Xavier Naidoo war der größte deutsche Popsänger, doch nun driftet er immer weiter ab. Sein neues Werk strotzt vor kruden Theorien. Es dürfte den Reichsbürgern gefallen. von Nadine Lange und Sebastian Leber
Diesmal könnte er zu weit gegangen sein. Die Provokation ist so drastisch, dass man sie nur schwer relativieren, den Imageschaden ein weiteres Mal reparieren kann. Gut möglich, dass dieses Lied dem Wesen eines Ausnahmesängers jene Eindeutigkeit beschert, die bislang fehlte.
„Marionetten“ heißt es. Xavier Naidoo, 45, Hitmaschine, hat es mit seiner Band Söhne Mannheims aufgenommen, es erntet Entsetzen. Nicht wegen Melodie oder Takt, sondern wegen der Sätze, die da gesungen werden. Von „Volksvertretern“ ist Rede, die „Volks-in-die-Fresse-Treter“ seien. Die als Marionetten von dunklen Mächten gesteuert würden. Und gegen die man vorgehen müsse, auch mit Gewalt: „Wenn ich so ein’ in die Finger krieg, dann reiß’ ich ihn in Fetzen.“ Notfalls werde man die Politiker mit einer „Forke“ zur Einsicht bringen.
War Xavier Naidoo nicht derjenige, der stimmgewaltig Liebe und Mitmenschlichkeit preist und auch schon in der Sesamstraße aufgetreten ist? Oder war er das nur zum Teil? Naidoo, der Vielgesichtige?
Seine Freunde werden es schwer haben, ihn erneut zu verteidigen
Er ist einer der großen deutschen Popstars. Hatte sieben Nummer-eins-Soloalben, Riesenerfolg mit der Show „The Voice of Germany“. Gewann zig Echos, Goldene Kameras und Stimmgabeln. Gleichzeitig fiel er immer wieder durch Skandale auf. Hier wurde ihm Homophobie vorgeworfen, dort rechtes Gedankengut. Mal waren es Verschwörungstheorien, dann Gewaltfantasien. Vor zwei Jahren wurde der öffentliche Druck auf ihn so stark, dass der NDR bekannt gab, der Sänger solle Deutschland nun doch nicht beim Eurovision Songcontest vertreten. Was wiederum Künstlerfreunde zu einer beeindruckenden Solidaritätskampagne bewegte. Prominente wie Til Schweiger und Jan Josef Liefers nahmen Naidoo in Schutz. Sie werden es schwer haben, ihn jetzt erneut zu verteidigen.
Der Aufschrei über Naidoos aktuelle Hasszeilen ist enorm. Die deutlichste Kritik hat bis jetzt Jan Böhmermann formuliert. In einer Parodie stellt er Naidoo als Judenfeind und Reichsbürger dar. Tatsächlich ähneln die Bilder und Begriffe, die in Naidoos „Marionetten“ auftauchen, den Argumentationsmustern der sogenannten Reichsbürgerbewegung. Das sind Verschwörungstheoretiker, die behaupten, die Bundesrepublik sei kein Staat, sondern eine Firma. Das Deutsche Reich bestehe bis heute fort. Der Verfassungsschutz warnt seit Jahren vor den Reichsbürgern. In ihren Reden fanatisieren sie oft von „Marionetten“ und dunklen Mächten, die eine „neue Weltordnung“ anstreben und korrupte Regierungen für sich arbeiten lassen. Etliche Reichsbürger behaupten, bei diesen Mächten handele sich um jüdische Familien. Zum Beispiel die Rothschilds. Xavier Naidoo scheint diese Theorie zu kennen, in einem früheren Lied sang er: „Baron Totschild gibt den Ton an.“
Kritik an Nähe zu Reichsbürgern und homophoben Texten
Bloßer Zufall oder gefährliche Nähe? Sicher ist: Der 1971 in Mannheim geborene, katholisch erzogene Sohn südafrikanisch-indisch-deutscher Eltern glaubt schon länger an vermeintliche Wahrheiten. Als er 2014 vor Reichsbürgern auf dem Rasen vor dem Berliner Reichstag sprach, nannte er die Anschläge vom 11. September 2001 einen Wendepunkt. Wer die offizielle Version glaube, habe „einen Schleier vor den Augen“.
Gewalt hat Xavier Naidoo schon einmal in einem Song angekündigt. 2012 sang er „Ich schneid euch jetzt mal die Arme und die Beine ab“ und „dir zerquetsch ich die Klöten“. Kritiker werteten das als Schwulenhass, weil Naidoo in derselben Strophe nachlegte: „Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist?“ An den Vorwürfen sei aber nichts dran, erklärte sich der Sänger damals. Er habe nichts gegen Homosexuelle, sondern in dem Lied gegen geheime Ritualmorde an Kindern gewütet.
Jetzt also „Marionetten“. Zu finden ist das Lied auf dem aktuellen Studioalbum der Söhne Mannheims, das momentan auf Platz sechs der Charts steht. Titel: „MannHeim“. Wobei nicht allein der „Marionetten“-Song Zündstoff enthält. Unter dem Titel „Der Deutsche Michel“ singen die Mannen um Naidoo über die „nachgerichteten Nachrichten“, um dann zu fragen: „Wer schickt die Nachrichten los und in wessen Schoß?/ Der Schoß, der dich in Sicherheit wiegt, ist vermoost“. Die Lügenpresselyrik endet mit der Erkenntnis, „dass du auf dem Altar liegst und geopfert wirst“.
Holocaust-Verharmlosung ging vielen zu weit
Das Opfer ist der im Refrain als Tor bezeichnete deutsche Michel. Darin klingt der rechte Topos des einstmals großen Volkes an, das sich nun in den Fängen einer finsteren Macht befindet. Es werde manipuliert und eingelullt, während der Schoß vermoost, was man als „Deutschland schafft sich ab“-Anspielung lesen kann.
Die Leadstimme auf den 16 Stücken von „MannHeim“ übernimmt meist Xavier Naidoo. Und so hat er auch das letzte Wort mit der Ballade „Nie mehr Krieg“, die vor eineinhalb Jahren bereits für Aufsehen sorgte, als der Publizist Jürgen Todenhöfer sie auf seiner Facebookseite veröffentlichte. Von ihm als Soundtrack eines Postings gedacht, in dem er sich gegen ein deutsches Militärengagement in Syrien ausspricht, gab es vielfach Kritik an dem Stück.
Vor allem die Zeile „Muslime tragen den neuen Judenstern, alles Terroristen, wir haben sie nicht mehr gern“ ging vielen zu weit. Denn diese Holocaust-Verharmlosung ist nicht nur deshalb grotesk, weil Muslime in Deutschland nicht systematisch verfolgt werden, sondern auch, weil hierzulande hunderttausende geflüchtete Menschen muslimischen Glaubens aufgenommen wurden.
Soziales Engagement in Mannheim wird fortgesetzt
Dass Naidoo das Lied nun unverändert mit auf dem Album der Söhne Mannheims veröffentlicht, zeigt ihn als einen Uneinsichtigen. Genau wie nach dem Auftritt vor den Reichsbürgern dreht er die Schraube noch ein Stückchen weiter. Verständlich also, dass der Oberbürgermeister der Stadt sich das Werk seiner prominentesten Pop-Bürger genauer anhört und daran etwas auszusetzen hat. Peter Kurz – Naidoo und den Söhnen Mannheims wegen ihres sozialen Engagements in der Stadt zu Dank verpflichtet – missfallen die „antistaatlichen Aussagen“ des Textes.
In einem Statement seines Büros heißt es: „Dass wir über diese Entwicklung nicht glücklich sind, versteht sich von selbst. Welche Konsequenzen sich daraus für uns ergeben, werden wir besprechen.“ In den nächsten Tagen soll auf Einladung der Band ein Treffen mit Kurz stattfinden. Schließlich ist „Marionetten“ laut Bandmitglied Rolf Stahlhofen „kein Aufruf zur Gewalt“, sondern einer „zum Dialog“.
Man hat noch etwas vor zusammen, etwa die Einrichtung eines Medienzentrums in Mannheim. Die Stadt setzt auch auf die weitere Unterstützung der Band für den Verein Aufwind, der 25 von Armut bedrohte Kinder betreut, ihnen Nachhilfe gibt, Deutsch und Schwimmen und Trommeln beibringt, Mittagessen anbietet und Ferienfahrten. Die Söhne Mannheims haben den Verein initiiert und fördern ihn bis heute. „Alles was ich brauche, bekomme ich“, sagt der Vereinschef.
Kann so einer Böses wollen?
Naidoo, einer, den man mögen kann und mögen darf. Ein sich regelmäßig bei Konzerten einstellendes Gefühl ist das, in Berlin zum Beispiel vor einem knappen halben Jahr. Da hat Naidoo auf seiner Unplugged-Tour am Ostbahnhof Station gemacht. Jubelnd wurde er empfangen, er war nicht der Mann, den die Reichsbürger feiern, sondern der, der er auf der Showbühne immer ist: kein politischer Zündler, sondern ein Missionar des Glaubens und der Liebe.
Seine Fans stört es nicht, dass die Lieder schon immer satt von Pathos und dass manche einfach nur Edelkitsch waren. Geschenkt, dass die Texte neben den christlichen auch immer kryptische, apokalyptische Botschaften enthielten. Kann einer, der so wundersam süß und innig von Nächstenliebe und Frieden singt, Böses wollen? Bei einem Besuch im ARD-Morgenmagazin 2011 überraschte er die Moderatoren. „Wir sind nicht frei“, sagte er. „Wir sind immer noch ein besetztes Land.“ Das ist nicht irgendein, sondern der Reichsbürgergedanke.
Offiziell möchte Xavier Naidoo nicht mit der Reichsbürgerbewegung in Verbindung gebracht werden. Klar ist: Sie feiern ihn für seine Texte, genau wie das rechtspopulistische „Compact-Magazin“. Dort gilt er als der „letzte Promi Deutschlands, der noch Eier in der Hose hat“. Könnten das alles Zufälle sein? Wird Xavier Naidoo am Ende missverstanden und ist eigentlich ganz harmlos? Wie unwahrscheinlich das ist, zeigt jene Strophe im umstrittenen „Marionetten“-Lied, in der er vom „Pizzagate“ singt, das auch noch auf seiner Rechnung stehe. Pizzagate, das ist die Geschichte, die im letzten US-Wahlkampf die Runde machte: Hillary Clinton und Barack Obama sollen im Keller einer Washingtoner Pizzeria einen Kinderpornoring betreiben.
Mitarbeit: Gunda Bartels und Christian Schröder