»Wie ein Kaugummi am Schuhabsatz«

Erstveröffentlicht: 
08.05.2017

Neid und Vorurteile gegen schwule Häftlinge existieren. Wer seine Gefühle offen zeigt, hat es leichter. Ein Gespräch mit Oliver Riepan Interview: Christof Mackinger

Sie sind fast zehn Jahre in Haft. Aufgrund des Urteils »lebenslänglich« und der Einstufung als »geistig abnorm« rechnen Sie nicht damit, in absehbarer Zeit freizukommen. In verschiedenen Haftanstalten Österreichs mussten Sie bereits Erfahrungen sammeln, wie es ist, als schwuler Mann hinter Gittern zu leben. Erzählen Sie uns von Ihrem Coming-out?

Das Coming-out erfolgt bei einer Verlegung in ein anderes Gefängnis immer wieder aufs neue. Es wissen zwar alle, dass ich schwul bin, aber sie wollen es jedes Mal wieder bestätigt bekommen. Wenn du deine Homosexualität zu verstecken versuchst, bist du auf ewig das diskriminierte Opfer. Das wird dann als Schwäche gesehen. Das offene Ausleben wird nahezu kommentarlos akzeptiert, weil du eben den Mut hast, dazu zu stehen. Wenn du mit einem Partner oder einer Transpartnerin zusammenlebst, kannst du das nicht verheimlichen. Dazu ist der Raum zu eng und die Zeit hier drinnen definitiv zu lang.


Ein Knastaufenthalt zerstört für viele Menschen die sozialen Beziehungen in Freiheit. Was bedeutet das in punkto Sexualität?

Das stimmt absolut. Durch den Knast werden alle Sozialkontakte unterbrochen und den wenigen Personen, die weiter Kontakt halten, wird der Besuch, Briefkontakt oder Telefonate über die Münzautomaten so erschwert, dass nur die wenigsten Beziehungen über die Knastzeit aufrechterhalten werden. Die Sexualität ist hier absolut eingeschränkt – egal ob hetero- oder homosexuell. Dir sieht beim Sex immer wer zu. Du wirst immer von den Wächtern und Kameras beobachtet, und die Zellennachbarn beschweren sich aus Neid, wenn sie glauben, Sex gehört zu haben. Die meisten sind zu feige, ihre Sexualität auszuleben und zu ihrer Homosexualität zu stehen. Im Gefängnis ist nahezu die Hälfte der Gefangenen schwul, oder zumindest bereit, bei schwulem Sex Befriedigung zu suchen.

 

Es hält sich die Legende, Homosexualität im Knast sei Resultat der Isolation vom anderen Geschlecht. Wie sehen Sie das?

Dass Homosexualität erlernbar oder gar eine Krankheit sei, ist natürlich Blödsinn. Entweder finden die Betreffenden einen Mann erotisch und sexuell erregend oder sie werden nie mit einem Mann im Bett landen. Zwang oder Mangel an Alternativen ändern an dieser Sachlage nichts.

 

Sie leben mit Ihrer Transpartnerin ganz offen in einer Beziehung in einem Männerknast, derzeit in Wien-Mittersteig. Haben Sie mit Homophobie zu kämpfen? Wie reagieren die Beamten?

Das homophobe Klima ist meiner Meinung nach nur ein Zeichen dafür, dass die Leute ihr sexuelles Verlangen verstecken oder verleugnen. Das wird dann unter Männlichkeit subsumiert und auf die projiziert, die den Mut haben, so zu leben. Aber grundsätzlich, wenn du dein Schwulsein nicht versteckst, hast du im großen und ganzen keine Probleme, hier auch in einer Beziehung zu leben. Im Gegenteil – mein Partner und ich, oder auch meine Transpartnerin wurden immer widerspruchslos akzeptiert, zum Teil sogar von anderen verteidigt.

Dadurch, dass ich als gefährlicher Gewalttäter eingestuft bin, noch dazu mit langer verbüßter und noch lange zu verbüßender Haft, ergeben sich da eigentlich keine Probleme. (lacht) Da nimmt jeder als normal hin, dass ich mit meiner derzeitigen Transpartnerin in aller Öffentlichkeit zärtlich bin, zur Begrüßung nach der Arbeit oder bei einem Zusammentreffen in den Warteräumen. Also so, wie Paare auch draußen leben – mit allen Problemen der Partnerschaft, aber auch mit allen schönen Momenten, die eine Beziehung bietet.

Die Beamten, sowohl Mann als auch Frau, nehmen es als gegeben hin. Ein paar wenige Idioten gibt es immer, aber auch die sind nicht problematisch, sondern nur so wie ein Kaugummi am Schuhabsatz: störend, aber nicht ernsthaft ein Problem im täglichen Leben.