"Identitäre Bewegung" Das Postergirl der neuen Rechten

Aktivistin Schmitz in Halle
Erstveröffentlicht: 
28.05.2017

"Identitäre Bewegung" Das Postergirl der neuen Rechten

Sie posiert in kurzem Rock und wird dabei vom Verfassungsschutz beobachtet: Melanie Schmitz, 24, ist der Star der "Identitären Bewegung", einer extrem rechten Nachwuchsorganisation. Was will diese Frau? Und wie gefährlich ist sie?

Von Takis Würger

 

In einem unauffälligen Gebäude des Verfassungsschutzes, in einer stillen Straße Magdeburgs, am Ende eines Gangs, der mit geräuschschluckendem Gummi ausgelegt ist, befindet sich eine Akte über eine junge Frau aus Halle.

Name: Melanie Schmitz.
Alter: 24 Jahre.
Beruf: Studentin der Kommunikationswissenschaften.
Verdacht: rechtsextrem.

Melanie Schmitz betreibt auf dem Fotoportal Instagram einen Account, dort nennt sie sich "rebellanie" und postet Fotos von Avocados und von sich im T-Shirt mit Leopardenmuster. Bei YouTube bestückt sie einen Kanal unter dem Namen "MademoiselleEnvie", in ihren Videos spielt sie Gitarre und singt. Auf Facebook ist ein Foto, das Schmitz mit verschränkten Armen zeigt, darunter steht: "Melanie, 24, kämpft für unser Recht auf Identität."

Recht auf Identität. Das klingt harmlos, jedenfalls nicht nach rechtsextrem.

Melanie Schmitz gehört zu einer Gruppe, die sich "Identitäre Bewegung" nennt. Deshalb beobachtet sie der Verfassungsschutz. Die Gruppe benimmt sich anders als alles, was Deutschland an rechtsextremen Gruppen kannte. Schmitz und ihre Freunde tragen keine Springerstiefel, sie distanzieren sich vom Nationalsozialismus, sie sind keine Antisemiten, sie sprechen sich gegen Gewalt aus, viele haben studiert. Ihr Vorbild, sagen sie, sei Greenpeace.

Götz Kubitschek, der rechte Verleger und Kopf hinter der Bewegung, nennt sie die "Speerspitze der neuen Rechten".

In Halle, wo Schmitz lebt, mauerten unbekannte Identitäre ein Wahllokal zu, in dem Zuwanderern das Prinzip der deutschen Demokratie nähergebracht werden sollte. Die Jugendorganisation der AfD arbeitet mit den Identitären zusammen. Als Xavier Naidoo jüngst in den Verdacht geriet, sich in einem Lied der Sprache der Rechtspopulisten zu bedienen, schrieben die Identitären auf ihrer Facebook-Seite: "Naidoo könnte ein weiterer Indikator für unsere Seinsfrage im 21. Jahrhundert sein!"

Identitäre störten Theateraufführungen, sprengten Diskussionen und blockierten die Parteizentrale der CDU in Berlin. Identitäre kletterten im vergangenen August aufs Brandenburger Tor und entrollten dort ein Plakat, auf dem "Sichere Grenzen - sichere Zukunft" stand. Es sah für einen Moment so aus, als hätten sie Deutschland übernommen.

Melanie Schmitz ist die starke Frau dieser Leute, das Postergirl der Rechten.

Im Frühjahr erschienen in der österreichischen Zeitschrift "Info-Direkt" drei Seiten über sie unter der Überschrift "Aus Liebe zum Land". "Info-Direkt" gilt als rechtsextrem. Neben dem Text war ein Foto zu sehen, auf dem Frau Schmitz ein sehr kurzes Kleid trägt und auf der Schulter ein Baseballschläger aufliegt.

In den sozialen Netzwerken publiziert sie nicht nur Bilder von Gemüse.

Ab und zu schreibt sie auch, was sie über die Welt denkt, vor allem über den hellhäutigen, europäischen Teil der Welt: "Wie viele Anschläge müssen noch verübt werden. Wie viele Menschen noch sterben, bevor endlich umgedacht wird. Das alles ist kein Naturgesetz, was wir einfach hinnehmen müssen. Holen wir unser Land zurück. #glückauf"

Oder: "Die europäischen Regierungen müssen mehr Stärke beweisen: der Wille eine Nation zu sein, die bejahung der Eigenen Kultur und die konsequente Abwehr von allem, was ihr schadet - also auch die Ablehnung islamistischen Gedankgenguts oder zumindest ein gnadenloseres Durchgreifen bei Radikalisieriung."

In einem ihrer Videos singt sie ein Lied über die Vorteile des Abschiebens. Darin gibt es den Satz: "Wähl die AfD". Bisher schauten knapp 400.000 Menschen dieses Video. Vierhunderttausend ist eine Zahl für alle, die glauben, man könne solche Leute ignorieren, weil sie dem breiten Publikum unbekannt sind.

Das Video ist gut gemacht. Schmitz kann nicht singen, aber man merkt, dass es ihr Spaß macht. Sie trägt dezente Ohrringe und roten Lippenstift. Sie ist schlank, hat hohe Wangenknochen und herbstrot gefärbte Haare. Man schaut sie an und ist hypnotisiert von der Inszenierung dieser Frau. Den Text nimmt man eher unbewusst wahr. Zum Beispiel diese Zeile hier: "Gegen diese Invasion hilft nur eins: Remigration." Remigration bedeutet Abschiebung. Schmitz lächelt, als sie das singt. Es ist die perfekte Verführung.

Wer ist diese Frau?

Sie empfängt zum Gespräch in der Wohnung ihres Freundes. Sie hat Apfelspalten geschnitten, auf den Tisch gestellt und Rosinen darübergestreuselt. Im Hintergrund läuft Singer-Songwriter-Musik. Im Badezimmer liegt ein Stapel Magazine, eines davon ist die "Sezession", ein Magazin der deutschen Rechten. Im Stapel liegt auch ein Sonderheft der "Zeit" mit dem Titel "Europas Weg in den Faschismus".

Schmitz sagt, sie sei auf die Identitären aufmerksam geworden, als sie ein Video sah, das vor vier Jahren von der "Génération Identitaire", den französischen Identitären, ins Internet geladen worden war und das "déclaration de guerre" heißt, Kriegserklärung. Das Video zeigt Nahaufnahmen von verschiedenen gut aussehenden, jungen Franzosen.

Sie sagen unter anderem folgende Sätze: "Wir haben aufgehört, an ein globales Dorf zu glauben und daran, dass die Menschheit eine Familie ist. Täuscht euch nicht: Dieser Text ist kein einfaches Manifest, er ist eine Kriegserklärung."

Schmitz sagt, sie habe das gesehen und sich erlöst gefühlt, "weil da jemand endlich diese ganzen Gefühle, die ich hatte, auf den Punkt gebracht hat". Schmitz fand die deutsche Internetseite der Identitären und schrieb eine E-Mail mit den Worten: "Hallo, kann ich aktiv werden?"

Schmitz kommt aus Essen, Stadtteil Borbeck. Als sie drei Jahre alt war, zog sie mit ihren Eltern nach Kalifornien. Der Vater handelte dort mit Autos. Mit sieben kam sie zurück nach Essen. Sie ging auf ein Mädchengymnasium. Sie hatte Kontakt zu den Kindern von Migranten. Schmitz verstand sich mit ihnen. Ihre Kindheit klingt nach Normalität. Man kann lange darin graben und findet nichts, das eine Erklärung liefern würde, warum Normalität für Melanie Schmitz zu wenig war.

In der fünften Klasse band sie sich eine Krawatte um und trug einen Schottenrock, später gefiel ihr Heavy Metal, und sie trug Jeans, Leder und Nieten. Sie war Punk, Goth, Metaller, sie spielte mit neuen Identitäten. Und dabei landete sie irgendwann bei der Identitären Bewegung.

Sie zog nach Halle, machte eine Ausbildung zur Grafikdesignerin und begann, Kommunikationswissenschaften zu studieren. Schmitz bemerkte in dieser Zeit, wie gut Verbindungsstudenten aussehen. Sie wollte auch ein buntes Band tragen, aber kaum ein Korps nimmt Frauen auf. Schmitz gründete eine Damenverbindung, die "Atrytone Assindia", ihr Band war blau-weiß-schwarz. "Das war für mich der erste politische Aktivismus, ich wollte gewagte politische Statements setzen. Ehre und Stolz haben mich fasziniert."

Schmitz redet zwei Stunden lang. Ihre Bedingung für ein Gespräch mit dem SPIEGEL war, dass sie ihre Zitate autorisieren darf. Vieles von dem, was sie in dem Gespräch sagt, streicht sie später wieder, wahrscheinlich, weil es ihr zu eindeutig ist, zu rechts, vielleicht zu rassistisch. Was sie freigibt, klingt so: "Das allererste und größte Ziel ist es, die Illegalen abzuschieben. Danach kommen für mich, der Logik nach, die Leute, die hier seit kurzer Zeit sind und eine Aufenthaltsgenehmigung haben. Und dann gibt es natürlich die Leute, wo ich mir noch kein Bild gemacht habe, die hier seit 20 Jahren leben."

Oder es klingt so: "Schon vor der Asylkrise wurden Leute ins Land gelassen, die hier nicht sein müssten. Das fing in den Sechzigerjahren an. Wenn sich diese Einwanderer auch in der dritten Generation nicht integrieren können, müssen sie wieder gehen. Ganz selbstverständlich."

Oder so: "Natürlich gibt es Einzelschicksale, die mir leidtun. Aber neben dem Mitleid gibt es auch die Vernunft. Ich denke, um unser Volk, unsere Identität und unsere Lebensart zu bewahren, brauchen wir eine Remigration, eine Rückkehr der kulturfremden Einwanderer in ihre Heimatländer. Kulturfremd, das heißt im Zweifel nicht europäisch und nicht integrierbar."

Melanie Schmitz sagt, ihr Ziel sei es, dass es Deutschland als "Identitätsgemeinschaft" noch in 100 Jahren geben kann. Sie wolle die deutsche Kultur schützen.

Welche deutsche Kultur meint sie? Die Kultur Neuköllns im Jahr 2017? Die Kultur der Studentenproteste von 1968? Die Kultur der Antisemiten von 1938? Die Kultur der ersten Kreuzzüge von 1096?

Das Wort "Kultur" bedeutet dem Wortsinn nach "Bearbeitung". Kultur bewegt sich, wächst, schrumpft, stirbt, erneuert sich. Aber das ist nicht das Kulturverständnis von Melanie Schmitz.

Wenn man im Kopf das Deutschland Wirklichkeit werden lässt, das sie sich wünscht, entsteht das Bild eines geisterhaften Landes. Alle kulturfremden Einwanderer würden verschwinden. Fatih Akin, Elyas M'Barek, Mesut Özil, Sibel Kekilli, Akif Pirinçci, Cem Özdemir, sie alle wären weg. Deutschland wäre ein Kartoffelland.

Melanie Schmitz formuliert fragwürdige Ideen, aber wenn man sich ihre Beiträge im Internet bis zu Ende ansieht, dann wird klar, warum man sie ernst nehmen sollte. Weil es genug Menschen gibt, die sich von Melanie Schmitz verführen lassen und ihre Gedanken weiterdenken.

"meisterpropaganda" schreibt: "Es gibt etliche Videos aus England wo Muslime lautstark marschieren. Wie eine Herde unkontrollierter Tiere mit Tollwut."
"b.anderson83" schreibt: "Total hirnverbrannt 2,5-4mio Moslems ins Land zu holen wenn'de noch nichtmals die Türken integrieren kannst, in dritter Generation."
"europa_erwache" schreibt: "Wer kommt denn aus besagten arabischen und afrikanischen Ländern zu uns? Kriminelle, geistig Gestörte, Nichtsnutze ... Kurz um der Abschaum."
"koenigstochter_4S" schreibt: "Ich kauf morgen auch für meine Schwester und meine Mutter Pfefferspray und mache nen kleinen Waffenschein."

Dass anonyme Leute ihren Hass ins Internet kippen, ist das eine. Vielleicht wäre das alles zu ertragen, wenn Melanie Schmitz in ihrer Wohnung bliebe und dort von ihren dunklen Visionen spräche und ab und zu eine Botschaft ins Internet sendete. Aber dabei bleibt es nicht.

An einem kalten Februartag nimmt sie einen Karton mit 25 Dosen Pfefferspray und läuft auf den Marktplatz in Halle.

"Entschuldigung, wir verschenken Pfefferspray an Frauen, wollen Sie eins?"
Eine Frau sagt: "Ich hab schon eins, aber warum nicht?"
Eine andere sagt: "Danke."
Eine dritte sagt: "Kann man immer gebrauchen."
Als eine weitere Frau fragt, was das soll, sagt Schmitz: "Wir wollen, dass Frauen sich ein bisschen sicherer fühlen, wegen der sexuellen Übergriffe von Migranten."

Nach ein paar Minuten ist der Karton in Schmitz' Händen leer.

Keiner der Leute, die eine Dose Pfefferspray angenommen haben, sieht, dass an den Zugängen des Marktplatzes Melanies Freunde stehen und aufpassen, falls die Polizei oder Schläger der Antifa auftauchen sollten. Keine der Frauen weiß, dass der junge, lächelnde rothaarige Mann neben dieser jungen Frau wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestraft ist, von ihm wird später noch die Rede sein. Sie nehmen das Pfefferspray, sagen Danke und stecken dann einen Zettel ein, auf dem steht: "Unser Appell an Dich ist: Unterwirf Dich nicht. Wehr Dich, es ist Dein Land!"

Die Botschaften von Schmitz und den Identitären sind wie der Pfiff mit einer Hundepfeife. Für viele ist dieser Pfiff geräuschlos, weil er auf Frequenzen schwingt, die ihnen verborgen bleiben, er bewirkt nichts. Aber manche hören den Pfiff, weil sie besonders sensibel für solche Frequenzen sind, weil sie schlechte Erfahrungen mit Ausländern gemacht haben, weil sie Feindbilder brauchen. Die Verführung funktioniert nicht dadurch, dass alle einer Frau folgen, die sagt, wo es langgeht. Sie funktioniert dadurch, dass das Unsagbare wieder sagbar wird. Wörter wie "Abschaum". Sätze wie: "Alle kulturfremden Einwanderer müssen weg."

Anfang des Jahres machen Melanie Schmitz und ihre Freunde von den Identitären einen Ausflug nach Paris, um Europa zu verteidigen. Die Identitären sind eine europäische Bewegung, das sollte man mitdenken beim Versuch, sie zu verstehen. Sie sind keine Nationalisten.

Der Anlass für die Reise ist ein Marsch der französischen Identitären zu Ehren der Pariser Schutzpatronin Genoveva. Diese Frau ist seit 1500 Jahren tot und wird unter anderem dafür verehrt, Paris vor den Hunnen bewahrt und nur zweimal in der Woche gegessen zu haben.

Eine Gruppe von vielleicht 300 jungen Menschen marschiert an der Seine entlang und dann durch ein paar Stadtviertel. Schmitz singt: "Paris Paris Paris c'est nous" (Paris, das sind wir) und "Daesh on t'encule" (etwa: Islamischer Staat, wir ficken euch in den Hintern).

Später gibt es gratis Glühwein, aber Schmitz trinkt nichts. Ihr Freund sagt: "Wir haben eine Aufgabe zu erledigen, ist ja bei Sportlern auch nicht anders, bei uns ist das weit verbreitet, nichts zu trinken." Einer der Franzosen, der beim Marsch Bengalos schwenkte, sieht aus wie ein Mongole. Er ist der einzige Asiate auf diesem Marsch. Darf ein Mongole zu den Identitären gehören und dabei helfen, Europa vor Überfremdung zu schützen?
"Eigentlich nicht", sagt Schmitz. "Aber ist natürlich eine Einzelfallentscheidung."

Nach dem Marsch besichtigt Schmitz die Kathedrale Notre-Dame. Diese Kirche sei für sie ein besonderer Ort, weil sich im Jahr 2013 vor dem Altar Dominique Venner das Leben genommen hat, und diesem Mann fühle sie sich verbunden, sagt sie. Venner, Jahrgang 1935, war ein bekannter rechtsradikaler Aktivist.

Bevor er sich in den Kopf schoss, legte Venner einen Brief vor den Altar. Der Brief beginnt mit den Worten: "Ich liebe das Leben und erwarte nichts jenseits von ihm, es sei denn das Fortleben meiner Rasse und meines Geistes."

Schmitz spricht nicht von Rassen, sondern von Kulturen. Vor allem von deren Bedrohung. Und deutscher Kulturfeind Nummer eins ist für sie der Islam.

Im grünen Ledersessel in Halle sagt sie: "Den Islam würde ich in zwei Kategorien einteilen, einmal in den politischen Islam und dann in die ganz normale religiöse Gemeinschaft. Ich finde, dass beides nicht nach Europa gehört. Der politische Islam gehört wahrscheinlich nirgendwo hin."

Sie redet und redet, und irgendwann tritt hinter ihren Worte eine Frage hervor, die nicht zur Leichtigkeit der schönen Bilder passt, die es von ihr gibt: Wie gefährlich ist diese Frau?

Die Tür geht auf, und ein junger Mann mit elegant pomadisierten roten Haaren und vielen Tattoos betritt den Raum, es ist Schmitz' Freund, Mario Müller, der Gründer der Identitären in Halle. Er arbeitet an diesem Tag am Küchentisch im Nachbarzimmer, er schreibt gerade ein Buch über die Identitären.

Müller, 28, war in der Vergangenheit bei den rechtsextremem Autonomen Nationalisten aktiv und Mitglied bei den Jungen Nationaldemokraten, der Jugendorganisation der NPD. Vor Kurzem endete seine Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung. Er hatte sich mit sechs Linksradikalen geprügelt und dabei mit einer Socke zugeschlagen, die er vorher mit Schrauben gefüllt hatte. Müller sagt, die anderen hätten angefangen.

Im Internet gibt es Seiten von Linksradikalen, die auflisten, was Mario Müller in der Vergangenheit getan hat, einiges davon stimmt, zum Beispiel, dass gegen ihn Verfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und versuchte Gefangenenbefreiung liefen. Anderes ist erfunden, darunter die Behauptung, dass er in einem Wald lebte. Müller sagt, er habe nie im Wald gewohnt, aber er sei mal das gewesen, was man einen Nazi nennen dürfe. Er spricht von einer "Jugendsünde".

Es gibt mehrere Männer bei den Identitären, die früher Neonazis waren und sich heute davon distanzieren: Der Pressesprecher Daniel Fiß war bei den Jungen Nationaldemokraten, ein weiterer Aktivist aus Halle, Dorian Schubert, ebenfalls. Martin Sellner, ein Anführer der Identitären aus Wien, gehörte zum Umfeld des österreichischen Neonazis Gottfried Küssel.

Man könnte mit Blick auf Mario Müller und seine Freunde die Frage stellen, was es über einen Menschen aussagt, wenn er aktiv war in einer Partei, die auf ihre Plakate "Ausländer raus" schreibt und "Gas geben". Kann so ein Mann harmlos sein? Kann er integrierbar sein?

An Müllers Kleiderschrank hängt ein Schwarz-Weiß-Foto eines Soldaten in Uniform. Es zeigt Albert Leo Schlageter, der in den 1920er-Jahren verschiedenen Freikorps angehörte und Mitglied der NSDAP-Tarnorganisation Großdeutsche Arbeiterpartei war. Während der Besetzung des Ruhrgebiets führte er eine Gruppe von Saboteuren an. Die Nationalsozialisten machten Schlageter später zu einer ihrer Ikonen und nannten ihn den "ersten Soldaten des Dritten Reiches". Müller sagt, Schlageter sei eines seiner Vorbilder.

Der Verfassungsschutz hat über Müller eine Akte angelegt, weil die Beamten ihn für gefährlich halten. In Sachsen-Anhalt beobachtet der Verfassungsschutz die Identitären seit dem vergangenen September. In einer Presseerklärung der Behörde stand, es lägen Anhaltspunkte vor, "... dass sich die ,Identitäre Bewegung' in Sachsen-Anhalt gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richtet".

Der Chef des sachsen-anhaltischen Verfassungsschutzes Jochen Hollmann sieht aus, wie man sich einen Verfassungsschützer vorstellt, man vergisst sein Gesicht in der Sekunde, in der man sein Büro verlässt.

Hollmann hat sich die Videos angeschaut, die Schmitz ins Internet stellt. "Früher haben wir eine Schublade aufgezogen, da waren die Rechtsextremen drin. Heute gibt es mehr Schubladen", sagt er.

Hollmann nennt die Gruppe um Frau Schmitz "die Identitären", das Wort "Bewegung" lässt er weg. Er glaubt, wenn der Ausdruck "Identitäre Bewegung" einen Weg in den Sprachgebrauch finde, könnten die Menschen anfangen zu glauben, es handele sich um ein Massenphänomen und nicht um eine Gruppe von ein paar Dutzend Menschen in Halle an der Saale und ein paar Hundert bundesweit. Er zitiert dazu ein wenig Konfuzius: "Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte."

Es braucht, andererseits, aber auch nur einen Mann am Klavier und eine Frau, die singt, um damit 400.000 Menschen zu erreichen und vielleicht zu beeinflussen.

Melanie Schmitz nutzt ihre Onlinekanäle auch für Bilder und Videos, in denen sie keine politische Botschaft sendet. Auf Instagram zeigt sie Fotos von sich in Netzstrumpfhose, davon, wie sie in einem Badeanzug ausschaut und wie sie mit kurzem Rock und angewinkelten Beinen in einem Himmelbett sitzt.

In den Kommentaren darunter schreibt "feuerwehr.mann": "hast du dein pony selbst geschnitten??"
"martinsellner" schreibt: ":o"
"mllearchaeo" schreibt: "Alde, bist du heiß!"

Hollmann fürchtet, dass die Identitären ihre Ideologie hinter Hipsterklamotten, Avocados, Zitaten Ernst Jüngers und Begriffen wie "Ethnopluralismus" verstecken. Er weiß, dass die Identitären es von sich weisen, Rassisten zu sein, aber an diesem Morgen fragt er: "Stimmt dieses Selbstbild, oder ist das eine Selbstbehauptung?"

Hollmann sagt, es stünden genug Menschen in den Reihen der Identitären, die eine Vergangenheit in der rechtsextremen Szene haben. Man könne zu dem Ergebnis kommen, dass sie sich nur zivilere Kleidung angezogen und die Haare haben wachsen lassen, aber darunter die gleichen Fremdenhasser sind wie zuvor. Man könnte auch denken, diese Menschen bereiteten mit der "Angst vor Überfremdung", die sie schüren, den Boden für Vorfälle wie die in Bautzen, Clausnitz oder Freiberg.

Es gibt keine Aufforderung der Identitären Bewegung, Ausländern Gewalt anzutun. Aber wie ist es zu verstehen, wenn der Anführer der Identitären, Martin Sellner, auf Twitter schreibt: "Gottseidank hab ich schon ne Waffe gekauft, bevor der Asylwahn begonnen hat. Dürfte schwer sein, jetzt noch was gutes zu bekommen."

Wenn es nicht darum geht, Gewalt zu legitimieren, worum geht es dann? Die Identitären wollen Denkverbote überwinden und Debatten anstoßen, sagen viele, mit denen man spricht.

Vielleicht ist die eigentliche Gefahr, die von Leuten wie Melanie Schmitz ausgeht, die, dass sie Gedanken ausspricht, die derzeit viele Deutsche haben: Sie sagt, es sei ein Fehler gewesen, die Grenzen aufzumachen. Sie sagt, man müsse kriminelle Asylbewerber abschieben. Sie sagt, vieles laufe falsch bei der Integration. Aber man muss genau aufpassen, wie solche Gedanken sich weiterentwickeln. Es gibt einen Unterschied zwischen "kriminelle Ausländer ausweisen" und "alle kulturfremden Ausländer raus". Es ist der Unterschied zwischen dem deutschen Gesetz und Fremdenhass.

In einem ihrer Videos singt Schmitz, was sie darüber denkt, durch den Staat beobachtet zu werden. Das Video trägt den Titel: "Ein Gruß an den Verfassungsschutz". Schmitz singt: "Ich will euch eines sagen, Ihr fürchtet uns zu Recht."

Am Freitag vor einer Woche versuchte Schmitz mit ihren Freunden von den Identitären, in Berlin in das Justizministerium einzudringen. Sie wollte damit für Meinungsfreiheit demonstrieren, sagt sie. Die Polizei verhinderte die Aktion und führte Schmitz und die anderen ab.

Die Identitären aus Halle posteten Fotos ihres Auftritts bei Facebook.

Darunter schreibt "Dirk Heienbrock": "Wenn's um die Muselmänner, Nafris und Baumwollpflügfacharbeiter geht haben die Polizisten keine Eier in der Hose, wie gut, das sie sich endlich mal wieder an ihren Landsleuten austoben dürfen ..."
"Andrea Gierth" schreibt: "Geht lieber gegen das ausländische Gesindel vor. Aber da habt ihr ja keinen Arsch in der Hose. Bleibt weiter Merkels Büttel. Stellt euch auf die Seite des Volkes."
"Miguel Erdmann" schreibt: "Ich könnt nur noch kotzen! Aber eins weiß ich, das geht nur noch bis zu einem gewissen Grad beim DEUTSCHEN dann wird er mit geballter Faust oder mehr, zurückschlagen. Ich bin jedenfalls dabei"

Auf Instagram zeigte Schmitz ein Foto davon, wie Polizisten sie abführten. Sie guckt nicht in die Kamera, aber der Betrachter bekommt einen klaren Blick in ihr Gesicht. Man kann darin nichts lesen.