IG Knast

Von Häftlingen kritisiert: die JVA Tegel in Berlin. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)
Erstveröffentlicht: 
19.05.2017

Dürfen Gefangene Gewerkschaften gründen? Nein, sagt der Gewerkschaftsbund. Ja, sagt ein Ex-Sträfling. Im Knast sitzt Oliver Rast zwar längst nicht mehr, aber das Leben hinter Gittern will er dennoch verändern. Von Markus Mayr, Berlin

 

Linksradikal sei er, sagt Oliver Rast, Mitte 40, Berliner, und schon bevor er selbst ins Gefängnis musste, habe er "viel Soli-Arbeit für Häftlinge" geleistet. Sich für ihre Rechte stark gemacht und sich dafür eingesetzt, dass sie ein besseres Leben hinter Gittern leben können. Als er dann aber selbst einsitzen musste, habe er kaum Unterstützung von außen erfahren; so sieht er es. Deshalb schloss er sich mit zwei anderen Häftlingen zu einer Insassenvertretung zusammen. Und weil so eine Vertretung im Grunde ja nicht viel anders ist als Interessenvertretungen außerhalb der Gefängnismauern, wie er meint, nannte er das ganze "Gewerkschaft" und stützte sich auf das Grundgesetz: Artikel 9 Absatz 3 verbrieft für "jedermann" das Recht auf diese Koalitionsfreiheit. Auch für Häftlinge?

Als "weltweit erste Gewerkschaft für Insassen" bezeichnete der britische Guardian die Gruppe, im Mai 2014 war das. Oliver Rast ist inzwischen wieder frei, er hat einen anderen Job als den in der Buchbinderei der JVA Tegel. Er engagiert sich aber noch immer für die "Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation GGBO", wie sie sich nennt.

An diesem Wochenende nun könnte er mit seinen Genossinnen und Genossen den dritten Geburtstag seiner Idee feiern. Inzwischen seien, sagt er, bereits mehrere Hundert Häftlinge bundesweit Mitglieder. Hinzu kommen die Menschen draußen, die sich mit der Sache derer drinnen solidarisieren.

Doch so richtig viel zu feiern gibt es nicht. Keine der Forderungen wurde bisher umgesetzt. Weder die, Häftlingen für ihre Arbeit in den Gefängnisbetrieben den Mindestlohn zu zahlen, noch jene, sie Rentenansprüche erwirtschaften zu lassen. Und dann ist da noch die "desolate Haftsituation in Berliner Haftanstalten", die es aus ihrer Sicht zu beklagen gibt.

Rast hat wegen eines Brandanschlags auf unbemannte Fahrzeuge der Bundeswehr dreieinhalb Jahre abgesessen. Zu der Tat hat er sich bisher weder bekannt noch sich von ihr distanziert. Seine mutmaßlichen Komplizen auch nicht. Doch ganz allgemein heißt er "praktischen Antimilitarismus" gut, "Nato-Kriegsgerät unbrauchbar zu machen, ist eine Abrüstungsinitiative", findet er. Die letzten eineinhalb Jahre seiner Strafe verbrachte er in der JVA Tegel. Und dort beklagt Rast nun auch die größten Missstände, zum Beispiel die "Klau- und Schmuggelwirtschaft". Vergangenen Herbst ging die "Schmuggel-Affäre" (Tagesspiegel) durch die lokale Hauptstadtpresse. Angestellte der JVA Tegel sollen Waren, die Insassen produziert hatten, nach draußen geschafft haben, um sich an deren Verkauf zu bereichern. Die "Aufklärung läuft", lässt der Sprecher des grünen Berliner Justizsenators Dirk Behrendt wissen, es werde gegen zwei Beamte ermittelt.

Als Behrendt vergangenes Jahr noch nicht Senator, sondern Mitglied der Opposition war, hatten die Berliner Grünen ein "liberales und progressives Strafvollzugsgesetz" gefordert, zum Beispiel verlängerte Besuchszeiten und Postempfang ohne Einschränkung. Rast wirft Behrendt nun vor, sich mit dem Aufstieg in den Senat plötzlich nicht mehr so liberal zu geben. Dessen Sprecher wiederum verweist darauf, dass erst einmal das Chaos des Vorgängers beseitigt werden müsse, bevor sich die Zustände bessern können.

Optimal sind die Zustände tatsächlich nicht. Es fehlt an Personal, entsprechend gibt es offenbar immer wieder Schwierigkeiten. Fünf Berliner Häftlinge haben sich in diesem Jahr bereits das Leben genommen, aus verschiedenen Gründen, der letzte kurz nach Ostern, in einem Teil der JVA Tegel, der als besonders marode gilt. Für Samstag hat Rast zur Demonstration für die Schließung jenes Gebäudes aufgerufen: direkt vor den Gefängnismauern.

Trotz aller Bemühungen hat es die GGBO bisher weder ins Vereinsregister geschafft, noch wurde sie als Gewerkschaft anerkannt. "Weil Deutschland wohl noch nicht so ganz begriffen hat, dass dieses Grundrecht auch für Häftlinge gilt", sagt Oliver Rast.

Dürfen Gefangene eine Gewerkschaft haben? Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat eine eindeutige Position: Nein. Sie seien keine klassischen Arbeitnehmer, weil ihre Arbeit nach dem Strafvollzugsgesetz vergütet wird und sie keinen Gegner haben, mit dem sie Tarifverhandlungen führen können. Immerhin sagt eine Sprecherin, dass "der Protest der Gefangenen gut nachvollziehbar ist".

Am Freitag saß Rast im Berliner Haus der Demokratie. Anlässlich des Jubiläums hatte er zur Pressekonferenz geladen, um für seine Sache zu werben - zwei Journalisten sind erschienen. Kein Publikum? Gibt Schlimmeres. Gefängnis zum Beispiel, sagt er.