Schräg in der Kurve

Erstveröffentlicht: 
16.05.2017
Union-Berlin-Fans gelten als überaus leidenschaftlich, die von RB Leipzig dagegen als überaus brav. Bleiben Letztere das auch? Von Kai Kollenberg

 

Man kann sagen, dass der Verein RB Leipzig nicht weniger als ein Versprechen ist. Das Versprechen lautet: Wir sind nicht wie andere Ostvereine. Der Club, der sich als erster aus dem Osten für die Champions League qualifiziert hat, ist ein Wohlfühl-Projekt. Es gibt hier, anders als anderswo, keine veritable Hooligan-Szene. Und kaum Gewalt. Das Stadion von RB Leipzig gilt als kinder- und familienfreundliche Zone. Und ist es, in absoluter Regel, auch.

 

Allerdings ist es nicht selbstverständlich, dass das für immer so bleibt: Denn mit dem Erfolg könnte RB auch jene anziehen, die auf Erlebnisse der besonderen Art aus sind. Die Polizei jedenfalls äußert inzwischen eine Sorge, die es bislang in Leipzig noch nicht gab: "Die Ultras treten zunehmend kritisch auf – besonders bei Auswärtsspielen. Diese Fans sind teilweise martialisch und selbstbewusst. Zudem nutzen sie Pyrotechnik." Das sagt Frank Gurke. Er leitet jenes Referat der Leipziger Polizei, in dem die Polizeieinsätze rund um Fußballspiele vorbereitet werden, und er warnt: "Wir müssen aufpassen, dass es sich nicht in eine falsche Richtung entwickelt." Gurke und seine Kollegen sehen bei Teilen der Ultra-Gruppierungen Bezugspunkte in die Szene von Leipzig-Connewitz. Der Stadtteil ist für seine linksautonomen, teils Gewalt-affinen Strukturen bekannt.

 

Die Sorge, dass sich langsam, schleichend auch beim angeblichen Plastikverein eine kleine gewaltbereite Szene etablieren könnte – die hört auch, wer mit den Fangruppen selbst spricht. In der Kurve, so schildern es viele Fans, würden zuletzt häufiger recht speziell gekleidete Anhänger gesichtet: schwarze Jacke, schwarze Sonnenbrille. Leute, die sich allein mit ihrer körperlichen Präsenz Respekt zu verschaffen versuchen. Ein Bild, das man im Leipziger Block, wo doch die Professorin neben dem Familienvater jubeln soll, nicht erwartet.

 

Während die Polizei Sorge wegen womöglich linksautonomer Fans hat, fürchten einige RB-Anhänger, dass ihr Fanblock von Rechten unterwandert werden könnte. Die Fangruppe Red Aces gilt als links, wird von vielen zum Kern der Leipziger Ultras gezählt – und lässt sich nur anonym zitieren. "Die Vermummten im Block", erklären die Aces, "sind meistens Jugendliche, die meinen, einem plakativen Ultrastil nacheifern zu müssen, der sich scheinbar dadurch definiert. Uns ist nicht daran gelegen, dass sie beispielsweise in feinster Proll-Manier in Richtung des Familienblocks pöbeln." Es habe schon diskriminierende Gesänge auf RB-Seite gegeben: Beim Heimspiel gegen Dortmund seien teils heftige Schmähungen gerufen worden – von Einzelnen. "Es darf nicht sein, dass es einmal 3.000 Menschen werden", sagen die Aces. "Wir wollen rechte Strukturen bekämpfen, diese Position haben wir als emanzipierte und linksorientierte Gruppe."

 

Wird es politischer im RB-Block? Als Warnung gilt den linken Ultras der Fall eines einstigen Trompeters im Fanblock: eines Mannes, der früher Teil des organisierten Anhangs war – auf ein Zeichen griff er während der Heimspiele zu seiner Trompete, blies für die Roten Bullen zur Attacke. Doch seit einiger Zeit schweigt sein Instrument. Der Mann hat sich angreifbar gemacht, als er im Herbst 2015 Demos des Leipziger Pegida-Ablegers Legida besuchte. Bei Facebook schrieb er abfällig über Flüchtlinge. Am Ende gab es ein Gespräch mit dem Verein. Der Mann hat danach im Stadion seine Trompete nicht mehr in die Hand genommen. Er habe freiwillig verzichtet, sagt er heute.

 

Um den Trompeter wurde in den Fanszenen viel diskutiert, und es sind Fragen, die viele dort umtreiben: Was soll man zulassen? Wann einschreiten? Als gewaltbereit schätzt die Polizei die RB-Fans nicht ein, mit kleinen Ausnahmen. Einmal, 2015, habe ein Fan mit der Fahnenstange nach einem Beamten geschlagen. Hin und wieder gebe es Sachbeschädigungen. "Aber die Hemmschwelle der Leipziger Ultras sinkt, wie wir festgestellt haben", sagt Frank Gurke. Ein Beispiel: Beim Auswärtsspiel in Köln soll ein Fan RB-Anhänger provoziert haben. Er wurde daraufhin getreten, sein T-Shirt wurde zerrissen. Die Ultras reagierten: "Wir haben das intern ausgewertet und diskutiert", sagen die Aces. "Zu den Leitlinien unserer Gruppe soll nicht gehören, dass wir Gewalt säen. Selbstreflexion und Kritik der Vorkommnisse dagegen schon."

 

RB hat sich einer klaren Strategie verschrieben: Keine Beleidigung von gegnerischen Fans und der Polizei. Keine Gewalt. Keine rechts- oder linksextremistischen Ansätze. Man setze auf die selbstreinigenden Kräfte im Fanlager, heißt es aus dem Verein. Fans berichten, dass sie auf Auswärtsspielen allzu forsch auftretenden Bullen-Anhängern die Meinung geigten. Der Verein verweist zudem auf eine Statistik. Bei 17 Heimspielen in der Saison 2015/16 wurden gerade einmal vier Straftaten zur Anzeige gebracht. Eine davon war, dass ein VIP-Gast schwarzgefahren ist.