Das wird einem Buch vorgeworfen, aus dem zum Literaturfest gelesen werden soll. Ein Stadtrat will das verhindern.
Meißen. So viel Aufmerksamkeit bekommt das Meißner Literaturfest wohl selten schon drei Wochen zuvor. Auf Facebook wird kontrovers diskutiert, ob eine Lesung überhaupt stattfinden darf. Die Streitenden sind – mal wieder – alte Bekannte.
Worum geht es? Der Tagesspiegel-Redakteur Matthias Meisner soll am Donnerstag, 8. Juni, um 19 Uhr im Meißner Ratssaal aus seinem Buch „Unter Sachsen: Zwischen Wut und Willkommen“ vorlesen. Darin werfen knapp 30 Autoren, überwiegend Journalisten, einen kritischen Blick auf den Freistaat. Es geht um Pegida, AfD, Neonazis, die Rechtsterroristen aus Freital, den NSU. Auch die Stadt Meißen ist Thema: Olaf Sundermeyer, Journalist im Investigativteam des Rundfunks Berlin-Brandenburg, schreibt über den Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft des Bauunternehmers Ingolf Brumm. Zusammenfassen könnte man die zentrale Frage des Buches mit: „Warum immer wieder Sachsen?“
Stadtrat Jörg Schlechte (CDU) wie auch AfD-Mitglied Heiko Knorr und andere sehen den Band deshalb als „Sachsen-Bashing“, also sozusagen als pauschales Einprügeln auf den Freistaat. Deshalb solle die Lesung nicht im Ratssaal stattfinden. „Diese Veranstaltung wird, wenn sie durchgeführt wird, ein Zeichen setzen“, schreibt Schlechte auf seinem Facebook-Profil. „Dann wird unser Ratssaal für linke und rechte Spinner offen sein.“ Er spricht von „Hetze“ und schreibt: „Dieser Dreck wird mit Sicherheit nicht in unserem Rathaus gelesen!“ Für die SZ war Stadtrat Schlechte am Montag nicht zu erreichen.
Seit mehreren Tagen wird die Diskussion auf seinem Profil schon geführt, auch andere Politiker haben sich eingeschaltet. So schreibt der Vorsitzende der ULM-Fraktion im Stadtrat Wolfgang Tücks: „Ich denke, solch eine politische Veranstaltung hat im Ratssaal nichts zu suchen.“
In einer „Pressemitteilung zu aktuellen Vorkommnissen in Meißen“ schreibt Die Linke: „Uns alle erfüllt es mit Sorge und mit Abscheu, welches Ausmaß und Niveau die aktuelle politische Diskussion in unserer Stadt angenommen hat.“ Die Stimmung sei so vergiftet, wie nie. Tilo Hellmann, Ortsvorsitzender in Meißen und Direktkandidat zur Bundestagswahl, spricht von einem „Dammbruch in der politischen Auseinandersetzung“. Es lasse ihn schaudern, „wie man mit ansehen muss, wie sich gewählte Stadträte und andere Funktionsträgerinnen und -träger vermeintlich demokratischer und christlicher Parteien des Vokabulars und sogar der Propagandabilder des Dritten Reichs bedienen“. Er erwarte, „dass sowohl die CDU als auch der Oberbürgermeister eindeutig Position beziehen und das, was derzeit in den sozialen Netzwerken passiert, missbilligen“.
Hellmann bezieht sich auf ein Bild, das Carsten Wüstner, stellvertretender Vorsitzender im Stadtverband der CDU Meißen, auf Facebook gepostet hat. Es zeigt ein inzwischen offenbar gelöschtes Bild, welches das „Monster des Bolschewismus“ darstellen soll (siehe kleines Foto).
Unterschrieben ist das Original, das bei Wüstner nur verkürzt zu sehen war, unter anderem mit dem Namen Gustav Noske. Der Sozialdemokrat half dabei, die Revolution von 1918/19 niederzuschlagen und ging als „Bluthund“ in die Geschichte ein. Er machte Stimmung gegen die Gefahr des „Bolschewismus“ aus dem Osten. In diese Zeit, und nicht in die des Dritten Reiches, dürfte das Bild also zu datieren sein.
Carsten Wüstner bezog das Foto offenbar auf den Besuch von Sahra Wagenknecht, denn er schrieb dazu: „In Meißen referiert eine Frau über Gerechtigkeit, die ihrem Ex-Mann geholfen hat, Vermögen zu verschleiern, damit er keinen Unterhalt für seine unehelichen Kinder zahlen muss. Und tatsächlich gibt‘s da Menschen, die sie feiern. Ich bin nur angewidert.“
Der Vorsitzende des Kulturvereins Walter Hannot, der auch Mitglied der Initiative Bürger für Meißen ist, findet es dennoch unmöglich. „Ich kann nicht einfach sagen, dass die heutigen Sozialisten gleichzusetzen sind mit Bolschewisten“, sagt er auf SZ-Anfrage. So was gehöre sich in der CDU nicht, deren Mitglied er seit 40 Jahren sei.
Auch die Debatte um das Literaturfest, das der Kulturverein veranstaltet, kann er nicht verstehen. „Der Ratssaal ist eingeschränkt für die Aktivitäten politischer Parteien und nichts sonst“, sagt er. Meisners Buch habe zwar viele Autoren, die eher aus der linken politischen Richtung kämen, aber auch solche aus der bürgerlichen Mitte. Die einzige legitime Form der Auseinandersetzung sei für ihn: hingehen und diskutieren.
Die Gegner der Lesung von Meisner im Ratssaal wollen ihre Kritik an der Veranstaltung laut Hannot dem Ältestenrat vortragen. Wenn das nicht klappe, solle es Gegenstand im Stadtrat am Mittwoch sein. „Mir wäre am liebsten gewesen, es wäre nichts weiter hochgekocht“, so Hannot. „Das Literaturfest ist ja eines der friedlichsten Feste in Meißen.“ Andererseits: Auch das ist Werbung dafür.