Wen wundert es, wenn die Bundeswehr sich hin und wieder schwer mit der Nazi-Vergangenheit tut? Schon in Schulen dürfen Stahlhelm-Pädagogen als Vorbilder herhalten. Die Kolumne.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen lässt derzeit sämtliche Bundeswehrkasernen nach Wehrmachts-Kitsch durchforsten. Militärhistorische Utensilien sind gemäß Traditionserlass zwar erlaubt, der Stahlhelm auf dem Nachttisch müsse jedoch, wenn schon, in einen geschichtlichen Zusammenhang gestellt werden. Überhaupt will die Bundesministerin künftig für die politische Bildung ihrer Soldatinnen und Soldaten sorgen, die möglicherweise noch nicht gelernt haben, welche geschichtliche Bewandtnis es beispielsweise mit dem Stahlhelm hat.
Der ist ideologisches Basismaterial der Rechtsextremen und steht symbolisch für den gleichnamigen militärischen Arm der Deutschnationalen Volkspartei, der bereits im Jahre 1933 in die SA aufging, und einen noch heute prominenten Wissenschaftler zu seinen Mitgliedern zählte: den Pädagogen Eduard Spranger.
Das müsste nicht weiter interessieren, doch dient eben jener Spranger zahlreichen Schulen von Gelsenkirchen über Mannheim bis Frankfurt-Sossenheim als Namenspatron, was ihn – Stahlhelm hin oder her – für Tausende Schülerinnen und Schüler zum Vorbildcharakter erhebt. Auf der Webseite der Frankfurter Schule sind Sprangers biografische Details ausgespart, wobei wenig Nachhaken zeigt, dass seine Weste mehr als „zwei oder drei Schönheitsflecken“ abbekommen hat, wie er selbst nach 1945 tiefstapelte.
Spranger war, ohne NSDAP-Mitglied zu sein, deutsch-national bis ins Mark. Sein Anliegen 1933: eine „Totalerziehung des deutschen volks- und staatsverbundenen Menschen“ als Bestandteil eines Volkes, das „Keime des Göttlichen“ enthalte, und entsprechend das Deutsche Reich in die Sphäre des Gottähnlichen erhebe.
Die „Jungmännererziehung unter psychologischen und nationalen Gesichtspunkten“ (33/34) habe den Jungen „mit Haut und Haar in diese neue Welt hineinzubilden“, und sowieso müssten die Knaben temporär aufhören, „Individuen zu sein, um ganz in ‚Reih und Glied‘ zu existieren“ – pädagogisches Ziel war das Heranzüchten eines „Charakters des Kriegers“, der sich für den Staat zu opfern weiß.
Es ist nur eine kleine Auswahl von Spranger-Zitaten, die zum einen veranschaulicht, dass der Mann sich beim Fleckenzählen vertan haben dürfte. Zum anderen ist erstaunlich, dass ein Wissenschaftler, der bei den Nazis den „Sinn für den Adel des Blutes“ bewunderte und später die Nazi-Verbrechen auf den „Hitlerismus“ reduzierte, immer noch als Vorbild für Schülerinnen und Schüler herhalten darf. Die Ignoranz um die Person Spranger ließ in den 60ern den Philosophen Heidegger, zahlendes NSDAP-Mitglied bis 1945 und glühender Verfechter einer „Nationalen Revolution“, jammern, man möge sich doch einmal der Schriften jenes Herrn annehmen und nicht weiter auf ihm herumhacken. Doch obwohl die Forschung längst nachgearbeitet hat, ist der „Stahlhelm-Pädagoge“ (Forschungsstelle NS-Pädagogik) sinnstiftend in schuleigenen Briefköpfen zementiert.
„Der Herrenmensch kann, nach einem ewigen Lebensgesetz, nur erzogen werden am Gehorchen und Dienen“, hatte Spranger 1934 formuliert, ein Satz, der eine bildende Deutungsaufgabe für Schüler und Soldaten gleichermaßen sein könnte. Solange aber die Geschichtsvergessenheit die Aufklärung überlagert, sollte sich niemand über Stahlhelmromantik in Bundeswehrkasernen wundern.