Abhörskandal in Leipzig: „Wahllos Leute zusammengesucht, die sich antifaschistisch engagieren“

Erstveröffentlicht: 
09.05.2017

Weil die sächsische Justiz nach Attacken auf Rechtsextreme in Leipzig eine kriminelle Vereinigung finden wollte, wurden über drei Jahre hunderte Messestädter belauscht. LVZ.de sprach mit einem der Hauptbeschuldigten.

 

Leipzig. Abgeschlossen, aber nicht abgehakt: Dass Hunderte Leipziger jahrelang zum Teil ohne konkreten Straftatverdacht von der Polizei überwacht wurden ( LVZ.de berichtete), erregt zumindest immer noch unter engagierten Fußballfans die Gemüter. Am vergangenen Wochenende gab es wieder diverse Solidaritätsbekundungen in den Fankurven des Landes – unter anderem bei Anhängern von Bayern München, RB Leipzig und Greuther Fürth. Dabei ging es bei den Ermittlungen der Dresdner Staatsanwaltschaft primär gar nicht nur um Fußballfans, sagt Fabian V.* Der 29-Jährige gehört zu den 14 Hauptbeschuldigten, die jahrelang im Auftrag der Dresdner Staatsanwaltschaft abgehört wurden. Am Ende umsonst, die Verfahren mussten ergebnislos eingestellt werden. Im Interview mit LVZ.de erzählt Fabian V., wie sein Umfeld von den Behörden abgehört wurde, warum hunderte weitere Leipziger letztlich ebenfalls belauscht wurden und warum sich die Behörden dabei auch auf Fanclubs der BSG Chemie Leipzig konzentrierten.

 

Wie haben Sie erfahren, dass Sie Teil eines Ermittlungsverfahrens samt Überwachungsmaßnahmen durch die Polizei gewesen waren?


Fabian V.: Erstmals haben wir tatsächlich davon erfahren, als wir von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden eine schriftliche Information über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens bekommen haben. Das war im November 2016. Ein paar Tage später wurden wir von Freunden, Bekannten und Verwandten angesprochen, die auf charmante Weise von der Generalstaatsanwaltschaft informiert worden sind, dass sie im Rahmen der Ermittlungen mitabgehört wurden. Das hat natürlich erst einmal jeden schockiert.

 

 

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— rasenballisten (@rasenballisten) May 7, 2017

 

Das Verfahren lief ja über drei Jahre. In welchem Zeitraum und in welcher Form wurden Sie konkret abgehört?


Fabian V.: Die Telekommunikationsüberwachung begann am 6. Dezember 2013. Die letzte Abhörmaßnahme endete (zumindest in diesem Verfahren) am 11. November 2014. Von der Telekommunikationsüberwachung waren sowohl Festnetzanschlüsse als auch Handys sowie sämtlicher Internetverkehr betroffen.

 

Viele haben inzwischen Akteneinsicht beantragt: Geht daraus hervor, was Ihnen konkret von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen wurde?


Fabian V.: Zu Beginn des Verfahrens wurden von der Polizei 16 Straftaten aufgelistet, welche vom Ablauf und der Durchführung nach Auffassung der Polizeibeamten ein gleiches Muster aufgewiesen haben sollen. Durch den zuständigen Staatsanwalt wurden aus diesen 16 Straftaten fünf konkrete Straftaten herausgefiltert, welche den Ausgangspunkt des Verfahrens gebildet haben. Es handelte sich dabei überwiegend um Körperverletzungen sowie Sachbeschädigungen gegen Personen der rechten Szene – wobei allerdings nur bei einer Tat konkrete Tatverdächtige noch vor Ort festgenommen werden konnten. Bei allen anderen zugrunde liegenden Straftaten wurden bis zum heutigen Tag keine Tatverdächtigen ausfindig gemacht und die Ermittlungsverfahren eingestellt.

 

Wenn es keine nachweisbaren Verbindungen zu Straftaten gab: Was denken Sie, warum sind die 14 Hauptbeschuldigten dann überwacht worden?


Fabian V.: In den letzten Tagen ist in den Medien oftmals im Zusammenhang mit der BSG Chemie Leipzig über dieses Ermittlungsverfahren berichtet worden. Dass gegen Ende des Verfahrens auch die Fanszene der BSG Chemie durchleuchtet wurde, heißt aber nicht automatisch, dass Chemiefans der Auslöser des Verfahrens waren. Letztendlich wurden wahllos Leute zusammengesucht, die sich auf unterschiedlichen Ebenen antifaschistisch engagieren – egal ob im Stadtteil, im Stadion, im Rahmen von Netzwerkarbeit oder auf Demonstrationen. Um Beschuldigter in diesem Verfahren zu werden, musste niemandem etwas Konkretes nachgewiesen werden. Teilweise haben sich die Beschuldigten noch nie im Leben gesehen oder hatten miteinander zu tun. Darüber hinaus genügten beispielsweise häufige Telefonate mit Personen, damit auch die Gesprächspartner zu Beschuldigten geworden sind. Zudem hat bereits die räumliche Nähe der Wohnsitze diverser Personen Anlass gegeben, um seitens der Ermittlungsbehörden eine vermeintliche kriminelle Gruppierung zu konstruieren.

 

Laut Dresdner Staatsanwaltschaft wurde eine kriminelle Vereinigung in der linken Szene gesucht. Zuletzt wurde bekannt, dass konkret zwei Fußballfanclubs der BSG Chemie im Fokus standen …


Fabian V.: Der § 129 des Strafgesetzbuches ist ein Paragraph, der nicht in erster Linie dafür ausgelegt ist, um Personen zu verurteilen. Stattdessen – und das hat sich durch dieses Verfahren erneut bestätigt – handelt es sich um einen reinen “Schnüffelparagraphen”, der einzig und allein dazu dient, dass die Ermittlungsbehörden ihr gesamtes Repertoire an Überwachungsmaßnahmen ausschöpfen können, um Gruppierungen und Strukturen auszuspähen. Dass ein Fanclub als sichtbare und öffentliche Gruppe für ein solches Verfahren natürlich besser zu greifen ist als eine aus Einzelpersonen bestehende angebliche Vereinigung, die es nur in der lebhaften Fantasie der Ermittler gibt, erklärt ein wenig den entstandenen Fußballfokus. Nach deren Logik reichte es bereits aus, eine gemeinsame „Gruppenidentität“ zu besitzen und ein gesellschaftliches Selbstbild zu zeigen, das Neonazis ablehnt. Scheinbar hat sich der Ermittlungseifer der Behörden hier verselbstständigt.

 

Im November wurden die Ermittlungen offiziell eingestellt – aus Mangel an Beweisen. Sind alle Vorwürfe gegen Sie fallen gelassen worden oder sind Ihnen weiterführende Ermittlungen bekannt?


Fabian V.: Im Zusammenhang mit diesem Verfahren wurden alle Vorwürfe fallen gelassen. Ein Blick in die uns bislang vorliegenden Ermittlungsakten legt allerdings den Verdacht nahe, dass es mindestens ein weiteres Verfahren nach § 129 StGB gegen einen anderen Personenkreis gibt. Dies bestätigen auch die Antworten des Justizministers auf die Anfrage von Valentin Lippmann im Sächsischen Landtag, aus denen hervorgeht, dass in Leipzig noch ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen der Bildung krimineller Vereinigungen läuft.

 

Durch das Mitlesen und Abhören sind auch Ihre Gesprächspartner aktenkundig geworden. Haben Sie eine Vorstellung, wie viele Menschen aus Ihrem Umfeld so ebenfalls abgehört wurden?


Fabian V.: Uns ist bekannt, dass in diesem Verfahren über 46.000 Telekommunikationsereignisse, also Telefonate und SMS, ausgewertet worden sind. Neben den Beschuldigten waren etwa 240 weitere Personen bzw. Gesprächspartner von den Abhörmaßnahmen betroffen. Allerdings vermuten wir, dass deutlich mehr Personen ohne ihr Wissen Teil der Ermittlungen waren. Die Informationspolitik der Generalstaatsanwaltschaft lässt hier einiges im Unklaren.

 

Das heißt: Ihre Freunde, Arbeitskollegen, Familienmitglieder oder wer sonst mal angerufen hat, wurde letztlich von den Behördenmitarbeitern transkribiert und steht nun samt Mitteilung namentlich in den Akten?


Fabian V.: Ja, die gesamte Telekommunikation wurde ausgewertet, egal ob mit Freunden, Familie oder Geschäftspartnern gesprochen wurde. Zusätzlich wurden auch Gesprächsinhalte mit geschützten Berufsgruppen wie Ärzten und Anwälten aktenkundig gemacht.

 

Gehen Sie davon aus, dass alles – wie unter anderem vom Justizminister angekündigt – inzwischen auch vernichtet wurde?


Fabian V.: Nein.

 

Gibt es Ambitionen, gegen die Ermittlungen samt Überwachung juristisch vorzugehen?


Fabian V.: Die ehemaligen Beschuldigten haben den durchgeführten Überwachungsmaßnahmen selbstverständlich widersprochen und lassen nun gerichtlich die Rechtmäßigkeit der Telefonüberwachung, Observation bzw. des IMSI-Catcher-Einsatzes überprüfen. Um die Rechtmäßigkeit der Telefonüberwachung zu überprüfen, haben sich auch eine Vielzahl von Drittbetroffenen mit entsprechenden Anträgen an das zuständige Amtsgericht Dresden gewandt. Auch mit dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten sind mehrere Verfahrensbeteiligte in intensivem Kontakt. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung hat in der sächsischen Justiz scheinbar wenig Freunde. Wir möchten überprüfen lassen, ob die Behörden hier Kompetenzen überschritten haben. Dass wir in diesem Zusammenhang sowohl die Oppositionsparteien, die sächsische Zivilgesellschaft und überwachungskritische Nichtregierungsorganisationen (NGO) unterstützend mit einbeziehen, empfinden wir als unsere Pflicht.

 

*Name von LVZ.de geändert

Von Matthias Puppe