Die AfD und der Liberalismus Freiheit heißt in der AfD, politisch unkorrekt sein zu dürfen

Erstveröffentlicht: 
11.05.2017

Die beiden AfD-Politiker Jörg Meuthen und Alice Weidel bezeichnen sich selbst gern als „freiheitlich“. Mit der liberalen Idee von Freiheit hat ihre Vorstellung wenig gemein. Vielmehr geht es ihnen darum, frei von politischen Tabus zu sein. Ein Kommentar.

Liane Bednarz

 

Noch immer liest man über den AfD-Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen und die Co-Spitzenkandidatin der Partei für die Bundestagswahl, Alice Weidel, sie seien „liberal“ oder dem „liberalen Flügel“ der Partei zugehörig. Dabei sind beide gegenüber der Zuschreibung „liberal“ inzwischen auf Distanz gegangen. Stattdessen nennen sie sich „freiheitlich“, auch wenn Weidel inzwischen zurückrudert.

 

 

Jörg Meuthen etwa wies auf diese für ihn wichtige Unterscheidung in seiner Rede beim letztjährigen „Kyffhäuser“-Treffen des völkischen Flügels der AfD hin, der von Björn Höcke und André Poggenburg angeführt wird. Meuthen kam gleich zu Beginn seines Vortrags auf das „Etikett des gemäßigten Wirtschaftsliberalen“ zu sprechen, das man ihm angeheftet habe. Dieses sei „so nicht stimmig“ und „nicht einmal die halbe Wahrheit“. Er selbst verwende das Wort kaum, „es sei denn, um gegen die FDP, also die Gralshüter des Verrats am wahren Liberalismus zu schießen“.

 

Seine eigene Geisteshaltung bezeichne er „schon seit Langem nicht liberal, sondern schlicht freiheitlich“. Unter „liberal“ nämlich könne „alles und nichts verstanden werden“, auch „alles Mögliche aus dem linksrotgrünen Gemischtwarenladen“, was mit „Liberalismus im Sinne von Freiheitlichkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun“ habe. Der Begriff sei deshalb „kontaminiert“. Bereits auf dem Stuttgarter Parteitag der AfD hatte Meuthen eine Unterscheidung zwischen „freiheitlich“ und „liberal“ getroffen. Als „freiheitlich“ identifizierte er damals ordoliberale Wirtschafts- und Steueraspekte sowie „die Hinwendung zur direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild“. Kein Wort hingegen zu gesellschaftlichen Freiheiten, zum Abbau von Diskriminierungen, zum Denken vom Individuum her, was den Liberalismus ebenso ausmacht.

 

 

Auch Alice Weidel hat sich diese Semantik neuerdings zu Eigen gemacht. In ihrer gemeinsam mit Alexander Gauland, dem Co-Spitzenkandidaten der AfD, auf dem Kölner Parteitag am 23. April abgehaltenen Pressekonferenz sagte sie: „Ich finde, der Begriff der Liberalität, das Liberalsein, ist absolut ad absurdum geführt worden von der FDP, die diesen Begriff komplett verbogen hat. Ich würde eher sagen: freiheitlich ja, ich stehe für den freiheitlich-konservativen Arm der Partei.“ Noch im März klang das, worauf jüngst Severin Weiland auf „Spiegel Online“ hinwies, allerdings etwas anders: Da nämlich erklärte Weidel in der "Welt", dass die AfD mit ihr „für eine liberal-konservative Ausrichtung“ stehe. Kurioserweise ruderte sie nach Köln wiederum zurück und sagte gegenüber den „Stuttgarter Nachrichten“, sie repräsentiere „eine liberalkonservative Ausrichtung“ der Partei. 

 

Der Unterschied zwischen „freiheitlich“ und „liberal“ ist nicht nur semantischer Natur


Wie auch immer. Die Stoßrichtung ist klar und bei der Unterscheidung zwischen „freiheitlich“ und „liberal“ handelt es sich nicht bloß um Semantik. Namentlich Meuthens Äußerungen können als Absage an jenen emanzipatorischen Liberalismus verstanden werden, der in rechten bzw. rechtslibertären Kreisen seit Jahren als „Liberalala“ bezeichnet wird. „Freiheit“ heißt in diesen Kreisen, möglichst schrankenlos vieles „sagen zu dürfen“. Weidels auf dem Kölner Parteitag pauschal geäußerter Spruch, die „politische Korrektheit gehöre auf den Müllhaufen der Geschichte“, klingt wie ein Ausweis dieser Geisteshaltung.

 

Die Abkehr vom Liberalismus der FDP, der sowohl wirtschaftlich als auch emanzipatorisch, also auf den Abbau von Diskriminierungen ausgerichtet ist, zugunsten eines De-facto-Freibriefs zur „politisch inkorrekten“ Polterei hat schon 2015 die früher renommierte Hayek-Gesellschaft gesprengt. Zusammen mit vielen anderen trat die damalige Vorsitzende Karen Horn aus dieser aus, nachdem sie zuvor in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vor der „rechten Flanke der Liberalen“ gewarnt hatte.

 

Um es klar zu sagen: Es ist nicht liberal und auch nicht liberal-konservativ, wie Alice Weidel die politische Korrektheit und das Liberale in Bausch und Bogen als „beliebig“ zu verdammen. Denn genau das liberale Eintreten für die Rechte des Individuums  ermöglicht es nicht zuletzt ihr selbst als lesbische Frau, mit einer anderen Frau verpartnert zu sein und zwei Kinder groß zu ziehen. Wenn sie die „politische Korrektheit“ wirklich entsorgen möchte, lädt sie damit de facto regelrecht zu auch im AfD-Milieu verbreiteten homophoben Sprüchen ein.

 

Das verstehe wer will. Der Journalist Justus Bender führt in seinem vor ein paar Wochen erschienenen Buch „Was will die AfD?“ zutreffend aus: „Es gibt eine ‚Politische Korrektheit‘ in Deutschland. Man könnte das Phänomen auch Anstand oder Rücksichtnahme nennen, und dieser Anstand ist nicht nur eine Frage der Moral. Er soll strukturell verhindern, dass Vertreter gesellschaftlicher Gruppen sich verletzt fühlen müssen, weil die Aufwiegelung, die dadurch beginnt, eine Sachdebatte verunmöglicht“. Viele AfD-Mitglieder hingegen, so Bender weiter, „wollen frei sein von der Zumutung der Toleranz“.

 

Die Distanzierung vom Liberalismus wird dem völkischen AfD-Flügel gefallen

Mit der Distanzierung vom Liberalismus zugunsten der „Freiheitlichkeit“ schütten Meuthen und Weidel allerdings, ob Kalkül oder nicht, überdies den wichtigsten Graben hin zum völkisch-neurechten Flügel der AfD zu. In diesem Kreisen nämlich ist der Liberalismus ein Feindbild. Er wird oft mit Dekadenz gleichgesetzt. Ähnlich sieht es auch in manchen rechtskatholischen Zirkeln aus. So beklagte sich Felix Dirsch, der auch Autor bei Götz Kubitscheks Zeitschrift „Sezession“ ist, im Februar in der eigentlich als seriös geltenden, im Feuilleton aber in letzter Zeit mehrfach mit rechten Tendenzen auffällig gewordenen katholischen Zeitung „Die Tagespost“, dass der „postmoderne Liberalismus (…) dezidiert individualistisch-hedonistisch ausgerichtet“ sei und „allerlei Minderheiten und vermeintlich Benachteiligte gleichstellen, letztlich sogar privilegieren wolle“. Das klingt nicht viel anders als die Sehnsucht nach „politischer Inkorrektheit“.

 

Nun ist Alice Weidel nicht völkisch-rechtsradikal. Sie hat Höcke sogar kritisiert. Das jedoch ändert nichts daran, dass ihr Wettern gegen die „politische Korrektheit“ einiges von genau jener „rechten Flanke der Liberalen“ hat, vor der Karen Horn gewarnt hat. Nicht umsonst stellte Weidel die rechtspopulistische "Freiheitliche Partei Österreichs" (FPÖ) im Herbst in Stuttgart als Vorbild und als „ein Erfolgsrezept auch für die AfD“ dar. Und fügte hinzu, dass die AfD „eigentlich zehn Norbert Hofers [bräuchte]“, „um erfolgreich zu sein.“

 

Im Grunde ist die Unterscheidung zwischen „freiheitlich“ und „liberal“ künstlich. Die FPÖ hieß schon so, bevor sie 1986 durch den Rechtspopulisten Jörg Haider geprägt wurde. Da Weidel nun aber einmal diese Unterscheidung trifft, ist sie daran zu messen. Und so wäre es besser, wenn sie sich künftig nur noch „freiheitlich“ nennen würde. Denn liberal sind viele Vorstellungen der Frau, die die rechtspopulistische FPÖ so schätzt, selbige „Schwesterpartei“ nennt und hervorhebt, dass sie diesen Begriff „mag“, nun wirklich nicht. Ihre Forderung, dass die AfD diesen „ganzen Politzirkus hinausfegen [müsse]“, ist nur ein Beispiel dafür.