Betroffene im Freital-Prozess "Wir dachten, das Haus stürzt ein"

Erstveröffentlicht: 
25.04.2017

An einer Flüchtlingswohnung in Freital explodierte ein Sprengsatz, inzwischen sind die Asylbewerber weggezogen. Im Prozess gegen die mutmaßlichen Täter zeigt sich der frühere Hausmeister erleichtert. "Wir haben wieder einigermaßen unsere Ruhe."

 

Sie hatten tagsüber Fußball gespielt und waren nach dem Abendessen in ihre Betten gefallen. Durchschlafen konnten Kibreab G. und seine Mitbewohner allerdings nicht. "Plötzlich habe ich einen Knall gehört", sagt der 28-Jährige heute, anderthalb Jahre danach. Er sei dann in die Küche gegangen und habe das zerstörte Fenster gesehen: "Die Splitter waren auf dem Boden, auf dem Tisch und auch auf dem Herd."

 

Es war der Abend, an dem der 25-jährige Lagerist Patrick F. laut Bundesanwaltschaft einen Sprengsatz vom Typ "Cobra 12" ans Küchenfenster der Erdgeschosswohnung in Freital bei Dresden klebte. Kurz vor Mitternacht detonierte die Ladung, Glassplitter und Teile des Rahmens flogen demnach meterweit durch die Wohnung und bis auf die andere Straßenseite. Die Ermittler rechnen die Tat der "Gruppe Freital" zu.

 

Sieben Wochen nach Beginn des Prozesses gegen die mutmaßliche Terrorzelle sitzen erstmals diejenigen im Zeugenstand, die laut Anklage zu den Hauptzielen der Rechtsextremisten zählten. Die Angeklagten, sieben junge Männer und eine Frau, wollten demnach nicht nur linke Politiker und Aktivisten bekämpfen, sondern vor allem Ausländer, die sie in ihren verschlüsselten Chats "Neger" oder "Kanacken" nannten. Menschen wie Kibreab G. aus Eritrea.

 

Der Staatsschutzsenat um Richter Thomas Fresemann bemüht sich an diesem Tag akribisch, das Geschehen vom Abend des 19. September 2015 zu rekonstruieren - was sich als nicht ganz einfach erweist. Denn Kibreab G. und zwei andere geladene Flüchtlinge können über die Tat selbst kaum etwas sagen. Zudem spricht ihr Dolmetscher kein perfektes Deutsch, was immer wieder zu Verzögerungen und Missverständnissen führt.

 

Auch die Aussagen von zwei Polizisten, die in jener Nacht im Einsatz waren, fördern keine bemerkenswerten Erkenntnisse zu Tage. Ein Nachbar der Flüchtlinge allerdings berichtet ausführlich über seine Sicht der Dinge: Der 59-Jährige wohnt direkt über der damals angegriffenen Wohnung, damals arbeitete er in dem Mehrfamilienhaus als Hausmeister.

 

"Irgendwann musste es mal plauzen"


Was er nach dem Anschlag gedacht habe, will Richter Thomas Fresemann von dem Mann wissen. Die Antwort: "Jetzt haben wir diese Problematik am Hals, mit den Ausländern." Fresemann fordert den alleinstehenden Frührentner auf, sich zu mäßigen und sachlich über die Ereignisse zu sprechen. Der Zeuge, ein hochgewachsener Mann mit Schnäuzer und Lederjäckchen, plaudert zunächst über die Vorgeschichte des Anschlags.

 

"Seit die Flüchtlinge da waren, hatten wir sehr starke Probleme", sagt er, "in meinen Augen waren die sehr unverschämt." Die Asylbewerber hätten die Hausregeln missachtet - und als er sie darauf angesprochen habe, hätten sie ihn ausgelacht. "Ich habe nichts gegen die Ausländer, aber solche Sachen müssen ja nicht sein."

 

"Die haben von Amtswegen alles bekommen", behauptet er und zählt den angeblichen Verschleiß staatlich finanzierter Möbel auf: vier Wohnzimmerschränke, fünf Couchgarnituren - dann bremst ihn Richter Fresemann aus. Schon vor der Explosion seien die Ausländer attackiert worden: Schmierereien am Haus, eingeschlagene Fenster, zerstörte Türen. Überrascht habe ihn der Anschlag angesichts dieser Vorgeschichte jedenfalls nicht: "Es musste mal irgendwann plauzen", sächselt er. Es klingt, als wolle er den Flüchtlingen eine Mitschuld geben.

 

Was genau der Hausmeister von der Explosion mitbekam? Ein lauter Knall habe ihn von der Couch aufschrecken lassen. "Wir dachten, das Haus stürzt gleich ein", sagt er, "da haben die Wände ganz schön gewackelt." Die Detonation sei mit dem Einschlag einer Handgranate vergleichbar, erläutert der Bundeswehr-Veteran, "das muss jedenfalls was Größeres, Stärkeres gewesen sein". Er wählte dann den Notruf, das Gespräch wird im Gerichtssaal abgespielt: Darin brüllt er den Beamten am Ende der Leitung panisch an ("Wir haben hier alle Angst!"), bevor er nach eigenen Angaben auf die Straße rannte. Dort sei aber zunächst niemand gewesen - außer den völlig aufgelösten Asylbewerbern.

 

Die acht Eritreer blieben unverletzt, die Ereignisse jener Nacht hatten trotzdem Folgen für sie. "Dass sie uns nicht mochten, wussten wir", sagt Kibreab G. über andere Freitaler, "ständig haben sie uns beschimpft". Doch seit dem Anschlag änderten seine Landsmänner demnach ihren Umgang mit dieser Ablehnung: "Sie waren immer in Angst", sagt der 28-Jährige. Er selbst habe Freital dann so schnell wie möglich verlassen - direkt einen Tag, nachdem seine Anerkennung als Flüchtling im Briefkasten gelandet sei.

 

Was der frühere Hausmeister und Nachbar der Flüchtlinge darüber denkt, lässt sich erahnen. Er wolle die Angelegenheit endlich hinter sich bringen, entfährt es ihm mit einem hörbaren Seufzer. Vor ein paar Wochen hätten auch die letzten Asylbewerber das Haus in der Bahnhofstraße verlassen. "Seitdem haben wir wieder einigermaßen unsere Ruhe", sagt er. "Unser Ort ist wieder aufgeräumt."

 

Zusammengefasst: Im Dresdner Prozess gegen die "Gruppe Freital" sind erstmals Asylbewerber aufgetreten, die laut Anklage Opfer eines Anschlags der mutmaßlichen Terrorzelle wurden. Bemerkenswert war vor allem die Zeugenaussage eines damaligen Nachbarn: Er gab den Asylbewerbern indirekt eine Mitschuld für die Gewalteskalation. Deren Verhalten sei unangemessen gewesen. "Es musste mal irgendwann plauzen."