Mehr als 30 Millionen Euro pro Jahr nimmt das Justizsystem mit Häftlingsarbeit ein. Von Werner Reisinger
Wien. Wäsche waschen, gärtnern, Brot backen? Arbeit in Österreichs Gefängnissen ist längst nicht mehr bloß Systemerhaltung. Wie die "Wiener Zeitung" bereits im Oktober 2015 berichtete, lassen immer mehr Firmen und Unternehmen im Gefängnis produzieren. Der betriebswirtschaftliche Vorteil liegt auf der Hand: Lohnnebenkosten entfallen weitestgehend, im Krankheitsfall gibt es für die beschäftigten Häftlinge keine Lohnfortzahlung. Eine Pensionsversicherung für arbeitende Inhaftierte gibt es nicht, genau so wenig wie einen gesetzlichen Mindestlohn. Die Firmen können auf jederzeit verfügbare und zum Teil auch bestens ausgebildete Facharbeitskräfte zurückgreifen.
Die Häftlinge selber erhalten für ihre Arbeit nur einen Bruchteil dessen, was sie für ein und die selbe Tätigkeit in Freiheit bekommen würden. Ein externes Unternehmen bezahlt für eine Häftlings-Arbeitsstunde 9,70 Euro, drei Viertel davon werden als Vollzugskostenbeitrag einbehalten. Über 30 Millionen Euro spülte die Arbeit der Insassen in Österreichs Justizvollzugsanstalten 2015 in die Kasse der Justiz. Nur knapp 70 Euro monatlich bleibt den Häftlingen durchschnittlich als Vergütung - bei durchschnittlich knapp 60 geleisteten Arbeitsstunden im Monat.
"Sonderwirtschaftszone Knast"
Diese Zahlen gehen aus einer im März 2016 von den Grünen gestellten
parlamentarischen Anfrage an Justizminister Wolfgang Brandstetter
hervor. Kurz darauf fragten auch die Neos parlamentarisch nach: das
Justizministerium veröffentlichte daraufhin eine Liste mit 1055 externen
Firmen, die in heimischen Gefängnissen produzieren lassen.
Vergangene Woche widmete sich das Monatsmagazin "Datum" ausführlich dem Thema. Erstmals kamen neben Unternehmern auch betroffene Häftlinge zu Wort. Die Firmen selbst sind knausrig mit Auskünften: natürlich spiele die soziale Komponente bei der Auftragsvergabe hinter Gittern eine Rolle, so ein anonym zitierter Firmensprecher. Dennoch könne ihm "niemand erzählen, dass der preisliche Vorteil nicht der Hauptgrund ist, im Gefängnis produzieren zu lassen".
Im Zuge der "Datum"-Recherchen verschwand die Liste der 1055 Unternehmen wieder von der Homepage des Parlaments - "aus Datenschutzgründen", wie es hieß. Der "Wiener Zeitung" liegt die Liste vor: hauptsächlich klein- und mittelständische Unternehmen, aber auch große Firmen lassen in Haftanstalten produzieren, darunter der Modekonzern C&A, die Asfinag, der Schuhhändler Deichmann und die Autozubehör-Kette Forstinger. Auch der Hersteller der - nicht nur in alternativen Kreisen - begehrten Waldviertler-Schuhe Gea wird demnächst in Stein an der Donau herstellen lassen.
Bereits im Oktober 2015 versuchte der ehemalige deutsche Häftling Oliver Rast, in Österreich eine Zweigstelle der Gefangenen-Gewerkschaft - Bundesweite Organisation" (GGBO) ins Leben zu rufen. In Deutschland sprechen Häftlinge längst von "systematischer Ausbeutung", das Medieninteresse am Thema ist groß. Mehr als 1000 Mitglieder in 70 deutschen Haftanstalten zählt Rasts Gewerkschaft mittlerweile. Ihre Forderungen wollen Rast und seine Mitstreiter innerhalb- und außerhalb der Gefängnismauern auch in Österreich durchsetzen: Mindestlohn, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, eine Pensionsversicherung. Grundsätzliche Arbeitnehmerrechte, sagt Rast, würden auch in der "Sonderwirtschaftszone Knast" gelten.
Neos und Grüne für Diskussion
Davon hält Justizminister Brandstetter wenig. Ausbildungs- und
Arbeitsmöglichkeiten hinter Gittern seien "essenziell für das Gelingen
der Resozialisierung", für den Arbeitskampf der Häftlinge habe er
"wirklich kein Verständnis". Dass es für arbeitende Häftlinge keine
Pensionsversicherung geben könne, sei bereits höchstgerichtlich
ausjudiziert. Die Einnahmen für die Justiz aus der Häftlingsarbeit
würden zudem die laufenden Kosten des Justizvollzugs bei Weitem nicht
abdecken.
Billigarbeit im Gefängnis, von der zwar die Wirtschaft und das Justizsystem profitieren, die Häftlinge aber nur ein Taschengeld haben? Das System Häftlingsarbeit, auch im Auftrag privater Firmen, sei grundsätzlich wichtig und richtig, sagt der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser. Es sei auch wichtig, zu sehen, dass es sich eben nicht um normale Arbeitsverhältnisse handle. Den Stundelohn für die Häftlinge hält Steinhauser aber für "extrem niedrig", hier sei durchaus Diskussionsbedarf gegeben. Dem Gedanken, dass die profitierenden Firmen einen Beitrag zur Absicherung der Häftlinge in der Pension leisten sollten, kann Steinhauser durchaus etwas abgewinnen. Schließlich sei für entlassene Häftlinge das Risiko in Altersarmut zu enden, besonders hoch.
Die Unternehmen könne man nicht in die Pflicht nehmen, sagt Neos-Justizsprecher Nikolaus Scherak. Diese würden sich den Vorteil ja nicht erschleichen. Für eine bessere Entlohnung und Absicherung der Häftlinge zu sorgen, sei Aufgabe der Politik. Für FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan sind Mindestlohn und Pensionsversicherung für Häftlinge der "falsche Ansatz". Er plädiert sogar für einen Ausbau des Angebots für Firmen, wie ihn auch Finanzminister Schelling anregt.
Die Gewerkschaftsgründung in Österreichs Haftanstalten sei aber vor allem aus einem Grund "schwierig", sagt Oliver Rast, der inzwischen in einer Buchhandlung in Wien arbeitet: "Mein Eindruck ist, dass der Haftvollzug in Österreich stärker durchmilitarisiert ist, als in Deutschland. Wer sich engagiert, muss mit starkem Gegenwind, bis hin zu offenen Schikanen, rechnen." Die ersten GGBO_Aktivisten hinter Gittern seien sofort nachdem ihr Engagement bekannt geworden war, in andere Haftanstalten verlegt worden. Der österreichische Staat habe offensichtlich "kein Interesse, gewerkschaftliche Grundrechte auch in Haftanstalten gelten zu lassen", sagt er. Aufgeben will Rast dennoch nicht. In den Wiener Haftanstalten Simmering, Mittersteig und Josefstadt hat sich mittlerweile ein Österreich-Ableger der GGBO gegründet. "Wir wollen den Aufbauprozess weiter vorantreiben", sagt Rast.