Linken-Politiker Hakan Tas gehört zu den gefährdeten Personen der Hauptstadt. Besonderen Schutz bekommt er jedoch nicht mehr - warum, weiß nur die Polizei.
von Frank Bachner
Der Mann war zwischen 25 und 30 Jahre alt, er trug Jeans, einen Pullover, eine Jacke. Er machte nichts, er saß nur da. Er saß da auf der Treppe und blickte in die Gegend. Es war ein unauffälliger Mann mit unauffälligem Verhalten.
Aber bei Hakan Tas gingen alle Alarmglocken los.
Er stoppte abrupt auf der Treppe in seinem Haus, er ging einige Schritte zurück, er beobachtete jede Bewegung des Unbekannten. Und er konzentrierte sich auf Fragen: Warum sitzt dieser Mann hier? Was macht er auf den Treppen zur Tiefgarage?
Der Mann machte gar nichts. Er saß nur da und hatte etwas zum Essen in der Hand. Eine Alltagsszene. Doch Hakan Tas hatte auf dem Weg zu seinem Auto nur auf seine Instinkte reagiert. Kleinigkeiten versetzen ihn in Sekundenschnelle in Alarmmodus. Es ist die natürliche Reaktion auf Morddrohungen, auf Hetzparolen an seinem Briefkasten, auf SS-Runen und die Worte „Ausländer Raus! Bald bist Du TOD“ auf seiner Wohnungstür.
Rechtsextreme und türkische Nationalisten bedrohen den Abgeordneten
Hakan Tas, 1966 in der Türkei geboren, schwul, Mitglied der Linken-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Sprecher für Inneres, Partizipation und Flüchtlinge, ist eine gefährdete Person. „Ich werde ja nicht bloß von Rechtsextremen bedroht, sondern auch von türkischen Nationalisten“, sagt er. Tas kritisiert massiv die repressive Politik von Präsident Erdogan.
Tas gehört zu den Politikern, die massiv bedroht, eingeschüchtert, verfolgt werden. Auch auf der Liste des mutmaßlich rechtsextremistischen Oberleutnants Franco A. stehen die Namen bekannter Politiker. Am Freitag hat sich Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, in seinem Büro in Berlin darüber beschwert, dass Sicherheitsleute die Gefährdungslage von Leuten wie ihm nicht immer angemessen einschätzten. Als Mazyek seine Vorwürfe erhob, saß auch Tas am Tisch.
Er kennt dieses Gefühl von Angst. Der Vorfall mit der Treppe liegt nur ein paar Wochen zurück. Es ist damals nichts passiert, aber dieses Gefühl von Angst ist bei ihm seit Herbst 2016 größer geworden. Und er ist deshalb noch aufmerksamer, noch vorsichtiger als zuvor.
Denn im Herbst 2016 wurde der Objektschutz für seine Wohnung und deren Umfeld eingestellt. Das Landeskriminalamt hatte seine Gefährdungslage neu eingestuft. Bis dahin hatten Polizisten drei Jahre lang regelmäßig den Hausflur kontrolliert, die Wohnungstür geprüft, die Tiefgarage inspiziert und nach Tas’ Auto geschaut. Sie hatten die Reifen überprüft, hätte ja sein können, dass Radmuttern gelöst sind. Zweimal wurden Tas’ Reifen aufgeschlitzt.
Die Polizei nimmt keine Stellung zu Details, wenn es um den Schutz bedrohter Menschen wie Tas geht. Es ist deshalb nicht klar, warum sie den Objektschutz aufgegeben hat. Auch er, sagt Tas, habe keine klare Auskunft bekommen.
In diesem Jahr hat Tas noch keine Morddrohung bekommen
Es klingt jetzt zynisch, aber es ist etwas ruhiger geworden bei ihm. „2017 habe ich noch keine Morddrohung erhalten“, sagt Tas. Auch massive Drohungen, über die üblichen Beschimpfungen und Beleidigungen in den sozialen Netzen hinaus, gab es in letzter Zeit nicht.
Doch es kann ja jederzeit wieder losgehen. Und deshalb hat sich Tas’ Alltag verändert, das Gefühl für die latente Gefahr hat sich intensiviert, seit der Objektschutz weg ist. „Wenn ich ein Geräusch im Treppenhaus höre, bin ich vorsichtiger als früher“, sagt er. „Ich öffne dann ab und zu die Tür und beobachte, ob sich etwas verändert hat.“
Und in der Tiefgarage inspiziert er die Reifen seines Autos. Das hat er früher auch schon gemacht, „aber jetzt intensiver“. Steht Tas vor seinem Haus, dann scannt er die Umgebung. Beobachtet mich jemand? Verhält sich jemand auffällig? Dann, nächster Schritt: Ist jemand im Flur, der da nicht hingehört? Fragen, die er früher schon hatte, aber da entlastete ihn noch das Gefühl, dass die Polizei auch vor Ort ist oder vor Kurzem war. Es geht ja bei Drohungen vor allem um Gefühle. „Ganz verhindern kann die Polizei natürlich nichts“, sagt Tas. Aber das Wissen, allein verantwortlich zu sein, erzeugt enorme Unsicherheit.
Sein Gehirn ist immer im Alarmmodus
Immerhin, seine Nachbarn passen auch auf, sie informieren ihn über Auffälligkeiten im Haus. Auch auf seine Freunde, auf seine Familie kann sich Tas verlassen. Eine Stunde, nachdem er im September 2013 die Runen und die Todesdrohungen an seiner Tür entdeckt hatte, war eine Freundin bei ihm. Unmittelbar danach erhielt er Objektschutz.
Nachts schreckt Tas bei jedem Geräusch hoch, das irgendwie ungewöhnlich ist. Sein Gehirn ist immer in diesem latenten Alarmmodus. Und wenn tatsächlich mal tätlich angegriffen würde, was dann? „Ich werde auf jeden Fall versuchen, mich zu wehren. Ich helfe ja auch, wenn andere angegriffen werden.“
Seinen letzten couragierten Einsatz hatte er am Rand der 1.-Mai-Demonstration. Tas sah, wie der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber, erklärtes Feindbild der Linksextremen, von einem Unbekannten angegriffen wurde. Tas griff sofort ein, unterstützt von einem Helfer. „Wir konnten den Mann zurückziehen. Sonst hätte Schreiber wohl Prügel erhalten.“