Nur wer kaum oder gar nicht blutet, ist wirklich gesund, behaupten Frauen wie die YouTuberin Freelee – und erklären ihrer jungen Zielgruppe, wie sie ihre Periode loswerden.
"Wenn es so ungesund sein soll, dass ich meine Tage nicht bekomme, warum fühle ich mich dann so gut?", fragt Freelee the Banana Girl ihre 700.000 Follower in einem YouTube-Video. Der Titel: "Wie ich meine Menstruation durch vegane Rohkosternährung losgeworden bin". Tatsächlich erlebt sie, was viele Frauen erleben, die ihre Ernährungsweise drastisch umstellen: Sie bekommt ihre Periode nicht mehr.
Einen Monat, nachdem sie mit ihrer "hundertprozentig veganen Rohkostdiät" begonnen hat, blieben ihre Tage zum ersten Mal aus. Erst neun Monate später hat sie sie wieder bekommen, allerdings nur sehr leicht. Was viele andere menstruierende Personen besorgen würde, ist für die Vloggerin Grund zur Freude.
"Ich glaube noch immer, dass der Körper über die Menstruation versucht, Giftstoffe auszuscheiden", erklärt sie in ihrem kontroversen Video. Der Clip wurde nicht nur von vielen Zuschauern, sondern auch von Beat, einer britischen Organisation gegen Essstörungen, kritisiert. "Die meisten Frauen haben so eine starke Monatsblutung und schlimme Regelschmerzen, weil ihr Körper voller Schadstoffe ist, die sie unter anderem über die Ernährung zu sich nehmen."
Die Essenz ihres Videos: Nur "mega leichte" Blutungen sind gesund. Wer stark blutet, leidet an einer „nicht natürlichen" Blutung und ernährt sich zu fettig oder schadstoffreich. Die Lösung? "So schnell wie möglich auf eine kohlenhydratreiche vegane Rohkosternährung" umzusteigen, sagt Freelee. Ihr Video wurde inzwischen mehr als 395.000 angeklickt.
Ärzte sehen das wenig überraschend ein wenig anders. Medizinisch gesehen ist es nämlich kein gutes Zeichen, wenn die Periode außerhalb einer Schwangerschaft ausbleibt. Manchmal kann es durch Stress zu Zyklusunregelmäßigkeiten kommen, nicht zu menstruieren kann aber auch auf das polyzystische Ovar-Syndrom hindeuten oder mit Übergewicht und einem plötzlichen Gewichtsverlust zusammenhängen.
Dennoch behauptet eine kleine Gruppe aus veganen Rohkost- und Clean-Eating-Bloggern, dass es gesünder und natürlicher sei, seine Ernährung so zu umzustellen, dass man seine Tage nur noch sporadisch und sehr leicht bekommt. Oder eben überhaupt nicht mehr.
"Es gibt viele junge Frauen, die sich Sorgen machen, wenn sie ihre Regelblutung ausbleibt. Die meisten von ihnen versuchen alles, damit sie sie wieder bekommen", schreibt Miliany in ihrem Blog RawVeganLiving. "Man hört auch immer wieder, dass man weniger Sport machen und mehr Kalorien und pflanzliche Fette zu sich nehmen sollte, damit man seine Tage wieder bekommt. Doch was wäre, wenn ich euch sagen würde, dass das alles nur eine einzige große Lüge ist?"
Freelee und Miliany haben unterschiedliche Theorien, kommen aber zu demselben Schluss: Die moderne Gesellschaft will Frauen weismachen, es sei gesund zu menstruieren. Eine These, der sie heftig widersprechen.
Ich nehme Kontakt zu Miliany auf. Ihrer Überzeugung nach zeige ein nicht-menstruierender Körper, dass der Organismus "sauber" sei. "Die Industrie hat uns einer Gehirnwäsche unterzogen. Deswegen glauben auch so viele Frauen, dass mit ihrem Körper oder ihren Hormonen etwas nicht stimmt, wenn sie ihre Tage nicht regelmäßig bekommen." Sie empfiehlt Rohkost, um die Monatsblutung einzudämmen.
Dr. Jackie Maybin, Dozentin für Geburtshilfe und Gynäkologie an der Universität von Edinburgh, warnt hingegen vor dem Versuch, seinen menstruellen Zyklus über die Ernährung zu beeinflussen.
"Es ist äußerst problematisch, Frauen zu einer streng veganen Ernährung zu raten, ohne sich vorab die Hormonwerte und die Gebärmutterschleim anzusehen", erklärt sie. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass das vollständige Ausbleiben der Monatsblutung – auch bekannt als Amenorrhoe – auch darauf schließen lässt, dass es nicht mehr zum Eisprung kommt. Das wiederum kann schwerwiegende Folgen für die reproduktive Gesundheit der Betroffenen haben."
Wie die Daily Mail berichtet, kommentierte auch die britische Organisation Beat Freelees Video. Sie erklärten: "Amenorrhoe wird aktuell zwar nicht mehr unter den Diagnosekriterien von Anorexie angeführt, weil es sich nicht auf Männer anwenden lässt, aber das Ausbleiben der Monatsblutung wurde in der Vergangenheit immer dazu genutzt, Anorexia nervosa zu diagnostizieren. Wer Untergewicht hat und die Nahrungszufuhr über einen bedeutenden Zeitraum beschränkt, kann schwerwiegende Nebenwirkungen bekommen: angefangen mit einem niedrigen Blutdruck über Organversagen und Unfruchtbarkeit bis hin zu Wachstumsstörungen und vielem mehr."
Andere Blogger vermuten zwischen der Menstruation und Clean-Eating eine nahezu sakrale Verbindung. Dabei ist gerade Clean-Eating eine Form der Ernährung, die schnell zu einer Essstörung werden kann.
Der Rohkost-Blog RawforLife verdeutlicht diese Haltung mit der Frage: "Wenn wir ein natürliches Leben führen würden, in einem 'Garten Eden' ohne Binden, Tampons und vielleicht sogar Kleidung – würden wir dann herumrennen und einmal im Monat alles voll bluten?"
Ein Beitrag mit dem Titel "Menstruation – sie mag normal sein, aber ist das noch gesund?" wurde zwar schon vor mehr als acht Jahre veröffentlicht, wird aber nach wie vor am häufigsten geteilt und kommentiert.
"Der Artikel soll die vorherrschende Meinung, menstruieren sei 'gesund', infrage stellen", schreibt die Rohkost-Bloggerin Debbie. Sie ist der Meinung, dass es ein Zeichen für einen ungesunden Lebensstil ist, wenn man seine Tage bekommt. "Die Schmerzen, das Blut und PMS – vielleicht sollte man die Menstruation lieber als 'Fluch' bezeichnen. Ein Fluch, der uns heimsucht, weil wir seelisch und körperlich nicht so leben, wie wir sollten."
Viele der Blogger sind davon überzeugt, dass Frauen – und auch Tiere – vor hunderten von Jahren noch nicht so stark geblutet hätten, weil sie sich ausschließlich von Pflanzen ernährt haben.
Maybin. Es stimmt zwar, dass moderne Frauen in entwickelten Ländern ihre Tage im Verlauf ihres Lebens inzwischen zehnmal häufiger bekommen, sagt sie, das liegt allerdings daran, "dass Frauen früher andauernd schwanger waren oder gestillt haben. Mit einer veganen oder rein pflanzlichen Ernährungsweise hatte das nichts zu tun."
Freelee und Debbie haben darauf nicht geantwortet. Auch gegenüber ihren Follower bestreiten sie, Frauen dazu ermutigen würden, sich so zu ernähren, dass ihre Tage ausbleiben. Doch ganz egal, wie ihre Intentionen auch aussehen mögen: Ihr Einfluss ist immens.
In Debbies Kommentarspalte finden sich überwiegend stillende Mütter und Frauen in der Menopause, die über ihre Ideen nachdenken. Freelees YouTube-Abonnenten sind hingegen vor allem junge Menschen, die sich bei ihr dafür bedanken, ihre Ernährungsweise verändert zu haben. Unter ihnen sind auch Teenager, die gerade mal 13 Jahre alt sind.
"Die Medizinindustrie erzählt uns jedenfalls nicht die Wahrheit", lautet einer der Kommentare zu dem Video "Wie ich meine Periode durch eine vegane Rohkost-Diät losgeworden bin". "Vertraut euren Mitmenschen und keinen veralteten Traditionen, Krankheiten und Unternehmen, die Lügen verbreiten."
Maybin warnt davor, dass eine eingeschränkte Ernährungsweise und übermäßig viel Bewegung auch zu hypothalamischen Hypogonadismus führen kann. "Wenn Frauen menstruieren, sendet das Gehirn Signale an die Eierstöcke, um Hormone zu produzieren, die die Gebärmutterschleimhaut regulieren. So kommt es zum Eisprung und – wenn keine Schwangerschaft vorliegt – letztendlich auch zur Menstruation."
Allerdings führt hypothalamischer Hypogonadismus dazu, dass sich der Körper auf eine Stresssituation einstellt und keine Signale mehr an die Eierstöcke sendet. "Das versetzt den Körper in einen präpubertären Zustand, in dem es nicht mehr möglich ist, schwanger zu werden, weil die Eierstöcke nicht mehr arbeiten", sagte Maybin, "und es kommt auch nicht mehr zur Menstruation."
Wenn dieser Zustand über einen längeren Zeitraum anhält, kann das aufgrund des niedrigen Östrogenspiegels laut Maybin weitere schwere gesundheitliche Folgen haben. "Eine Folge könnte sein, dass die Knochendichte abnimmt", sagt sie, "was wiederum das Risiko erhöht, an Osteoporose zu erkranken."
Die Auswirkungen, die die Ernährung auf die Menstruation hat, wurden zwar noch nicht ausreichend erforscht, laut Maybin sei es allerdings naheliegend, dass sich auch Frauen "ausgewogen ernähren sollten". Das bedeutet auch, dass man keine Nahrungsmittelgruppen auslassen sollte.
Trotz aller Risiken sind die Blogs nach wie vor sehr beliebt. Das zeigt unter anderem auch ein Video, das Freelee im September 2016 hochgeladen hat: "Wenn deine Tage sehr stark sind, ist das nicht normal", sagt sie in dem Video, das fast 250.000 angeklickt wurde. "Das ist nicht so gesund, wie du sein könntest."