Von Jürgen Freitag
Aue/Schwarzenberg. Sechs kleine, stinkende Misthaufen vor dem Gemeindeamt in Bad Schlema, eine zugemauerte Rathaustür in Grünhain-Beierfeld und meterhohe Hakenkreuze an Fassaden in Aue und Schwarzenberg: Immer wieder berichtet die Polizei von solchen Straftaten. Kein Einzelfall, bestätigt nun auch der neueste sächsische Verfassungsschutzbericht.
So registrierten die Ermittler zuletzt einen deutlichen Anstieg der politisch motivierten Straftaten im Erzgebirgskreis. Die Anzahl rechtsextremistischer Delikte erhöhte sich den Angaben zufolge im Jahr 2016 auf 176 (Vorjahr: 139 Straftaten). Zugleich sank die Anzahl rechter Gewalttaten von neun auf sechs. Anders als im sachsenweiten Trend erhöhte sich im Kreis aber auch die Anzahl linksextremistischer Straftaten - allerdings auf vergleichsweise niedrigem Niveau, von 17 auf 28 Fälle, davon eine Gewalttat.
Forscher Uwe Backes arbeitet als stellvertretender Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität (TU) Dresden und wertet den Anstieg der Straftaten als wenig überraschend. "Schon seit längerem sind verstärkte Mobilisierungseffekte im Zuge der Flüchtlingskrise erkennbar", sagt er. Die rechtsextremistische Szene nutze das Thema beispielsweise für Proteste oder Angriffe auf Asylbewerberheime. "Dagegen mobilisieren auch linksextreme Gruppen."
Der Verfassungsschutzbericht attestiert der Region vor allem ein rechtes Problem. Der Erzgebirgskreis sei ein Schwerpunkt rechtsextremistischer Aktivitäten, heißt es. Der Szene werden gut 200 bis 250Personen zugerechnet - der linksextremistischen Szene hingegen nur 30 bis 50 Personen.
Laut dem Bericht ist der jüngste Anstieg der rechten Straftaten auf Propagandaaktionen und Sachbeschädigungen der Identitären Bewegung - einer völkisch orientierten Gruppierung - zurückzuführen. Die NPD sei hingegen kaum noch aktiv, mit Ausnahme des Kreisvorsitzenden und Bad Schlemaer Gemeinderates Stefan Hartung. Dieser hatte 2016 mehrere Kundgebungen in der Region organisiert und Lokalpolitiker so unter Druck gesetzt.
Wie Forscher Backes berichtet, gibt es für die "vitale rechtsextreme Szene" im Kreis mehrere Gründe. Neben strukturellen Faktoren wie der Arbeitslosenquote und der Grenznähe mit einer erhöhten Kriminalitätsrate spielten unter Umständen auch personelle Faktoren eine wichtige Rolle. So könnten einzelne, besonders aktive Akteure wie etwa der NPD-Politiker Stefan Hartung dazu beitragen, die Szene fester in der Region zu verankern.
Der CDU-Landtagsabgeordnete Alexander Krauß spricht angesichts der Zunahme an Delikten von einem Problem. Er fordert, dass der Staat mit harter Hand durchgreift, wenn politische Ziele mit Gewalt verfolgt werden. "Weder Rechts- noch Linksextremismus", sagt er, "dürfen toleriert werden."
Kriminalitätsreport: Was die Zahlen sagen - und was nicht
Wie aussagekräftig ist die polizeiliche Kriminalitätsstatistik? Darüber sind sich selbst Fachleute uneins. Naturgemäß schlagen nur solche Fälle zu Buche, die den Ermittlern bekannt werden. Kriminalisten sprechen von einem sogenannten Hellfeld. Hinzu kommt ein "Dunkelfeld", also jene Straftaten, die der Polizei nicht bekannt werden - etwa weil keine Anzeige erstattet wird.
Die Anzahl rechter und linker Straftaten, die die Statistik ausweist, bildet nicht ab, wie oft tatsächlich gegen das Gesetz verstoßen wurde, sondern nur, wie oft Polizeibeamte das vermuten. Dabei kann die Anschuldigung auch völlig haltlos sein; das vermeintliche Vergehen bleibt in der Statistik -selbst bei einem späteren Freispruch durch ein Gericht.
Die Kriminalitätsstatistik ist fehlerbehaftet, aber aussagekräftig. Das sagt Uwe Backes von der TU Dresden. Trotz Makel gebe es kein alternatives Instrument in ähnlich hoher Qualität. Zudem sei die Datenqualität im Laufe der Jahre verbessert worden.