Die Pläne für den Matthäikirchhof zwischen Runder Ecke und Großer Fleischergasse nehmen konkrete Formen an. Auf dem Gelände in der City soll Bildungsort entstehen. Bald soll der Stadtrat entscheiden.
Leipzig. Zentrum für Demokratieforschung, Forum für Freiheit und Bürgerrechte, Geschichtscampus, Campus für Demokratie oder Geschichtsort „Runde Ecke“: Der Name, den das Areal der ehemaligen Stasi-Zentrale auf dem Matthäikirchhof einmal tragen könnte, ist noch völlig offen. Doch in einer Sache herrscht Grundkonsens: Das Gelände soll zum Erinnerungs,- Forschungs- und Bildungsort umgestaltet werden. Auf Grundzüge einer Entwicklungskonzeption für das letzte große noch nicht überplante kommunale Grundstück innerhalb des Innenstadtrings haben sich Mitglieder der Initiativgruppe „Tag der Friedlichen Revolution – Leipzig 9. Oktober“ verständigt. Ein zehnseitiges Positionspapier legten sie am Donnerstagabend dem Ältestenrat vor. Die Autoren fordern darin die Stadt allerdings auf, das Projekt „unbedingt“ von der wieder aufgekommenen Debatte um ein Freiheits- und Einheitsdenkmal zu trennen.
Bildung, Forschung und Erinnerung an authentischem Ort
„An diesem authentischen Ort können wir Bildung, Forschung und Erinnerung zusammenführen“, sagte Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) nach dem Treffen, an dem auch die Vorsitzenden der Ratsfraktionen teilgenommen hatten. „Dieser Ort inmitten des Stadtzentrums bietet wie kein anderer in Deutschland die Möglichkeit, aus der Erfahrung der Friedlichen Revolution von 1989 heraus über die Zukunft der Demokratie nachzudenken“, so Jung. Bislang sind dort die Stasi-Gedenkstätte „Museum in der Runden Ecke“, die Stasi-Unterlagenbehörde und das Schulmuseum untergebracht.
Jung hatte Anfang des Jahres Mitglieder der Initiativgruppe darum gebeten, sich konzeptionell mit der Idee auseinanderzusetzen, das ehemalige Leipziger Hauptquartier der Staatssicherheit zu einem Campus der Demokratie und darüber hinaus einen möglichen Standort für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal weiterzuentwickeln. Ein erster Anlauf für ein Denkmal auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz war kläglich gescheitert. Aus dieser Erfahrung heraus wollte Jung das emotionsbeladene Thema in einem zweiten Versuch völlig anders angehen. „Die Stadt Leipzig“, sagte der Rathauschef der LVZ, „sollte sich an dieser Stelle zurücknehmen und den zivilgesellschaftlichen Akteuren das Feld überlassen.“
Auslöser für seinen Vorstoß zum Matthäikirchhof waren Überlegungen des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit, Roland Jahn, die drei sächsischen Stasi-Archive am Original-Schauplatz in Leipzig zusammenzuführen und dazu auf dem Matthäikirchhof ein neues Archiv zu bauen. Eine Idee, der Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) jedenfalls schon aufgeschlossen gegenübersteht.
An dem jetzigen Positionspapier beteiligt waren Saskia Paul und Uwe Schwabe vom Archiv Bürgerbewegung, Tobias Hollitzer und Reinhard Bohse vom Bürgerkomitee, das gleichzeitig die Gedenkstätte „Museum in der Runden Ecke“ betreibt, Regina Schild und Niels Schwiderski von der Stasi-Unterlagenbehörde, Gisela Weiß und Thomas Töpfer vom Schulmuseum sowie Gesine Oltmanns und Michael Kölsch von der Stiftung Friedliche Revolution. Ihre zentrale Botschaft lautet: Durch die „synergetische Konzentration“ von Stasi-Archiv, Gedenkstätte, Archiv Bürgerbewegung, Stiftung Friedliche Revolution und Schulmuseum „könnten neue Akzente gesetzt und Impulse für die historisch-kritische Beschäftigung mit den Diktaturen und den Formen der Gewaltherrschaft in Europa für die gesamte Bundesrepublik und darüber hinaus ins Ausland gegeben werden“. Der Charme der Idee bestehe darin, dass sich die beteiligten Einrichtungen austauschen, aufeinander abstimmen und ergänzen können und trotzdem ihre Eigenständigkeit bewahren. Von großer Bedeutung für den Erfolg des Projektes sei die Authentizität.
Stasi-Neubau auf dem Matthäikirchhof soll erhalten bleiben
So sprechen sich die Autoren des Entwicklungskonzeptes beispielsweise gegen einen Abriss des einst von der Stasi errichteten Bürohauses aus. „Der historische Stasi-Neubau mit verschiedenen noch original erhaltenen Räumlichkeiten, wie der Bunkeranlage im zweiten Keller, dem Büro des letzten Leipziger Stasi-Chefs, dem Wartebereich der Stasi-eigenen Poliklinik oder dem Paternoster-Aufzug, muss ebenso in die Neugestaltung einbezogen werden wie die Fassade mit der Treppenhausverkleidung (,Horchturm’)“, fordern sie. „Diese Räume sollten thematisch adäquat genutzt werden. Der Stasi-Neubau sollte aus diesem Grund erhalten bleiben.“
Die Gesamt-Idee dürfe nicht zu Lasten einzelner Beteiligter gehen. Unverzichtbar sei es, die fünf Einrichtungen gleichberechtigt am Projekt zu beteiligen, sie müssten als eigenständige „Marke“ erkennbar bleiben. Denn die Vielfalt ihrer Angebote und Ansätze sei eine große Chance und kein Hindernis. „Es ist eine faszinierende Idee“, betonen die Bürgervertreter, „an einem Ort der Diktatur, in der Auseinandersetzung mit authentischen Räumen und Zeugnissen dieser spezifischen Vergangenheit, vielfältiges historisches Lernen zu ermöglichen, Gegenwartsprobleme und Zukunftsfragen unseres Gemeinwesens, im Sinne der Förderung der Demokratie, gegen Extremismus und Gewalt zu thematisieren.“
Auf der Grundlage des Positionspapiers soll nun ein Beschlussvorschlag für den Stadtrat erarbeitet werden.
Klaus Staeubert