Personalnot gefährdet Arbeit der Strafjustiz

Erstveröffentlicht: 
18.05.2017

Wegen Arbeitsüberlastung werden große Verfahren verschleppt. Der Hilferuf eines Richters blieb bisher wirkungslos. Von Karin Schlottmann und Alexander Schneider

 

Dresden. Mehrere große Strafprozesse vor dem Landgericht Dresden drohen wegen Arbeitsüberlastung zu scheitern. Betroffen ist die sogenannte Staatsschutzkammer. Auf der Liste ihrer offenen Verfahren stehen unter anderem zwei große Prozesse gegen Mitglieder der rechtsextremen Freien Kameradschaft Dresden. Parallel muss die Kammer demnächst zwei weitere Prozesse gegen mutmaßliche tschetschenische Schutzgelderpresser beginnen. Den insgesamt acht Angeklagten wird Bildung einer kriminellen Vereinigung, räuberische Erpressung, Bedrohung, Freiheitsberaubung sowie Körperverletzung vorgeworfen. Die angeklagten Tschetschenen sitzen ebenso in Untersuchungshaft wie die mutmaßlichen Mitglieder der Neonazi-Bande. Die Folge: Das Gericht muss die Fälle zügig bearbeiten. Wenn der Grundsatz der Beschleunigung missachtet wird, könnte das Oberlandesgericht (OLG) die Beschuldigten auf freien Fuß setzen.

 

In einem anderen Fall ist dies kürzlich geschehen. Vor gut drei Wochen hob das OLG die Haftbefehle gegen drei Angeklagte aus Tschechien auf, weil das Landgericht Dresden auch vier Monate nach Eingang der Anklage den Prozess wegen Arbeitsüberlastung nicht eröffnet hatte. Gut möglich, dass die Angeklagten längst untergetaucht sind, falls der Prozess eines Tages doch noch beginnen sollte.

 

Der Vorsitzende Richter der 3. Großen Strafkammer, Joachim Kubista, hat seit Anfang des Jahres dreimal offiziell die Überlastung angezeigt, sagte ein Sprecher des Gerichts. Das Präsidium hat inzwischen zwar eine sogenannte Hilfs-Strafkammer eingerichtet, mit der die Verfahren neu verteilt werden. Zusätzliche Richterstellen gibt es dafür aber nicht.

 

Die 3. Große Strafkammer ist neben normalen Strafprozessen – insgesamt hat sie zurzeit 18 Verfahren zu bearbeiten – zuständig für den Staatsschutz in ganz Sachsen. Deshalb steht bei ihr ein weiteres Großverfahren auf der Warteliste: Fünf mutmaßliche Rädelsführer der Dynamo-Fangruppe „Faust des Ostens“ sind wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, gefährlicher Körperverletzung und Bandendiebstahls angeklagt. Weil sie nicht in Haft sitzen, wird das Verfahren seit vier Jahren verschleppt. Staatsanwälte sprechen von einer Katastrophe. „Die Täter nehmen uns doch gar nicht mehr ernst.“

 

Das Justizministerium verweist auf die Verantwortung des Gerichts. Die Personalausstattung entspreche dem üblichen Schlüssel. Das Präsidium des Landgerichts will sich am Montag mit dem Thema befassen. Eine neue Geschäftsverteilung sei bisher am Widerstand der Zivilrichter im Präsidium gescheitert, hieß es.