"Blood & Honour" - Berliner LKA vermittelte offenbar Neonazi als V-Mann

Erstveröffentlicht: 
16.05.2017

Die inzwischen verbotene Neonazi-Organisation "Blood and Honour" soll das NSU-Trio unterstützt haben. ARD-Recherchen ergaben jetzt: Der Deutschland-Chef der Organisation war offenbar V-Mann des Verfassungsschutzes - empfohlen aus Berlin.

 

Das Landeskriminalamt Berlin soll den ehemaligen Deutschland-Chef der verbotenen Neonazi-Organisation "Blood and Honour" in den 1990er Jahren an den Verfassungsschutz vermittelt haben. Einen entsprechenden geheimen Vermerk des Landeskriminalamtes konnten Journalisten der ARD-Politikmagazine "Report Mainz", "Report München" und "Exakt" einsehen. Sie ziehen daraus den Schluss, dass der Ex-Chef von "Blood and Honour" ein V-Mann des Verfassungsschutzes gewesen ist.

Das Bundesinnenministerium hatte die Organisation "Blood and Honour" im Jahr 2000 verboten. Sie soll eines der wichtigsten Unterstützernetzwerke des rechtsterroristischen NSU gewesen sein.

Aktivisten von "Blood and Honour" haben dem NSU-Trio Wohnungen zur Verfügung gestellt; einem ehemaligen Spitzenfunktionär wird vorgeworfen, mit der Beschaffung einer Waffe für den NSU beauftragt worden zu sein. 

 

Deutschland-Chef soll auch nach 2000 aktiv gewesen sein


Der Deutschland-Chef von "Blood and Honour" hat laut Sicherheitsbehörden die Strukturen in Deutschland wesentlich mit aufgebaut. Er zeichnete nach Behördenerkenntnissen mutmaßlich auch für die "Blood and Honour"-Publikationen verantwortlich. In einem Heft der Organisation wurde auch der sogenannte führerlose Widerstand als Prinzip propagiert - so wie es später der NSU umsetzte.

Der genannte geheime Vermerk entstand den Recherchen zufolge nach einem Gespräch des Landeskriminalamtes Berlin mit einem anderen V-Mann, dem sächsischen "Blood and Honour"-Aktivisten Thomas S. Dieser hatte angegeben, dass der Deutschland-Chef von "Blood and Honour" in der Szene unter Spitzelverdacht stehe, da er bei einem Strafverfahren eine vergleichsweise milde Strafe von 3.000 Mark erhalten habe. Daraufhin vermerkt das LKA Berlin wörtlich: "[Der Deutschland-Chef von 'Blood and Honour'] wurde durch das LKA 514 an das BfV vermittelt. Es ist anzunehmen, dass dies im anhängigen Strafverfahren dafür sorgte, dass die Entscheidung für den Erlass eines Ordnungsgeldes der einer Verurteilung vorgezogen wurde."

Die Frage ist, ob der Deutschland-Chef von "Blood and Honour also aufgrund seiner mutmaßlichen V-Mann-Tätigkeit von den Behörden geschützt wurde. Den ARD-Politikmagazinen liegen dazu mehrere vertrauliche Aussagen verschiedener Verfassungsschutz-Behörden zu seiner Person vor. Auffällig sei, dass die Behörden mehrfach behaupten, der "Blood and Honour"-Chef sei im Frühjahr 2000 aus der Szene ausgestiegen bzw. unterhalte nur noch lose Kontakte, hieß es. Im gleichen Jahr wurde "Blood and Honour" vom Innenministerium verboten.

Nach Recherchen von "Fakt", "Report Mainz" und "Report München" war der "Blood and Honour"-Chef jedoch weiterhin in der Szene aktiv war. Demnach schickte ihm das Bundesinnenministerium im September 2000 persönlich die Verbotsverfügung der Vereinigung zu - in seiner Eigenschaft als deren Anführer. Mindestens bis ins Jahr 2007 unterhielt er nach Recherchen der ARD-Politikmagazine noch intensive Kontakte in das mittlerweile im Untergrund agierende "Blood and Honour"-Netzwerk. 

 

Behörden halten sich bedeckt


Das Bundesamt für Verfassungsschutz teilt auf ARD-Anfrage mit, da die Fragen den operativen Kernbereich der VP-Führung beträfen, könnten hierzu keine Auskünfte erteilt werden. "Dies gilt sowohl für den Fall einer Zusammenarbeit des BfV mit der von Ihnen benannten Person als auch für den Fall einer nicht erfolgten Zusammenarbeit." Ähnlich antwortete das Landeskriminalamt Berlin auf die Anfrage der ARD-Politikmagazine. Der ehemalige Deutschland-Chef von "Blood and Honour" reagiert auf eine schriftliche Anfrage der Magazine nicht. In einem Telefonat sagte er lediglich, das sei "alles Quatsch".

Der Präsident des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Stephan Kramer, sagt im Interview mit den ARD-Politikmagazinen: "Es ist unbestritten, dass wenn sie den  Vorstandsvorsitzenden als V-Person führen, es schwierig wird. Wenn wir eine Grenze überschreiten, wo es nicht nur um Informationsgewinnung, sondern auch um Steuerung geht, wenn auch nur das Risiko besteht, da würde heute jeder halbwegs gare Behördenleiter sofort die Reißleine ziehen und sagen: Das geht überhaupt nicht."

Martina Renner, für Die Linke im Innenausschuss des Bundestages, fordert nun Aufklärung: "Das ist nicht irgendwie der 12., 13. Spitzel im Netzwerk des NSU. Wir haben hier eine zentrale Figur von 'Blood and Honour' mit Kenntnis zu europaweiten und bundesweiten rechtsterroristischen Aktivitäten. Das Problem ist, die Untersuchungsausschüsse haben bisher keine Unterlagen zum ehemaligen Deutschland-Chef von 'Blood and Honour' gesehen. Dass er Spitzel gewesen sein soll, muss geklärt werden, wie lange war er es, wer wusste davon im Bundesamt, was hat er berichtet zu militanten Strukturen und was wusste er zum NSU? Das muss auf den Tisch."

Die Recherchen von "Fakt", "Report Mainz" und "Report München" belegen noch weitere V-Leute im NSU-Unterstützernetzwerk "Blood and Honour". In Sachsen berichtete eine dortige Top-Quelle dem Landesamt für Verfassungsschutz regelmäßig sogar von internen Führungstreffen. Die Berichte fallen auch in die Zeit, in der "Blood and Honour" Sachsen das NSU-Trio unterstützt haben soll.