Sofern der Stadtrat am 17. Mai dem neuen Leipziger Mietspiegel zustimmt, hätten die Bewohner der Mehrzahl der 62 Stadtgebiete dadurch Nachteile. In 37 Gebieten (60 Prozent) würden künftig höhere Mieten zulässig sein, als bisher dort real gezahlt werden. Privatvermieter, Genossenschaften und der Mieterbund lehnen den Entwurf ab.
Leipzig. Eine einzige gute Nachricht gibt es für viele Einwohner, falls der Stadtrat am 17. Mai den neuen „Mietspiegel 2016“ beschließt. Erstmals bekäme Leipzig damit einen sogenannten qualifizierten Mietspiegel. Das bedeutet, er wäre bei Streitigkeiten rechtsverbindlich. Mieterhöhungsverlangen könnten dann zum Beispiel nicht mehr allein darauf gestützt werden, dass ein Hausbesitzer auf drei vergleichbare Wohnungen mit höheren Preisen in der Umgebung verweist. Nach Erkenntnissen des Leipziger Mieterbundes kam das zuletzt häufig vor. Privateigentümer wie Conwert mit 5000 Wohnungen (kürzlich von Vonovia übernommen) hätten diese Methode ausgiebig angewendet, so Vereinschefin Anke Matejka. Selbst der kommunale Wohnungsriese LWB nutze das Modell mit den drei Vergleichswohnungen. „Wir begrüßen es daher sehr, wenn Leipzig jetzt einen qualifizierten Mietspiegel erhält.“
Das war es dann aber auch schon mit den guten Nachrichten. Denn nach LVZ-Recherchen dürfte der neue Mietspiegel die Wohnkosten in Leipzig insgesamt merklich erhöhen, statt sie auf dem vorhandenen Niveau zu halten. 62 Stadtgebiete und Ortsteile weist dieses Papier für Leipzig aus. In 37 Gebieten (60 Prozent) sollen künftig höhere Mieten zulässig sein, als bisher dort real gezahlt werden.
Wenige Befürworter des Mietspiegelkonzepts
Sowohl der Mieterverein als auch die Vertreter von Wohnungsgenossenschaften und privaten Hausbesitzern haben sich massiv gegen den vorliegenden Entwurf ausgesprochen. „Es wäre der erste Mietspiegel, den weder der Mieterbund noch wir befürwortet haben“, warnt Ronald Linke, Vorsitzender beim Eigentümerverband Haus & Grund. Ihn stört vor allem die Einführung von vier Lagekategorien (einfach, mittel, gut, sehr gut). Das würde „absurde Ergebnisse bringen, weil es nicht der Realität entspricht“.
Im Frühjahr 2016 hatte das Rathaus etliche Haushalte befragt, auch andere Datensätze ausgewertet, um verlässliche Grundlagen für den neuen Mietspiegel zu erhalten. Das Ergebnis fiel aber so aus, dass sich kein auffälliger Zusammenhang zwischen der jeweiligen Miethöhe und der Wohnlage nachweisen ließ. In 230 000 Wohnungen (69,2 Prozent) lagen die Kaltmieten zwischen 5 und 6 Euro pro Quadratmeter – also in einem Korridor von nur einem Euro. In gut 61 000 Wohnungen (18,5 Prozent) lagen sie darunter und in knapp 41 000 Wohnungen (12,3 Prozent) darüber. Maßgeblich für die Miethöhe war kaum die Lage, sondern der Ausstattungsgrad und der Sanierungszustand.
Um trotzdem verschiedene Lagekategorien für einen qualifizierten Mietspiegel zu erhalten, beschloss das Sozialamt, sie vom Bodenrichtwert abzuleiten – und zwar mit Stichtag zum 31. Dezember 2015. Bodenrichtwerte geben an, zu welchen Preisen in einer Gemarkung zuletzt Grundstücke verkauft wurden. 2015 waren diese Preise – auch durch Spekulanten – in Leipzig regelrecht explodiert.
Plattenbauten im Kolonnadenviertel werden teuer
Zunächst wurde ein Modell mit nur drei Lagekategorien (einfach, mittel, gut) erwogen. Dies hätte dem Mieterbund am besten gefallen. Doch bei Berechnungen der Statistiker stellte sich heraus, dass dies in 32 der 62 Gebiete Nachteile für die Mieter bringen würde. Hingegen wies der bislang gültige, einfache Mietspiegel von 2014 stadtweite Mittelwerte aus. Die lagen lediglich in 29 Gebieten über den wirklich gezahlten Mieten. Um das Problem zu lösen, versuchte es die Verwaltung als nächstes mit vier Lagekriterien: einfach bei einem Bodenrichtwert unter 130 Euro pro Quadratmeter, mittel bei 130 bis 280 Euro, gut bei 280 bis 400 Euro sowie sehr gut bei allem darüber. Das Ergebnis: Nun haben sogar in 37 der 62 Ortsteile die Mieter Nachteile. Dennoch blieb die Verwaltung dabei, angeblich, um mögliche Klagen gegen den ersten qualifizierten Mietspiegel besser abwehren zu können.
Künftig gehören demnach die Plattenbauten im Kolonnadenviertel zu Leipzigs teuersten Adressen. Bei der Lagekategorie sehr gut dürften Vermieter gemäß dem neuen Mietspiegel einen Zuschlag von 52 Cent pro Quadratmeter verlangen, bei gut immer noch 21 Cent extra kassieren.
Hingegen gibt es bei einfachen Lagen 21 Cent Abzug gegenüber dem Mittelwert – obwohl die Kosten für den Unterhalt der Bauten überall nahezu gleich sind.
In Leipzig bringe eine Unterteilung nach Lagen derzeit nicht mehr Rechtsfrieden, sondern weniger, sagt Wolf-Rüdiger Kliebes, Vorstand der Vereinigten Leipziger Wohnungsgenossenschaft (VLW). „Wir plädieren deshalb für die Beibehaltung der bisherigen, ausstattungsorientierten Methodik.“