Spuren, die keine sein dürfen

Erstveröffentlicht: 
24.04.2017

Bis heute ist der NSU-Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter nicht aufgeklärt. Eine Spur könnte die Verbindung von Uwe Mundlos zu einem V-Mann des Verfassungsschutzes sein – doch der Aufklärungseifer ist schwach.

 

Die Killer schlichen sich von schräg hinten heran. Vor zehn Jahren, am 25. April 2007, wurde die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn durch einen gezielten Kopfschuss hingerichtet, ihr Kollege Martin A. überlebte wie durch ein Wunder. Der Mord an der damals 22-jährigen Polizistin gilt als zehnte und letzte Bluttat des NSU, des Nationalsozialistischen Untergrundes. Doch wirklich aufgeklärt ist dieser Anschlag genauso wenig, wie all die anderen jener Mordserie an ansonsten ausschließlich Migranten.

 

Das könnte an der zweifelhaften Rolle von 40 insgesamt staatlichen V-Leuten im Umfeld des NSU liegen. Einer von ihnen: Ralf Marschner, alias „Manole“, alias V-Mann „Primus“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Er wird nun von neuen Zeugen massiv belastet. Bereits im April vergangenen Jahres hatte das Autorenteam der „Welt“ bei Recherchen für die ARD-Dokumentation „Der NSU-Komplex“ exklusiv berichtet, dass ein Zeuge NSU-Terrorist Uwe Mundlos als Mitarbeiter bei der Zwickauer Firma des Verfassungsschutzspitzels, beim „Marschner Bau-Service“, identifiziert hatte. Mundlos soll dort „als eine Art Vorarbeiter“ in den Jahren 2000 und 2001 eingesetzt worden sein.

 

Sofort nach diesen Enthüllungen leitete das Bundeskriminalamt (BKA) Nachermittlungen ein. Deren Ergebnisse, als VS-vertraulich eingestuft, liegen der „Welt“ vor. Sie zeigen, dass zwei neue Zeugen Mundlos eindeutig auf Marschner-Baustellen erkannt haben. Und sie zeigen ebenso deutlich die Bemühungen der BKA-Ermittler, diese unliebsamen Hinweise auf die Aktivitäten eines Verfassungsschutzspitzels kleinzuschreiben und für „nicht relevant“ zu erklären. 

 

Marschner bestreitet, das NSU-Trio gesehen zu haben


Dies alles, obwohl einer der neuen Zeugen, Frank M., Mundlos nicht nur klar identifiziert hatte, sondern ihn mit seiner Aussage auch erstmals nicht nur auf Baustellen in Sachsen, sondern in der Nähe von Tatorten der NSU-Morde verortet. Mundlos habe mit ihm 2000 und 2001 gemeinsam auf Marschner-Baustellen in Erlangen und München gearbeitet, gab Frank M. in der BKA-Vernehmung zu Protokoll. Man habe „nicht unsere richtigen Namen nennen“ dürfen, sagte M. aus, da die meisten der bei Marschner beschäftigten Rechtsextremisten „wohl frisch aus dem Gefängnis kamen“. Auf Fahrten zu und von den Baustellen, so M. auch zum Autorenteam, habe permanent Nazimusik aus den Lautsprechern gedröhnt. „Manole hat mir gesagt, dass das Musik aus den USA ist und dass man zu dieser Mucke auch gut Leute umbringen kann.“

 

Marschners Bau-Service hatte zum Zeitpunkt dreier NSU-Morde verschiedene Fahrzeuge angemietet: am 13. Juni 2001, als in Nürnberg der Änderungsschneider Abdurrahim Özüdogru ermordet wurde, am 27. Juni 2001, als in Hamburg der Gemüsehändler Süleyman Tasköprü erschossen wurde, und am 29. August 2001, als in München der Gemüsehändler Habil Kilic umgebracht wurde. Der Tatort in Nürnberg ist übrigens von Erlangen, wo der Zeuge M. mit Mundlos gearbeitet haben will, nur 20 Kilometer entfernt. Von der Baustelle in München sind es gerade sieben Kilometer. Somit gewinnt die Frage, ob V-Mann „Primus“ einen oder mehrere der Naziterroristen zeitweilig beschäftigte, eine mörderische Brisanz.

 

Schon zuvor hatten Zeugen ausgesagt, Beate Zschäpe in einer weiteren Marschner-Firma, einem Geschäft für rechtsextreme Szenekleidung in Zwickau, als Mitarbeiterin gesehen zu haben. Marschner selbst bestreitet vehement, das NSU-Trio je auch nur gesehen zu haben. Kein Kontakt? In einer 90.000-Einwohner-Stadt mit einer überschaubaren, verschworenen und gut vernetzten Neonazi-Szene, in der V-Mann „Primus“ eben gerade wegen seiner hervorragenden Verbindungen auch in den militanten Bereich vom Bundesamt für Verfassungsschutz angeworben und als Quelle geführt und bezahlt wurde? In einer Szene, in der das NSU-Trio bis zum Abtauchen Marschners sieben Jahre lang lebte, Besucher empfing, Unterstützer traf, Banküberfälle beging, Morde und Campingurlaube plante? Möglich – aber doch eher unwahrscheinlich.