Warum bedrohte und schlug André E. einen 18-Jährigen? Vor dem Amtsgericht Zwickau bleibt der mutmaßliche NSU-Unterstützer wortkarg - das macht seinen Auftritt umso merkwürdiger.
André E. genießt die Aufregung um seine Person. Der Neonazi, der sich vor vielen Jahren den Schriftzug "Die Jew Die" ("Stirb, Jude, stirb") auf den Bauch tätowieren ließ, marschiert grinsend und breitbeinig durch das Foyer des Zwickauer Amtsgerichts. Er ist mehr als 40 Minuten vor Verhandlungsbeginn da. Für die Staatsanwaltschaft geht es um Körperverletzung und Bedrohung. Für André E. dürfte es um eine Ehrensache gehen.
Er hat nicht auf irgendwen eingedroschen, sondern nach Ansicht des Staatsanwalts seinen damals 14-jährigen Sohn verteidigt, der mit einem anderen Jugendlichen im Clinch lag. Diesen 18-Jährigen knöpfte sich André E. demnach im Mai 2016 vor: Er bestellte ihn zu einem Parkhaus in Zwickau, verprügelte ihn dort auf übelste Art und Weise und drohte, ihn umzubringen.
Der 18-Jährige erstattete Anzeige. André E. verweigerte einen Strafbefehl von 40 Tagessätzen zu je 15 Euro. So sitzt er an diesem Montag vor Saal 1 des Amtsgerichts, die Sonnenbrille auf der Nase, und tippt feixend auf seinem Handy herum. Man darf zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass er die Vorwürfe bestreitet. Warum sonst hätte er den Strafbefehl nicht akzeptieren und eine härtere Strafe riskieren sollen?
Wie steht André E. zum Thema Gewalt?
Für Richter Andreas Nahrendorf mag diese Verhandlung eine alltägliche Anklage wegen Körperverletzung und Bedrohung sein. Für viele Beobachter aber geht es um mehr: André E. war einer der engsten Vertrauten der mutmaßlichen NSU-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Gemeinsam mit Zschäpe sitzt André E. seit mehr als vier Jahren beim NSU-Prozess auf der Anklagebank im Oberlandesgericht München: Er soll den NSU bis zuletzt unterstützt haben.
Im NSU-Verfahren schweigt André E. seit dem ersten Verhandlungstag. Für den 6. Strafsenat in München dürfte deshalb auch das Verfahren in Zwickau interessant sein: Was für ein Angeklagter ist dieser so schweigsame André E.? Wie steht er zum Thema Gewalt?
Staatsanwalt Jörg Rzehak schildert in Zwickau detailliert, was sich am 16. Mai 2016 gegen 18 Uhr an dem Parkhaus abgespielt haben soll: Wie André E. ohne verbale Auseinandersetzung oder Ankündigung dem 18-Jährigen ein Knie in den Oberschenkel rammte, obwohl der Junge versicherte, er werde E.s Sohn künftig in Ruhe lassen. Wie André E. den 18-Jährigen auf die Wiese vor dem Parkhaus schubste und mindestens zehnmal mit Fäusten auf den Kopf des am Boden Liegenden einschlug, mindestens fünf Mal auf ihn eintrat.
"Wenn du meinen Sohn nochmals anfasst, mach ich dich tot und bring dich um"
André E.s Sohn soll dabei gewesen sein und seinen Vater aufgefordert haben, "es gut sein zu lassen". André E. habe den 18-Jährigen trotzdem noch einmal an der Kleidung hochgezerrt und ihn drei Mal zu Boden geworfen, so die Anklage. Zum Abschluss soll er ihm gedroht haben: "Wenn du meinen Sohn nochmals anfasst, mach ich dich tot und bring dich um." Der 18-Jährige wurde in der Notfallaufnahme behandelt.
Zur Verwunderung der Prozessbeteiligten mag André E. nach Verlesen der Anklageschrift keine Erklärung abgeben. Sein Rechtsanwalt Herbert Hedrich ist nicht erschienen, André E. ist sich selbst überlassen; ein Umstand, der ihn offensichtlich nicht bekümmert.
Das Opfer tritt in den Zeugenstand und bestätigt, was Staatsanwalt Rzehak geschildert hat; nur ob der Sohn bei dem Übergriff dabei war, weiß der 18-Jährige nicht mehr. "Gesehen habe ich ihn nicht." André E. habe ihn einfach gepackt und auf ihn eingeschlagen, sagt der junge Mann. "Ich hatte gar keine Chance, mich zu wehren."
André E.s Sohn habe ihn und seinen besten Freund am Nachmittag jenes 16. Mai 2016 beschimpft. "Ich habe ihn deshalb geschubst", gibt der junge Mann zu. Eine Bekannte habe ihm kurz darauf gesagt, er solle noch einmal zum Parkhaus kommen. Der Vater des Jungen, den er geschubst habe, wolle ihn sprechen.
Warum lässt André E. es auf eine öffentliche Verhandlung ankommen?
André E. würdigt den Zeugen keines Blickes, zielgerichtet schaut er an ihm vorbei aus dem Fenster. Der Richter fragt den Jugendlichen, ob der Angeklagte der Angreifer sei. "Das ist er!", sagt das Opfer. "Sicher?", hakt der Richter nach. "Ja, sicher." André E. grinst. Der Zeuge wird entlassen.
Was André E. von Beruf sei, wovon er lebe und wie sein Familienstand sei, will der Richter noch wissen. André E. macht es kurz: Er sei gelernter Maurer, Fachinformatiker und gelernter Berufskraftfahrer, beziehe aber derzeit Arbeitslosengeld II, da er wegen des NSU-Prozesses in München keiner Arbeit nachgehen könne. Er sei verheiratet und habe drei Kinder: den inzwischen 15 Jahre alten Sohn und noch zwei weitere, zehn und zwei Jahre alt.
André E. will auch jetzt weder Fragen stellen noch Erklärungen abgeben. Unklar bleibt, warum er dann nicht einfach den ursprünglichen, doch sehr moderaten Strafbefehl angenommen hat? Warum ließ er es auf eine öffentliche Verhandlung ankommen?
Grinsend aus dem Gerichtsgebäude
Darüber wundert sich auch Staatsanwalt Rzehak, der das Verfahren mit Blick auf den NSU-Prozess hätte einstellen können. Sollte André E. in München verurteilt werden, dürfte diese Strafe weitaus höher sein. Aber Rzehak entschied sich dagegen.
In seinem Plädoyer betont er, André E. sei nicht vorbestraft - auch für den Mitangeklagten im NSU-Verfahren gelte die Unschuldsvermutung. Dennoch müsse erlaubt sein zu sagen, dass "die Art und Weise, wie er meinte, den Geschädigten disziplinieren zu müssen, ein gängiges Szenemittel ist, um hier die Meinungshoheit erlangen zu können".
Richter Nahrendorf verkündet schließlich das Urteil: André E. wird schuldig gesprochen wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung. Statt 40 Tagessätzen soll er nun 52 Tagessätze zahlen.
André E. setzt seine Sonnenbrille auf und verlässt das Gerichtsgebäude. Er grinst.