Auf einem Festival in Thüringen ist ein Auftritt des früheren SPD-Politikers geplant. Die Universität Erfurt findet das in Ordnung
Für einen flotten Spruch über Beamte und finanziell Schwache war Thilo Sarrazin schon gut, als er noch in Berlin Senator war. Durch Aussagen, die seine Kritiker wahlweise als dumm, populistisch oder rassistisch einstufen, ist der Sozialdemokrat vor allem seit 2010 aufgefallen, als er ein Buch mit dem Titel »Deutschland schafft sich ab« veröffentlichte.
Die dort vertretenen Thesen laufen im Kern darauf hinaus, dass Deutschland untergeht, weil weniger »deutsche« Kinder geboren werden, es immer mehr finanziell Schwache gibt und immer mehr Muslime nach Deutschland einwandern. Einige seiner Behauptungen werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens durchschimmern, wenn Sarrazin Anfang Juni auf Schloss Ettersburg bei Weimar sprechen wird. Dort soll er auf dem sogenannten Pfingst-Festival über das »Zeitalter der Utopien« reden.
Im Programmheft zur Veranstaltung heißt es wenig konkretisierend, Sarrazin werde sich dabei »über Wunschpolitik und Deutschland« äußern. Der Schirmherr des Festivals, Thüringens Landtagspräsident Christian Carius (CDU), wünscht der Veranstaltung einen »spannenden Verlauf«. Von Spannungen begleitet sein wird das Gespräch mit Sarrazin mit Sicherheit.
Schon jetzt gibt es Kritik daran, dass er auf dem Festival auftreten soll. Und dort auch noch mit Walter Bauer-Wabnegg sprechen wird. Der ist in Thüringen kein Unbekannter. Von 2004 bis 2009 war er Staatssekretär für Wissenschaft und Kunst im Thüringer Kultusministerium. Seit Oktober 2014 ist er Präsident der Universität Erfurt.
Die Grünen-Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling sagte, es sei aus ihrer Sicht »sehr, sehr schwierig«, wenn Sarrazin nun auf Schloss Ettersburg eine Bühne geboten bekomme. Zudem sei ihr nicht klar, warum Bauer-Wabnegg sich für ein Gespräch mit Sarrazin hergebe. »Was hat er sich dabei gedacht?« Sarrazin habe dabei geholfen, Rechtspopulisten in Deutschland den Weg zu bereiten, die wissenschaftliche Erkenntnisse als Lügen diffamierten, wenn sie nicht in ihr Weltbild passten.
Ähnlich formulierte es der Linkspartei-Innenpolitiker Steffen Dittes. Zwar sei es richtig, sich mit Sarrazins Thesen auseinanderzusetzen. »Doch dafür muss man Sarrazin nicht als Lautsprecher auf eine Bühne setzen.« Dass Bauer-Wabnegg sich in ein Gespräch mit ihm begeben wolle, halte er für »sehr unglücklich«, auch wenn er einräumt, »dass man diese Entscheidung treffen kann«. Es bestehe aber die Gefahr, dass so getan werde, als ließen sich Sarrazins Thesen wissenschaftlich diskutieren. »Sie werden so in einen Mantel der Seriosität gehüllt«, sagt Dittes - aus seiner Sicht ein Unding. Schließlich gehe es um einen Mann, der in einem Interview mit der »Welt am Sonntag« behauptet hatte, alle Juden teilten »ein bestimmtes Gen«. Hierüber könne es keine wissenschaftliche Debatte geben.
Bauer-Wabnegg indes kann derartige Kritik nicht nachvollziehen - schon deshalb, weil er das Gespräch mit Sarrazin als Privatperson führen werde, lässt er eine Sprecherin der Universität Erfurt ausrichten. »Das Festival ist eine Veranstaltung, die Gespräche mit Menschen sehr unterschiedlicher Couleur bietet«, sagt sie. »Dabei kommen auch sehr unterschiedliche politische, kulturelle oder soziale Haltungen zum Tragen.« Das sei »ja auch gut so«, zeige doch ein Blick in die Türkei oder nach Ungarn, wohin es führe, wenn öffentliche Meinungsäußerungen gesteuert beziehungsweise sanktioniert würden. Streitbare oder anders denkende Menschen nicht sprechen zu lassen, »wäre sicherlich keine Auszeichnung für ein demokratisches Deutschland«.
Womit die Debatte eröffnet ist.