Politikverdrossen, abgehängt, weniger weltoffen - in den neuen Bundesländern überwiegt laut einer Studie der negativere Blick auf die Gesellschaft.
Von Matthias Meisner
Die Friedrich-Ebert-Stiftung beobachtet in Ostdeutschland eine bedenklich niedrige Zufriedenheit mit der Demokratie, die "langfristig zur Instabilität des politischen Systems führen kann". Dies ist eines der Resultate einer Studie, mit der die 2016 vorlegte "Kartographie der politischen Landschaft in Deutschland" auf Ost-West-Unterschiede hin untersucht wurde. Der Erhebung zufolge sind mit 54 Prozent nur etwas mehr als die Hälfte der Ostdeutschen mit der Demokratie in Deutschland zufrieden, im Westen sind es 67 Prozent.
Autoren der Studie im Auftrag der SPD-nahen Stiftung sind Felicitas Belok und Rainer Faus der Beratungsagentur Pollytix. Aufgrund ihrer Einstellungen zu Politik und Gesellschaft sowie zur persönlichen Lage ordnen sie mit 48 Prozent fast die Hälfte der Ostdeutschen politikverdrossenen Segmenten zu. Die Bürger der neuen Länder - vor allem dann, wenn sie auch dort geboren sind - gelten demnach als "desillusionierte Abgehängte", "politikferne Einzelkämpfer" oder "verdrossene Kleinbürger". Im Westen kommen diese drei Gruppen zusammen nur auf 36 Prozent. Indes ist die Gruppe "gehetzte Mitte" mit 17 Prozent im Westen größer als im Osten (13 Prozent).
Während 69 Prozent der Westdeutschen der Meinung sind, dass Menschen in Deutschland sich weniger fragen sollten, was der Staat für sie tun kann, stimmen im Osten nur 60 Prozent dieser Aussage zu. Gleichzeitig engagieren sich im Osten mit 38 Prozent auch weniger als im Westen (45 Prozent).
Ein weltoffenes Land wollen im Osten nur 47 Prozent
Die Daten zu der Studie wurden im Jahr 2015 erhoben, also zeitgleich mit dem großen Zuzug von Flüchtlingen. Damals gaben 59 Prozent der Westdeutschen an, dass die Einwanderung als Chance für Deutschland sehen, im Osten gewinnen nur 49 Prozent der Einwanderung etwas Positives ab. Dennoch haben 58 Prozent der Ostdeutschen nichts dagegen, wenn Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft untergebracht werden. Im Westen ist diese Toleranz gegenüber Flüchtlingen mit 71 Prozent merklich höher.
Die Autoren der Studie bilanzieren, die Spaltungslinie bei der Frage nach der kulturell-gesellschaftlichen Entwicklung verlaufe weniger zwischen Ost und West, sondern durch die deutsche Gesellschaft an sich. Unterschiede machen sie aber doch fest: Dem Satz "Deutschland sollte sich wieder auf seine traditionellen Werte zurückbesinnen und aufpassen, dass unsere christlich-abendländische Kultur nicht verloren geht" stimmen 46 Prozent der Ostdeutschen, aber nur 35 Prozent der Westdeutschen zu. 47 Prozent der Ostdeutschen plädieren für Deutschland als tolerantes und weltoffenes Land, im Westen sind es 58 Prozent.
Westdeutschen im Osten geht es besonders gut
Laut der "Sonderauswertung Ostdeutschland" sagen 82 Prozent der Ostdeutschen und 87 Prozent der Westdeutschen, dass sie alles in allem mit ihrem Leben zufrieden sind. Im Osten ist der Anteil höher unter denen, die im Westen geboren sind, im Westen wiederum unter Menschen mit hohen Einkommen und Älteren. Generell zeigt sich, dass es in Ostdeutschland lebenden Westdeutschen überdurchschnittlich gut geht, im Westen lebenden Bürgerinnen und Bürgern aus der Ex-DDR dagegen überdurchschnittlich schlecht.