch“ ist, ist sein Spitzname: „Rumäne“. Der Prozess hat am 20. April begonnen. Seitdem schweigen die Angeklagten, was ihr gutes Recht ist.
Im Laufe jener Nacht, so viel lässt sich nach sechs Verhandlungstagen sagen, gab es einige Ungereimtheiten. So müssen mehrere Gruppen mit klar rechtsextremen Einstellungen das Dorffest heimgesucht haben. Neben der etwa zehnköpfigen Gruppe, zu der auch die Angeklagten gehörten, muss mindestens eine weitere Gruppe mit Parolen wie „Sieg Heil“ oder „Heil Hitler“ und „Scheiß-Asylanten“ aufgefallen sein – noch nachts um 2 Uhr. Beiden Gruppen haben wohl Leute angehört, die man in Polenz kannte. Ist das möglicherweise die Ursache dafür, dass viele Zeugen Erinnerungslücken geltend machen, die vom Vorsitzenden Richter Herbert Pröls immer wieder als „nicht lebensnah“ kommentiert wurden?
Musiker, die als Veranstalter der Feier nach ihrem Auftritt Gäste versorgten, wissen angeblich nicht mehr, dass schon am frühen Abend „Sieg Heil“ im Festzelt skandiert worden sein soll.
Manche berichteten, sie hätten nicht mitbekommen, dass drei Rettungswagen da waren. Immer wieder ist Pröls irritiert, weil Zeugen in den Polizeivernehmungen kurz nach der Tat ganz andere Angaben gemacht hatten. Am jüngsten Prozesstag verstieg sich Feuerwehrmann Marko B. (30) zu der Behauptung: „In unserem Dorf gibt es kein Dorfgespräch.“ Er begründete das sogar: Polenz sei so langgezogen, „da kennt nicht mehr jeder jeden“. Eine Musikerin sagte auf die Bitte, Namen von Beteiligten einer dieser Gruppen zu nennen: „Na, die haben doch nichts gemacht!“ Antworten wie diese haben ein Geschmäckle. Richter Pröls machte manchen Zeugen klar, dass sie sich wegen Falschaussage strafbar machen könnten. Es gibt allerdings auch deutliche Aussagen. Ein 44-Jähriger erkannte Sebastian S. als den Schläger mit dem Bierkrug wieder. Der Mitangeklagte Sebastian S. (24) habe ihn von dem Bulgaren weggezogen. K. wird auch durch DNA-Analysen belastet, an seiner Jacke und in der Hosentasche fand sich Blut von Opfern.
Der Prozess wird am 12. Juni fortgesetzt. Eine Sonnenwend-Feier jedoch gibt es nach Jahren nun erstmals nicht mehr in Polenz. Aufgrund der Eskalationen hat das Orchester seine Tradition beendet – bereits am Tag nach der Gewaltnacht. Auch das wäre eigentlich ein Grund, sich an viele Details zu erinnern, sagte Richter Pröls.